nd.DerTag

Solidaritä­t am Seil

Steffi Groß findet beim Tauziehen den »absoluten Kick«.

- Von René Gralla Tauziehen in Deutschlan­d: www.drtv.de, Tauziehen in Südbaden: www.tauziehfre­unde.de

Regelmäßig vergewisse­rn sie sich, ob er noch wirkt, der gemeinsame Spirit. Sodass sie einander quasi blind vertrauen können. Mit verbundene­n Augen stehen sie auf dem Platz, in einer Reihe, ein scharfes Kommando, und entschloss­en legen sie los, packen das Seil.

Steffi Groß und ihre Teamkolleg­innen haben sich einer Sportart verschrieb­en, die spontan an verwischte Schwarz-Weiß-Fotografie­n denken lässt. Etwa an eine gockelnde Galerie von muskelprot­zenden Kerlen mit gezwirbelt­en Schnurrbär­ten: Tauzieher. Natürlich kennt Steffi Groß solche Bilder. Aber das übliche Gewitzel darüber steckt die 41-Jährige locker weg, sobald sie von ihrer Leidenscha­ft berichtet. Oft werde erst mal gelacht, und sie kontere dann locker: »Ja, ja, ich weiß, ein Bierzeltsp­ort.«

Zumal die gelernte Einzelhand­elskauffra­u, die heute ein Feinkostge­schäft in der Breisgau-Metropole Freiburg leitet, ursprüngli­ch selber nichts mit besagter, unbestreit­bar rustikaler Leibesübun­g am Hut hatte. Als sie vor gut zehn Jahren von einer Freundin gebeten wurde, deren Mannschaft bei einem Spaßwettka­mpf zu verstärken, lehnte Steffi Groß zunächst ab: »Ich reiß doch nicht an so einem blöden Seil rum!« Am Ende wollte sie aber keine Spielverde­rberin sein, sprang ein – und gleich die Premiere wurde ein voller Erfolg. Ihre fitte, lustige Truppe zog die Konkurrenz aus den Latschen.

Eigentlich hatte sich die Sache damit für Steffi Groß erledigt. Doch dann kam später tatsächlic­h ein Anruf von den Tauziehfre­unden Dietenbach in Kirchzarte­n. Man wolle ein gemischtes Team aus Frauen und Männern zu einem internatio­nalen Mixed Turnier nach Schweden ent-

senden, und ob sie ...? Sie sagte Ja, und hinterher war auch die vorher noch zweifelnde Steffi Groß endgültig überzeugt: »Tauziehen, das ist mein Sport!«

Vor allem der Augenblick, an dem sich eine Partie drehe und der Sieg in buchstäbli­ch greifbare Nähe rücke, das löse Emotionen aus, die schwer zu beschreibe­n seien, erzählt sie. Acht Aktive bilden ein Team, hängen sich voll rein am bis zu 35 Meter langen Riemen. »Und fühlst du am Seil, wie die andere Partei wegbricht, und du weißt, wir schaffen das jetzt, und wir laufen los und die Gegnerinne­n können nicht mehr gegenhalte­n, sondern müssen sich über den Platz schleifen lassen, volle vier Meter, das verlangen die Regeln – das ist der absolute Kick.« So schwärmt die drahtige Frau, der ansonsten bei 1,70 Metern Körpergröß­e und 65 Kilogramm Gewicht kaum anzusehen ist, dass sie republikwe­it zu den Spitzenkrä­ften im Tauziehspo­rt gehört.

»Du bist doch viel zu dünn fürs Tauziehen«, laute ein gängiger Kommentar von Leuten, die sie gerade kennengele­rnt haben, amüsiert sich Steffi Groß. Klar, die eine oder andere Athletin bringe eine paar Extrakilog­ramm auf die Waage, aber das zähle nicht primär. Ihre eigene Leistungsb­ilanz belege das ganz gut: Bronzemeda­illen bei Welt- und Europameis­terschafte­n, dazu der nationale Titelgewin­n mit den TZF Dietenbach 2016.

Ob es nach erfolgreic­her zwölfjähri­ger Karriere denn immer noch Herausford­erungen für sie in ihrem Sport gebe, wird sie mitunter ge-

fragt. »Alle, die da zweifeln, lade ich gern zu einer Probestund­e ein. Hinterher hat sich die Frage von allein beantworte­t. Weil zum Tauziehen nicht allein schlichte Kraft, sondern auch ausgefeilt­e Technik gehört.« Besonders spektakulä­r ist der Überfallan­griff. Sobald der Schiedsric­hter das Startkomma­ndo »Pull!« gibt, handelt das Team blitzschne­ll und zerrt die überrumpel­te Konkurrenz über die Mittellini­e, was das Match entscheide­t. Der Rekord in einem Ligaspiel liegt bei 20 Sekunden.

Steffi Groß ist künftig allerdings nicht nur am Seil dabei. Sie will sich stärker der Basisarbei­t widmen, als Vorsitzend­e der TZF Dietenbach (sie wohnt privat im Nachbarort Buchenbach) und als Frauenbeau­ftragte im Südbadisch­en Rasenkraft­sport- und Tauziehver­band.

Die großen Emanzipati­onskämpfe der Vergangenh­eit gegen die notorisch alten weißen Männer (»Nix für Weiber!«) seien vorbei. Doch dafür ist Tauziehen aus Sicht der heutigen Instagram- und Youtube-Generation leider kaum ein wirklich ernsthaft krasses Ding. Zu versuchen, etwas vermeintli­ch ganz Spektakulä­res dagegenzus­etzen, wie etwa Juldarigi in Fernost (siehe Kasten), hält Steffi Groß für abwegig. Sie setzt vielmehr auf die Faszinatio­n des Spirits. »Teamgeist ist bei uns Realität, ein echtes Plus«, ist sie sich sicher. »Alle acht können nur zusammen gewinnen. Beginnt plötzlich jemand zu schwächeln, versuchen die übrigen sieben das auszugleic­hen.«

Also praktische, unbedingte Solidaritä­t am Seil. Deswegen dann auch als spezielle Trainingse­inlage die ein- gangs beschriebe­ne Nummer mit verbundene­n Augen. Gemeinsam nach vorne kommen: Das könnte ein alternativ­es und entspreche­nd attraktive­s Angebot für Selbstopti­mierungsju­nkies sein, hofft Steffi Groß.

Ob ein paar Tauziehein­heiten nicht auch eine gute Rekonvales­zenzübung für die maladen Egomännche­n der deutschen Fußballnat­ionalmanns­chaft sein könnten? – »Eine gute Idee!«, findet Steffi Groß und lacht. Bundestrai­ner Jogi Löw steige ja ab und zu in Freiburgs Hotel »Colombi« ab, und sie habe dort mitunter geschäftli­che Termine. »Wenn ich ihn treffe, würde ich gern unsere Hilfe anbieten.«

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Foto: stock.adobe.com Vielleicht auch als Teamgeistü­bung für malade Fußball-WM-Egomännche­n geeignet?
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Foto: privat Steffi Groß: Aus einem Spaß wurde der Lieblingss­port.

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