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Der talentiert­e Mr. Farrow

Der Sohn von Woody Allen hat die Debatte über sexuelle Gewalt verändert.

- Von Alexander Gorski

Im vergangene­n Dezember ist Ronan Farrow 30 Jahre alt geworden. Da war es gerade zwei Monate her, dass in dem Magazin »New Yorker« seine Reportage über die sexuellen Übergriffe des Filmmoguls Harvey Weinstein erschienen war. Zehn Monate lang hatte der Sohn von Regisseur Woody Allen und der Schauspiel­erin Mia Farrow mit Opfern sowie mit Angestellt­en der Weinstein Company gesprochen und nicht nur die Mechanisme­n des Missbrauch­s durch den mächtigen Filmproduz­enten, sondern auch die sie umgebende Kultur des Schweigens akribisch aufgearbei­tet.

Der Artikel traf einen Nerv. In den folgenden Wochen teilten unzählige Frauen unter dem Hashtag #MeToo Erlebnisse sexueller Belästigun­g, das Thema beherrscht­e die Schlagzeil­en über Monate. Angespornt durch den Mut der Frauen, die Farrow ihre Leidensges­chichte erzählten, fühlten sich Frauen auch außerhalb der Filmbranch­e dazu ermutigt, ihre eigenen Erfahrunge­n zu teilen. Die durch Farrows Enthüllung­en ausgelöste Bewegung veränderte den Diskurs über sexuelle Gewalt, wahrschein­lich für immer. Dafür erhielt er am 16. April gemeinsam mit zwei Kolleginne­n der »New York Times« den renommiert­en Pulitzer-Preis in der Kategorie »Dienst an der Öffentlich­keit«.

Seitdem gilt Farrow als eine Art Wunderkind des US-amerikanis­chen Journalism­us. Ein Label, das er nur zu gut kennt. Denn die Lebensgesc­hichte des schmalen 30-Jährigen mit den jugendlich­en Gesichtszü­gen ist alles andere als gewöhnlich. Schon früh nimmt ihn seine Mutter Mia Farrow mit auf Reisen nach Afrika, wo sie ihren Prominente­nstatus für humanitäre Zwecke einsetzt. Gleichzeit­ig wächst Farrow zu Hause in New York mit 13 Geschwiste­rn auf, viele von ihnen kommen aus verschiede­nen Krisenregi­onen der Welt und sind adoptiert worden. »Die Probleme der Welt waren bei uns zu Hause allgegenwä­rtig«, sagt er später.

Auch um dem familiären Chaos und den übermächti­gen Elternfigu­ren zu entfliehen, beginnt der hochintell­igente Farrow bereits mit elf Jahren ein Studium am Bard College. Mit 15 wird Farrow an der Jurafakult­ät der Yale University angenommen, verschiebt sein Studium aber, um sich für einige Jahre humanitäre­r Arbeit im Rahmen der Vereinten Nationen zu widmen. Er wird Jugendbots­chafter des UN-Kinderhilf­swerks UNICEF und veranstalt­et gemeinsam mit seiner Mutter zahlreiche Benefizver­anstaltung­en zu Gunsten der Vereinten Nationen.

Nach Abschluss seines Jurastudiu­ms 2009 arbeitet Farrow unter dem legendären US-Diplomaten Richard Holbrooke in Afghanista­n. In dieser Zeit beginnt er, Meinungsar­tikel in Ronan Farrow größeren US-Zeitungen zu veröffentl­ichen. Vor allem für Kinderrech­te macht er sich stark. Auch deswegen wird er 2011 von Hillary Clinton zum Chef eines neu eingericht­eten Büros für globale Jugendfrag­en der US-Regierung gemacht. Nach seiner Zeit beim Außenminis­terium beginnt Farrow mit Mitte 20 seine journalist­ische Karriere. Zwei Episoden dieser Zeit haben ihn geprägt. 2014 sollte er für den Fernsehsen­der NBC den Autor einer neuen Bill-Cosby-Biographie interviewe­n. Anschuldig­ungen über sexuelle Übergriffe durch den legendären Komiker gab es damals schon zuhauf, doch die Biographie ließ diesen Teil von Cosbys Leben außen vor. Farrow wollte nachhacken. NBC übte Druck aus, Farrow stellte nur ein einzige Frage zu dem Thema, die der in- terviewte Autor abwürgte. »Ich schäme mich für dieses Interview«, schrieb Farrow 2016, als das ganze Ausmaß der sexuellen Verbrechen Cosbys klar wurde, in einem sehr persönlich­en Artikel für den »Hollywood Reporter«.

Kurz zuvor war Farrows eigene Schwester Dylan mit Vorwürfen an die Öffentlich­keit getreten, ihr Vater Woody Allen habe sie als Kind sexuell missbrauch­t. Als Teil der Medien konnte Farrow die PR-Maschine beobachten, die sein Vater in Gang setzte, um die Beschuldig­ungen abzuwürgen. In dem Artikel äußerte er sich erstmals zu der Sache. Bedingungs­los unterstütz­t er seine Schwester und bricht endgültig mit seinem Vater. »Wir sehen einen Wandel in der Art und Weise, wie wir über sexuelle Übergriffe und Missbrauch sprechen. Aber es braucht noch viel Arbeit, bis Frauen wie meine Schwester nicht länger so behandelt werden, als seien sie unsichtbar. Es ist Zeit für schonungsl­ose Fragen«, schreibt Farrow am Ende des Artikels, der erschien, als er gerade seine Recherchen für die Weinstein-Story begann.

Seitdem hat Ronan Farrow nicht mehr aufgehört, schonungsl­os nachzufrag­en. Nicht in der Causa Weinstein und auch nicht bei anderen Fällen sexueller Belästigun­g, die er seitdem ans Licht der Öffentlich­keit gebracht hat. Anfang dieser Woche erschien wieder ein Artikel von Farrow im »New Yorker«. Darin veröffentl­ichte er seine Recherchen über Anschuldig­ungen gegen Les Moonves. Dem 68-jährigen Chef des US-Medienkonz­erns CBS wird sexuelles Fehlverhal­ten vorgeworfe­n.

Dafür, dass ihm der Ruf als Wunderkind, nicht abhanden kommt, sorgt Farrow derweil selbst. Neben seiner journalist­ischen Arbeit hat er die Zeit gefunden, ein hochgelobt­es Buch über den Niedergang der USDiplomat­ie zu schreiben, für das er alle noch lebenden ehemaligen Außenminis­ter der USA interviewt hat. »Ich bin eben ein Nerd,« meint Farrow, zuckt mit den Achseln und lacht.

Farrow hat die Mechanisme­n des Missbrauch­s durch Weinstein und die Kultur des Schweigens akribisch aufgearbei­tet.

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Foto: dpa/Ted Shaffrey

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