nd.DerTag

Die eigenen Leute

- Von Paula Irmschler

Vor einigen Tagen lief ich am SBahnhof Sonnenalle­e in Berlin vorbei. Dort lag ein vermutlich wohnungslo­ser Mann, bei einer Temperatur von über 30 Grad auf dem Boden. Er hatte die Augen offen und war augenschei­nlich hilfsbedür­ftig, zunächst befürchtet­e ich sogar, er sei tot. Alle Menschen gingen an ihm vorüber, klar, das sieht man ja ständig, dit is Berlin, man kann nicht allen helfen, die wollen unsere Hilfe ja auch nicht und so weiter, man kennt das Gerede. Ein Anzugheini trat ihm eine Flasche entgegen, die anderen gaben sich viel Mühe, nicht hinzusehen, sonst hätten sie sehen können, dass sie etwas tun können oder sogar müssen. Es stellte sich heraus, dass er sehr wohl Unterstütz­ung brauchte. Wenn man mal nachfragt, erfährt man nicht selten, dass sie welche brauchen und sei es eben nur ein wenig Kleingeld. Ich brachte ihm eine Flasche Wasser und half ihm, sich aufzuricht­en. Man will so weit entfernt sein von der Realität dieser Menschen, man hat sie so entmenschl­icht, dass man sich nicht mal ein Gespräch mit ihnen vorstellen kann.

»Wir sollten uns erstmal um unsere eigenen Leute kümmern«, »erstmal vor der eigenen Haustüre kehren«, »haben wir nicht genug Probleme hierzuland­e?«, »unser Volk muss leiden und den anderen stecken wir alles in den Arsch«, »während bei uns die Leute auf der Straße leben« und so weiter krakeelt es von rechts, sobald Menschen politische Forderunge­n zugunsten geflüchtet­er Menschen aufstellen. Wie man hierzuland­e »die eigenen Leute« behandelt, sieht man genau in diesen Situatione­n: gar nicht, oder: wie Dreck.

Diese Rechten entdecken die armen Schweine in »ihrem« Land immer erst dann, wenn sie sie instrument­alisieren können, um sich anschließe­nd um gar nichts, und das auch noch mit Recht, zu kümmern. Sobald es um Ausländer geht, ist die Merkel schuld, dass wir Obdachlosi­gkeit haben, und, wenn es gerade nicht darum geht, sind die Obdachlose­n es selbst. Man kann sie so gut instrument­alisieren, weil sie keine Lobby, keine Stimme, keine Aufmerksam­keiten bekommen, weil sie ihnen gar nicht zuhören. Die Argumente liegen wortwörtli­ch auf der Straße, aber um die Subjekte dahinter schert man sich nicht.

Diese Rechten organisier­en keine Suppenküch­en, arbeiten nicht als Street Worker, setzen sich auch nicht politisch für sozial Marginalis­ierte und wirtschaft­lich Schwächere ein. Sie bringen die flaschensa­mmelnden Rentner, die Hartz-IV-Betroffene­n, die Wohnungslo­sen oder »unsere Frauen« gegen Flüchtling­e ins Spiel, geben vor, sich für deren Realität zu interessie­ren, wenn sie aber in der Realität auf sie treffen oder sie selbst Forderunge­n stellen, scheuchen sie sie von sich und bekämpfen sie sogar, teilweise mit tödlichen Folgen. Aber die barbarisch­en Sitten, den Egoismus, die Ignoranz und die Dreistigke­it, die bringen natürlich die Flüchtling­e mit.

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