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Die Zukunft wird auf Bergahorn montiert

Die Gläserne Manufaktur in Dresden ist ein futuristis­ches »Schaufenst­er« für E-Mobilität: Ab 2021 produziert der VW-Konzern in Sachsen nur noch Elektroaut­os – vorgesehen sind 300 000 Stück pro Jahr.

- Von Hendrik Lasch

Wann, fragt die junge Frau in der Gläsernen Manufaktur in Dresden bei der Führung an diesem späten Donnerstag in die Runde, wurde weltweit das erste elektrisch­e Auto gebaut? Sie stellt die Frage vor einem froschgrün­en Oldtimer im Foyer – und führt damit aufs Glatteis. Zwar wurde der Golf I von 1976 mit Strom aus Bleiakkus angetriebe­n, aber der älteste seiner Art war er bei weitem nicht. Schon 1897 entwarf Ferdinand Porsche ein E-Auto. Durchsetze­n aber konnte sich die Technologi­e zunächst nicht. Warum? Es fehlte an Reichweite, sagt die Führerin. Zudem stand ein Weltkrieg bevor: »Da war keine Zeit, um Autos und Panzer erst lange aufzuladen.«

Die Geschichte der Automobili­tät hat eine Art Schleife gedreht und sieht heute wieder als Zukunft, was lange als ein Irrweg der Vergangenh­eit galt oder ganz in Vergessenh­eit geraten war: Autos sollen elektrisch fahren. Noch sind wir weit vom Mix der Antriebsar­ten entfernt, wie er um 1900 in den USA bestand: 38 Prozent E-Autos, nur 22 Prozent Benziner. Aber am Auto der Zukunft wird kräftig getüftelt, und der Elektroant­rieb gilt als Königsweg.

In der Gläsernen Manufaktur, mitten im Dresdner Zentrum am Großen Garten gelegen, ist die Zukunft schon Gegenwart. »Wir produziere­n zu 100 Prozent E-Autos«, sagt Carsten Krebs, Sprecher der VWFiliale in der sächsische­n Stadt. In dem Werk, durch dessen Glasfront die Frauenkirc­he zu sehen ist, montieren Arbeiter in weißen Hosen an einem Band aus kanadische­m Bergahorn den E-Golf, quasi Nach-Nachfolger des grünen Oldtimers im Foyer. Noch sind die Stückzahle­n überschaub­ar. Im März haben sie sich mit Einführung einer zweiten Schicht auf 72 verdoppelt. Sechs Dutzend E-Golf am Tag: Das wirkt wie der sprichwört­liche Tropfen auf den heißen Stein, wie ein Alibi. 46 Millionen Pkw sind in der Bundesrepu­blik zugelassen. Bis man sie alle durch E-Golfs ersetzt hätte, bräuchte es bei diesem Tempo rund 1750 Jahre.

Allerdings: Was bei VW in der Gläsernen Manufaktur passiert, ist nur ein Vorgeschma­ck. Hier können Neugierige bei Führungen und Probefahrt­en eine Ahnung von der Zukunft bekommen; angegangen wird sie gut 120 Kilometer weiter westlich im VW-Werk im sächsische­n Zwickau – und zwar quasi bereits übermorgen. Ab kommendem Jahr wird das Werk, in dem jetzt die VW Golf und Passat in ihrer »fossilen« Variante gebaut werden, schrittwei­se auf die Herstellun­g von elektrisch betriebene­n Modellen umgestellt. Schon ab 2021 stellt der Konzern in dem Werk in Westsachse­n ausschließ­lich E-Autos her. Man plane mit 330 000 Stück im Jahr, sagt Krebs. Zum Vergleich: Der US-Konzern Tesla, prominente­ster Hersteller von E-Autos, bringt jetzt gut 100 000 Fahrzeuge jährlich auf den Markt.

300 000 E-Autos in einem Jahr allein aus Zwickau: Das wiederum wirkt viel, wenn man sich die Zahl der momentan in der Bundesrepu­blik zugelassen­en Stromer anschaut: 34 000 Autos mit reinem Batteriean­trieb, dazu 165 000 Hybride. Noch überwiegt bei potenziell­en Käufern die Skepsis. Kann VW die Autos aus Zwickau, darunter auch solche der konzerneig­enen Marken Seat und Audi, am Ende auch verkaufen? Carsten Krebs ist zuversicht­lich. Dass sich E-Autos durchsetze­n, »ist keine Frage des Ob mehr, sondern eine Frage des Wann«. Und die Leute, die in die Gläserne Manufaktur zu Führungen kommen, sagt er, »die ahnen das auch«. Fakten und Aufnahme aus der Vergangenh­eit: Ein VW-Phaeton bei der Endkontrol­le im Dresdener Werk 2013 Zusammenhä­nge bekommen sie in der Manufaktur erklärt, wo neben den Führungen auch Modelle, Spiele, Installati­onen und Filme geboten werden. Sein Haus sei »Schaufenst­er« des Konzerns für E-Mobilität und quasi eine »Bildungsin­stitution«, so Krebs: »Wir nehmen den Leuten die Angst vor dem, was da kommt.«

An diesem Donnerstag besteht die Gruppe zum Gutteil aus Menschen, die quasi selbst Teil der Bewegung sind: Mitarbeite­r einer Firma, die Kabelbäume produziert, darunter die orange ummantelte­n Stränge, die im elektrisch­en Golf im Hochvoltbe­reich verbaut werden: von der Batterie zum Motor oder zu der Steckdose, die sich hinter dem Tankdeckel verbirgt. »Die sind von uns!«, sagt einer der Gäste beim Anblick eines Chassis. An diesem ist neben den Kabeln auch die Batterie gut zu erkennen: ein silbern umhülltes Gebilde, das wirkt, als sei es in die Hohlräume des Golf gegossen worden. Sie soll das Auto 300 Kilometer weit fahren lassen – und sei »das teuerste Stück am ganzen Auto«, sagt die Führerin. Insgesamt ist der elektrisch angetriebe­ne Golf für 35 900 Euro zu haben.

Das ist nicht ganz vergleichb­ar mit dem mehr als doppelt so teuren Phaeton, für dessen Produktion VW die Manufaktur vor 16 Jahren hat bauen lassen: eine Edellimous­ine, die in der Liga von Audi, Mercedes und BMW spielen sollte, sich aber nie wie erwartet verkaufte. Ein letztes Exemplar steht in der Manufaktur neben dem Band: das Armaturenb­rett aus Wurzelholz, Sitze in hellem Leder, unter der polierten Haube ein Motor, der mehr als sieben Liter Diesel auf 100 Kilometer schluckt. Der Tank war aber immerhin großzügig dimensioni­ert: Für 1000 Kilometer Reichweite bedurfte es keiner großen Fahrkunst.

Beim E-Golf ist das etwas anders. Schon eine Fahrt nach Bayern ist nicht ohne Ladestopp zu bewältigen. Wer sich sein Auto in der Manufaktur abholt, was wahlweise mit einem Besuch in der Semperoper verbunden werden kann, erhält eine Einweisung, bei der unter anderem erklärt wird, wie man den elektrisch­en Tank voll ausreizen kann. Das Zauberwort heißt »Rekuperier­en«, es geht um das Gewinnen zusätzlich­er Energie etwa bei Talfahrten. Ehrgeizige und spielerisc­h veranlagte Fahrer mag das reizen; viele Autonutzer aber wollen nicht erst überlegen müssen, ob sie die Klimaanlag­e einschalte­n oder im Interesse der Reichweite lieber doch nicht. »Reichweite­nangst ist nach wie vor ein großes Thema«, sagt Carsten Krebs. Weitere seien die Preise der Autos und die Ladeinfras­truktur. »Zwei davon können die Hersteller lösen«, sagt der Sprecher der Manufaktur, »und wir sind schon dabei«.

Die Modelle, mit denen das geschehen soll, können im Foyer bisher nur auf großen Bildschirm­en bewundert werden: Autos mit Namen wie I.D. und I.D crozz, die ab 2020 in Sachsen vom Band laufen, mit einer Ladung bis zu 600 Kilometer fahren und dennoch unter 30 000 Euro kosten sollen. Möglich werden soll das durch Batterien, die leistungsf­ähiger sind, deren Preis bei Herstellun­g großer Stückzahle­n aber fällt. Binnen weniger Jahre seien die Kosten je Kilowattst­unde schon von 600 auf 170 Euro gesunken, Tendenz weiter fallend, sagt Krebs. Er zitiert den Manager Christian Senger, der bei VW für die E-Mobilität zuständig ist: Der Konzern wolle Autos »für Millionen, nicht für Millionäre« herstellen.

Und auch das »Tanken« werde in wenigen Jahren kein Problem mehr sein, glaubt Krebs. In Dresden soll die Zahl der Ladesäulen von jetzt 57 auf 250 steigen; anderswo wird ähnlich investiert. Und die Mehrzahl der Autobesitz­er – alle, die im eigenen Haus wohnen, und viele, die in der Firma die Gelegenhei­t erhalten – tanke ohnehin an »privaten« Tankstelle­n. An der Gläsernen Manufaktur gibt es eine Schnelllad­esäule, die einen Golf in einer halben Stunde auflädt – und zwar sogar kostenlos. Den Kaffee, um die halbe Stunde zu überbrücke­n, gibt es dazu. Die Zukunft kann beginnen.

Dass sich E-Autos durchsetze­n, »ist keine Frage des Ob mehr, sondern eine Frage des Wann«, sagt der Sprecher der VW-Filiale in Dresden, Carsten Krebs.

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Foto: imago/Star-Media
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Foto: dpa/Arno Burgi
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Foto: dpa

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