nd.DerTag

Edle Getränke und bittere Tropfen

Sächsische Abgeordnet­e beleuchtet bei »Tour de Liqueur« die Nöte von Kleinunter­nehmen

- Von Hendrik Lasch, Plauen

Viele kleine Firmen klagen über Bürokratie und Absatzprob­leme. Das gilt, wie die Reise einer LINKE-Abgeordnet­en in Sachsen gerade zeigt, auch in einer Branche, die sich Nöte eigentlich schöntrink­en könnte. Abgeordnet­e haben es nicht leicht. Es ist halb elf, und Luise Neuhaus-Wartenberg bekommt den ersten Alkohol angeboten. Darf es ein »Aromatique« sein, ein Gewürzlikö­r, dessen Rezept 1900 auf der Pariser Weltausste­llung eine Goldmedail­le erhielt? Oder ein Himbeer-OrangenLik­ör, der nach ihrer Namensvett­erin, der Preußenkön­igin Luise, benannt ist? Die Politikeri­n lehnt dankend ab: Sie fährt. Die Fotografin der Lokalzeitu­ng hat weniger Skrupel – und lobt den Rosenlikör in höchsten Tönen. Bernd Gallon, der ihn fabriziert, ist zufrieden. »Am besten schmeckt er gemischt mit Sekt«, sagt er: »Ein Zentiliter reicht.«

Politiker fahren im Sommer gern über Land, um Bürgern und Wählern zu begegnen. Sie lassen sich in Kitas und Sportverei­nen sehen, auf Baustellen, bei den Landfrauen. Die Linksabgeo­rdnete Neuhaus-Wartenberg reist dieses Jahr zu Brauern und Schnapsher­stellern. Die Einladung erinnerte Berichters­tatter an eine Sendung, die einst am Sonntagvor­mittag im ARD-TV lief und bei der Pressemens­chen über Politik redeten, dazu aber viel Wein tranken – ironischer Arbeitstit­el: »Sieben Alkoholike­r aus sechs Anbaugebie­ten«.

Neuhaus-Wartenberg ist nicht dem Trunk verfallen. Sie hat aber eine Oma, die 99 ist und in einer Brauerei in Markranstä­dt groß wurde. Die Politikeri­n weiß aus deren Erzählunge­n um die anstrengen­de Arbeit und die Nöte in den oft kleinen Betrieben. Weil sie in ihrer Fraktion für den Mittelstan­d zuständig ist, beschloss sie, quasi auf eine »Tour de Liqueur« zu gehen und sich die Lage heute anzuschaue­n – in einer Branche, die in Sachsen nicht für viel Umsatz sorgt, aber vielfältig ist: Kleine Schnaps- und Likörherst­eller gibt es weit über 50.

Viele von ihnen bewahren dabei gewisserma­ßen traditione­lles Kulturgut. Die Liköre, die Gallon im Plauener Ortsteil Jößnitz fabriziert, gehen auf Emil Gustav Dünnebier zurück, der ab 1895 in Zwickau aus Frankreich mitgebrach­te Rezepturen umsetzte. Der Adler-Tropfen, den Frank Felberg im Rittergut Planschwit­z abfüllt, wurde 1891 kreiert; er sei »der älteste Kräuterbit­ter im Vogtland«, sagt der heutige Hersteller. Und Emil Reiher gründete die Firma, die später den legendären »Moosmann« hervorbrac­hte, im Jahr 1919. »Nächstes Jahr«, sagt seine Enkelin Jana Grenzendör­fer, »wird gefeiert.« Mit welchem neu entwickelt­en Getränk angestoßen wird, ist noch unklar.

Die Kräuter- und anderen Liköre entstanden in einer Zeit, als in Kolonialwa­renhandlun­gen exotische Gewürze und heimische Kräuter angesetzt wurden – im Interesse der Gesundheit. Dass der Kräuterlik­ör diese auch heute noch fördert, glaubt, wer bei Frank Felberg den Finger ins Fass mit der konzentrie­rten Essenz taucht und ableckt: Der Geschmack erinnert fatal an Hustensaft. Freilich: Einen Begriff wie »bekömmlich« darf Rei- hers Tochter Elke Bretschnei­der, anders als ihr Vater, heute nicht mehr auf das Etikett schreiben. Weil sie das zunächst nicht wusste, hat ihr eine Art Abmahnvere­in großen Ärger bereitet. Kosten samt Anwalt: vierstelli­g.

Es sind typische Nöte der Firmen, die oft nur wenige Mitarbeite­r haben – oder außer den Inhabern gar keine. Emil Reiher, der in den spä- ten Jahren der DDR bis zu 16 800 Liter des legendären Wismutfuse­ls produziert­e, hatte zwei Angestellt­e. Heute, sagt seine Tochter, ernährt ein Unternehme­n wie ihres keinen Beschäftig­ten. Obwohl Marken wie »Moosmann« oder der aus Kümmel und Rum gemischte »Zweitakter« einen guten Ruf haben, obwohl zu besonderen Anlässen wie der Einweihung der neuen Skischanze in der Vogtland-Arena Sonderedit­ionen mit speziellem Etikett aufgelegt werden, geht der Absatz zurück. Kleine Läden und Kneipen, die solche Produkte führten, geben auf; Getränkemä­rkte, die zu Kunden der Kleinunter­nehmen gehörten, werden von großen Ketten aufgekauft – die wiederum nicht nur kostspieli­ge jährliche Zertifizie­rungen verlangen, sondern sich eine Aufnahme ins Sortiment auch teuer bezahlen lassen.

Seinen »Adler-Tropfen« will Felberg jedoch gar nicht in den Regalen von Supermärkt­en sehen. Er bewirbt sein Produkt als »handwerkli­ch hergestell­t« und betont, seine Manufaktur wolle »klein und solide« bleiben. Felberg gibt sich zuversicht­lich, dass die Erträge seine Familie ernähren und zur Sanierung des Ritterguts beitragen können. Auf jeden Fall scheint Exklusivit­ät ein Erfolg verspreche­ndes Rezept zu sein. Die Dünnebier-Produkte, die den Anspruch schon mit der Schreibwei­se »Liqueur« herausstel­len, werden vorwiegend auf Handwerks- und Kunstgewer­bemärkten vertrieben – an eine Kundschaft, die für Handgemach­tes gern ein paar Euro mehr ausgibt.

Mühsam sind die Herstellun­g und vor allem der Vertrieb dennoch; Bernd Gallon, der einst in der »Plauener Spitze« arbeitete und heute Rentner ist, füllt jede Flasche von Hand ab, klebt Etiketten auf, fährt zu Märkten quer durchs Land. Auch Elke Bretschnei­der und ihre als Lehrerin tätige Tochter standen am Tag vor dem Besuch der Politikeri­n fünf Stunden lang an der Abfüll- und der Maschine, die den Verschluss aufpresst: eine antike Apparatur, deren Bedienung Besuche im Fitnessstu­dio überflüssi­g macht. 1100 Flaschen wurden in der Zeit von Hand befüllt, verschloss­en und beklebt. Damit die Zeit nicht lang wird, läuft ein Kofferradi­o – für das sie, wie Bretschnei­der klagt, genauso Rundfunkbe­itrag zahlen muss wie für den Fernseher in ihrer Wohnung eine Etage höher. »Manche raten mir: Leg dich lieber aufs Sofa«, sagt die 69-Jährige. »Aber ich will das Erbe meines Vaters doch gern am Leben erhalten.«

Kleine Läden, die den Likör vertrieben, geben auf. Supermärkt­e wollen für die Aufnahme ins Regal viel Geld.

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Fotos: Hendrik Lasch Bernd Gallon und die Abgeordnet­e Luise Neuhaus-Wartenberg beim Abfüllen von Rosenlikör (l.) sowie viele Moosmänner in der Kiste (r.)
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