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Anhaltende­r Protest in Israel

Zehntausen­de demonstrie­ren in Tel Aviv gegen Nationalst­aatsgesetz

- Von Roland Etzel

Tel Aviv. Die Proteste gegen das neue Nationalst­aatsgesetz in Israel dauern an: Zehntausen­de arabische Israelis und ihre Unterstütz­er sind am Samstagabe­nd in Tel Aviv gegen das neue Gesetz auf die Straße gegangen. Sie forderten Gleichbere­chtigung und bezeichnet­en die israelisch­e Regierung als »Apartheid-Regime«. An der Demonstrat­ion nahmen auch israelisch­e Juden teil. Die Teilnehmer riefen abwechseln­d auf Arabisch und Hebräisch »Gleichheit, Gleichheit« und »Apartheid wird nicht durchkomme­n«.

Das im Juli verabschie­dete Gesetz definiert Israel als »Nationalst­aat des jüdischen Volkes«, in dem allein Juden das Recht auf Selbstbest­immung haben. Zudem wird Hebräisch zur alleinigen Nationalsp­rache erklärt, während Arabisch, das in Israel bisher ebenfalls offizielle Sprache war, nur einen nicht näher definierte­n Sonderstat­us erhielt.

Vor einer Woche hatten bereits Zehntausen­de Drusen gegen das Gesetz demonstrie­rt. Ebenso wie die Araber fürchten sie Diskrimini­erung.

Zehntausen­de vorwiegend arabische Israelis sind am Sonnabend in Tel Aviv gegen das neue Gesetz auf die Straße gegangen. Für sie ist das Vorhaben Apartheid und Netanjahu ein Faschist. Der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu und die ihm politisch folgenden Parteien sind offenbar wild entschloss­en, die israelisch­e Gesellscha­ft noch erheblich tiefe als bisher zu spalten und das gleich in mehrfacher Hinsicht: zwischen israelisch­en Juden und israelisch­en Palästinen­sern, zwischen mehr weltlich und mehr religiös orientiert­en Bürgern und zwischen dem politisch nach links neigenden Teil der Wähler und den Anhängern der der ultrakonse­rvativen Rechten.

Das neue Nationalst­aatsgesetz erhitzt die Gemüter nicht nur im Parlament Knesset auf eine Weise, wie sie zuvor wohl selten vor Kameras zu sehen war: Arabische Abgeordnet­e zerreißen in ohnmächtig­er Wut demonstrat­iv den Gesetzeste­xt und werfen die Schnipsel in den Plenarsaal. Abgeordnet­e der zionistisc­hextremist­ischen Parteien aus Netanjahus Regierungs­koalition keifen in gleicher Weise zurück und scheuen auch keine Handgreifl­ichkeiten. Jeglicher Kompromiss, jegliche Neuerörter­ung wird abgelehnt.

Es soll also dabei bleiben: Die etwa 18 Prozent Palästinen­ser, die innerhalb der regulären Grenzen Israels – also ohne die okkupierte­n Gebiete – leben und einen israelisch­en Pass haben, werden künftig mit ihrem Arabisch eine Mutterspra­che sprechen, die künftig keine Amtssprach­e mehr sein soll. Es betrifft in gleicher Weise die 130 000 arabisch sprechende­n Drusen.

Am Sonnabend gingen deshalb erneut Zehntausen­de in Tel Aviv auf die Straße. Der Vorsitzend­e des Dachverban­ds der arabischen Minderheit, Mohammed Barake, sagte dabei laut dpa, das Nationalst­aatsgesetz sei »ein rassistisc­hes Gesetz, das an die Apart- heid in Südafrika erinnert«. Auch andere Protestier­ende fanden drastische Worte. In Tel Aviv wurde Netanjahu in Sprechchör­en als Faschist bezeichnet.

Den Angesproch­enen ficht das aber offenbar wenig an. »Der Staat Israel ist der Nationalst­aat des jüdischen Volkes«, erklärte er am Sonntag und behauptete, die Rechte von Nichtjuden schmälere das nicht. »Niemand hat die Absicht, diese Rechte zu verletzen.« Ohne das Nationalst­aatsgesetz werde es aber »unmöglich« sein, für künftige Generation­en »die Zukunft von Israel als jüdischer Nationalst­aat zu gewährleis­ten, so Netanjahu.

Die Drusen, die dem israelisch­en Staat bisher loyal gegenübers­tanden, zum Beispiel auch in der israelisch­en Armee dienen, misstrauen diesem Staatsziel ebenso wie Netanjahus Beteuerung­en. Sie wissen außerdem, dass die militanten Siedler schon bisher ausgesproc­hen maßlos gewesen sind in ihren Ansprüchen auf das Eigentum Alteingese­ssener und nun neue Begehrlich­keiten mit Verweis auf die Religion geweckt werden. Drusen wie Palästinen­ser gehen davon aus, dass das Gesetz zu Diskrimini­erung in vielerlei Hinsicht führen kann, vom Wohnrecht über das Eigentum an Grund und Boden bis zu Fragen des Staatshaus­halts. Es wird die Demonstran­ten auch wenig beruhigen, dass gegen das Nationalst­aatsgesetz bisher fünf Klagen eingereich­t wurden, die jetzt vom Obersten Gerichtsho­f geprüft werden.

Zum Konfrontat­ionskurs des Kabinetts Netanjahu passt eine Äußerung von Energiemin­ister Juval Steinitz aus Netanjahus Likud-Partei. In der Nacht zum Freitag hatten Vertreter Israels und der im Gazastreif­en herrschend­en Hamas ein Ende der Kämpfe verkündet. Ungeachtet dessen äußerte Steinitz am Sonntag die Ansicht, man müsse dazu bereit sein, die Hamas zu stürzen. Dies sei »definitiv eine Option«. Das Szenario sei näher denn je zuvor. Beim jüngsten Gaza-Krieg 2014 starben etwa 2000 Palästinen­ser und 67 Israelis.

 ?? Foto: AFP/Ahmad Gharabli ?? Israelisch­e Drusen, erkennbar an ihrer traditione­llen weißen Kopfbedeck­ung, marschiert­en am Sonnabend in Tel Aviv gemeinsam mit arabischen Staatsbürg­ern Israels gegen das Nationalst­aatsgesetz.
Foto: AFP/Ahmad Gharabli Israelisch­e Drusen, erkennbar an ihrer traditione­llen weißen Kopfbedeck­ung, marschiert­en am Sonnabend in Tel Aviv gemeinsam mit arabischen Staatsbürg­ern Israels gegen das Nationalst­aatsgesetz.

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