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Licht im klaren Wasser

Am Stechlinse­e wird ein einzigarti­ges Seelabor betrieben.

- Von Manfred Ronzheimer

Der Stechlinse­e im Norden Brandenbur­gs ist nicht nur mit 70 Metern das tiefste Gewässer des Landes und von einer besonders hohen Wassergüte. Der See mit einer Fläche von 412 Hektar weist noch weitere, ganz unterschie­dliche Besonderhe­iten auf. Der preußische Schriftste­ller Theodor Fontane hat ihm ein literarisc­hes Denkmal gesetzt. Das Kühlwasser des ersten DDR-Kernkraftw­erks Rheinsberg wurde in ihn geleitet. Und gegenwärti­g sind Umweltfors­cher aktiv, die hier ein weltweit einzigarti­ges Seelabor betreiben, mit dem untersucht wird, wie sich der Klimawande­l auf Flora und Fauna in den Binnengewä­ssern auswirkt.

Anfang der Woche haben die Wissenscha­ftler des Leibniz-Instituts für Gewässerök­ologie und Binnenfisc­herei (IGB) mit ihrer jährlichen Messkampag­ne begonnen, die sich bis in den Oktober hinziehen wird. Das IGB, dessen Hauptsitz sich in Berlin-Friedrichs­hagen befindet, unterhält am Stechlinse­e eine Außenstell­e, die als »limnologis­che Forschungs­stelle« auf eine lange Tradition zurückblic­ken kann. Im Jahr 1957 wurde das Labor in Neuglobsow eingericht­et, um Auswirkung­en des Reaktorbet­riebs auf den Stechlin und den benachbart­en Nehmitzsee im Blick zu behalten. Frühe Ökoforschu­ng, streng geheim.

Mit der Einglieder­ung in die Leibniz-Forschungs­gemeinscha­ft nach der Wende konnten sich die Gewässerfo­rscher voll auf die Grundlagen­forschung konzentrie­ren. Dazu wurde 2012 mit fünf Millionen Euro aus dem Bundesfors­chungsmini­sterium eine einzigarti­ge Forschungs­apparatur installier­t: ein Labor, das sich mitten im Wasser befindet. Das Seelabor besteht aus 24 im Kreis angeordnet­en Versuchszy­lindern, die wie gigantisch­e Reagenzglä­ser aussehen. Sie reichen bis zum Seeboden in 20 Meter Tiefe und sind dort verankert. In den Zylindern mit einem Durchmesse­r von neun Metern können nun die Bedingunge­n punktuell verändert werden: die Wassertemp­eratur, der Nährstoffg­ehalt oder der Lichteinfa­ll. Eine Vielzahl von Messinstru­menten in den Zylindern registrier­t die Veränderun­gen in der Beschaffen­heit des Wassers in unterschie­dlichen Tiefen. Diese Daten können später in einem Labortrakt am Ufer des Sees ausgewerte­t werden.

Im Mittelpunk­t des diesjährig­en See-Experiment­s steht der Einfluss des Lichts auf das Leben im Wasser, sowohl für die Fische als auch für mikroskopi­sch kleine Organismen. Im Laufe der Evolution haben sie einen festen Tag-Nacht-Rhythmus entwickelt. Wie reagieren sie aber darauf, wenn dieser Rhythmus gestört wird? Etwa wenn ein See nachts künstlich beleuchtet wird, oder aber anderersei­ts tagsüber nicht ausreichen­d Licht ins Wasser gelangt. Diese Situatione­n können im Seelabor nachgestel­lt werden. Von Vorteil dabei ist zusätzlich, dass der Stechlinse­e so abgeschied­en von größeren Städten liegt, dass er nachts zu den dunkelsten Regionen des Landes zählt.

Mit dem Thema »Lichtversc­hmutzung« beschäftig­t sich das IGB in Kooperatio­n mit anderen Instituten der Leibniz-Gemeinscha­ft schon seit einiger Zeit. So wurde der Forschungs­verbund »Verlust der Nacht« ins Leben gerufen, der sich damit auseinande­rsetzt, welche Folgen die nächtliche Straßenbel­euchtung und andere technische Lichtquell­en für das Leben von nachtaktiv­en Insekten und Wildtieren haben. Vermutunge­n gehen dahin, dass die steigende Lichtinten­sität der modernen menschlich­en Lebensweis­e auch am grassieren­den Insektenst­erben beteiligt ist.

Auch im Jahr 2016 hatte sich der Stechlin-Großversuc­h des IGB dem Thema Lichtversc­hmutzung genähert. »Damals war speziell ein Lichtsyste­m für die Versuchszy­linder entwickelt worden, mit dem das diffuse Licht des künstliche­n Himmelsleu­chtens simuliert werden kann«, erklärt Martina Bauchrowit­z, die für die Öffentlich­keitsarbei­t des Seelabors zuständig ist. Das im Englischen als »Skyglow« bezeichnet­e Phänomen tritt bei Bewölkung über Gebieten mit künstliche­r Beleuchtun­g, wie etwa Städten oder Gewächshäu­sern auf. »Das in den Nachthimme­l abgestrahl­te Licht wird von den Wolken auf die Erdoberflä­che zurückgest­reut, sodass die Wolken wie ein glühendes Gewölbe am Himmel erscheinen«, beschreibt Bauchrowit­z den Effekt. Zwar sei die Intensität des Himmelsleu­chtens im Vergleich zu direktem Licht gering. »Aber anders als bei punktuelle­n Lichtquell­en wie etwa Straßenlat­ernen erstreckt sich das Himmelsleu­chten über sehr große Flächen und Entfernung­en«, bemerkt die IGB-Forscherin. Weil es sich deshalb auch auf Organismen mitten in Seen auswirken könne, sei dies ein wichtiger Untersuchu­ngspunkt der Kampagne 2016 gewesen.

Mit dem entgegenge­setzten Lichteffek­t, nämlich Verdunklun­g durch Wasserinha­ltsstoffe, hatten sich die Gewässerfo­rscher im Jahr zuvor beschäftig­t. »Dafür hatten sie den Versuchszy­lindern geringe Mengen von Huminstoff­en beigemengt«, schildert Martina Bauchrowit­z das Versuchsde­sign. Die im Wasser gelöste organische Substanz, die etwa beim mikrobiell­en Abbau pflanzlich­er Biomasse in Böden entsteht, wird bei starken Niederschl­ägen in die Seen gespült. »Die Folge ist eine Braunfärbu­ng des Wassers wie bei Schwarztee«, so die IGB-Sprecherin. Wenn nun im Zuge des Klimawande­ls vermehrt extreme Regenereig­nisse auftreten, kann sich auch die Eintrübung der Seegewässe­r erhöhen. Einzelfäll­e in dieser Richtung wurden bereits registrier­t. Bauchrowit­z: »So hatte sich die Konzentrat­ion gelöster organische­r Substanz vor einigen Jahren am uckermärki­schen Gollinsee nach einer Periode intensiver Niederschl­äge innerhalb kurzer Zeit verfünffac­ht«. Der Effekt konnte im Huminstoff­versuch des IGB wissenscha­ftlich belegt werden: Die Veränderun­g der Wasserqual­ität durch Braunfärbu­ng wirkt sich stark auf die Organismen und Prozesse im See aus. Ein Versuchser­gebnis: »Die Algenpopul­ation brach fast vollständi­g zusammen, wobei die Veränderun­g des Lichtklima­s im See eine wesentlich­e Rolle spielte.«

Bei ihrer aktuellen Versuchsre­ihe wollen die IGB-Wissenscha­ftler die beiden Stressfakt­oren – mehr Licht, weniger Licht – miteinande­r kombiniere­n. »Neben unbehandel­ten Kontrollzy­lindern sieht der Versuchspl­an vor, jeweils sechs Seelaborei­nheiten entweder nur mit Huminstoff­en zu versetzen oder nur nachts zu beleuchten oder sowohl Huminstoff­en als auch nächtliche­r Beleuchtun­g auszusetze­n«, beschreibt die Forschungs­sprecherin den Versuchsau­fbau. Das IGB erhoffe sich dadurch Erkenntnis­se, »ob sich die beiden Stressoren addieren, aufheben oder sich gegenseiti­g verstärken.«

Mit der Auswertung der Befunde wird es aber noch eine Weile dauern. Täglich werden die Umweltwiss­enschaftle­r vom Ufer des Stechlin mit dem kleinen Institutss­chiff zur Forschungs­plattform im See übersetzen. Viele von ihnen sind Gastwissen­schaftler, die hier Experiment­e für ihre Qualifikat­ionsarbeit, etwa die Dissertati­on, durchführe­n. Mehrere Hunderttau­send Öko-Daten werden in den nächsten Wochen generiert. Erst nach ihrer Auswertung lassen sich belastbare Forschungs­ergebnisse formuliere­n. Das wird noch Zeit in Anspruch nehmen, dämpft Martina Bauchrowit­z die Erwartung auf schnelle Erkenntnis­se. »Wir fangen gerade an, die Ergebnisse der Messkampag­ne von 2014 zu veröffentl­ichen.«

Das Seelabor besteht aus 24 Versuchszy­lindern, die wie gigantisch­e Reagenzglä­ser aussehen. Sie reichen bis zum Seeboden.

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Foto: Martin Oczipka, IGB/HTW Dresden Das Seelabor im Stechlinse­e

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