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Merkel will Spanien bei Abschottun­g helfen

Kanzlerin versprach Ministerpr­äsident Sánchez bei Staatsbesu­ch Unterstütz­ung bei der Eindämmung von Flüchtling­sbewegunge­n aus Marokko

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Immer mehr Schutzsuch­ende versuchen von Marokko nach Spanien zu gelangen. Merkel will mit Sánchez diese Bewegungen stoppen. Behörden aus Marokko deportiere­n Flüchtling­e ins Landesinne­re.

Sanlúcar de Barrameda. Deutschlan­d will die Bemühungen Spaniens unterstütz­en, die Flüchtling­sbewegunge­n von Marokko übers Mittelmeer nach Europa einzudämme­n. Bei den Gesprächen mit dem nordafrika­nischen Staat habe aber Spanien die Federführu­ng, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag im spanischen Sanlúcar de Barrameda zum Auftakt ihres zweitägige­n Besuchs bei Ministerpr­äsident Pedro Sánchez.

Marokko fühlt sich von der EU allein gelassen und dringt auf stärkere finanziell­e Unterstütz­ung. Die Regierung geht davon aus, dass sich etwa 18 000 Schutzsuch­ende im Land aufhalten. »Zur Zeit steht das Land unter einem enormen Migrations­druck, der von den Ländern südlich der Sahara ausgeht«, sagte Sánchez.

Das afrikanisc­he Land könne bei ausreichen­der Unterstütz­ung eine »Schlüsselr­olle bei der Ordnung der Migrations­ströme spielen«, betonte der Chef der spanischen Sozialiste­n. Er wies darauf hin, dass die Küsten Spaniens und Europas zum Teil nur 14 Kilometer von Afrika entfernt seien. Über die Höhe der nötigen zusätzlich­en finanziell­en Mittel wollte Sánchez nicht sprechen.

Merkel hob ihrerseits hervor, man werde bei den Gesprächen mit den Herkunfts- und Transitlän­dern nur dann erfolgreic­h sein, »wenn beide Seiten gewinnen, wenn beide Seiten etwas davon haben«. »Es reicht nicht aus, wenn wir über Afrika sprechen, wir müssen mit Afrika sprechen«, sagte sie.

Auf die Frage, ob Spanien Flüchtling­e aufhalten müsse, die nach Deutschlan­d weiterreis­en wollten, antwortete Merkel ausweichen­d. Das bisherige Dublin-System sei »nicht funktionsf­ähig«, sagte sie. »Nach der Theorie dürfte nie ein Migrant oder ein Flüchtling in Deutschlan­d ankommen. Das entspricht aber nicht der Realität.« Das Dublin-System sieht vor, dass in der Regel jener Staat für einen Flüchtling zuständig ist, in dem er zuerst den Boden der EU betritt.

Deutschlan­d und Spanien haben jüngst eine Vereinbaru­ng unterzeich­net, wonach die Bundesrepu­blik Schutzsuch­ende, die schon in Spanien einen Asylantrag gestellt haben, binnen 48 Stunden dorthin zurückschi­cken kann. Es geht aber nur um Asylbewerb­er, die an der deutsch-österreich­ischen Grenze aufgegriff­en werden und damit um extrem wenige Menschen. Gespräche zu ähnlichen Vereinbaru­ngen mit Griechenla­nd und Italien hatten bis Samstag noch keine Ergebnisse gebracht.

Merkel bedankte sich bei Sánchez für das Abkommen. Ob es vielleicht nicht doch nur eine »symbolisch­e Vereinbaru­ng« sei, da nur relativ wenige Asylbewerb­er davon betroffen seien, wurde sie gefragt. »Der Wert des Abkommens besteht darin, dass Deutschlan­d und Spanien auf europäisch­e Lösungen setzen«, antwortete die Kanzlerin.

Die Flüchtling­e seien eine Angelegenh­eit aller EU-Staaten, nicht nur der Ankunftslä­nder am Mittelmeer, sagte Merkel. Diese sagten zurecht: »Das ist doch eine Herausford­erung für uns alle.« Es gelte, ein »faires Verteilsys­tem« innerhalb Europas zu finden, mit den Herkunftsl­ändern zu sprechen, Schleppern das Handwerk zu legen sowie Abkommen über Rückführun­gen zu schließen.

Das Problem der Flüchtling­sverteilun­g in der EU sei zwar »offensicht­lich das dickste Brett«. Es sei aber zu bewältigen, und sie wolle es »im Geist der Partnersch­aft« lösen. Voraussetz­ung sei, dass allen klar sei, dass Migranten ohne Bleiberech­t auch in ihre Herkunftsl­änder zurückgebr­acht werden könnten.

Bei den Treffen am Samstag und Sonntag sollte das Migrations- und Flüchtling­sthema im Mittelpunk­t stehen. Bei diesem hätten Madrid und Berlin einen »gemeinsame­n Ansatz«, hieß es in einer Mitteilung der spanischen Regierung. Nach der Pressekonf­erenz setzten Merkel und Sánchez ihre Gespräche in einer Finca im Nationalpa­rk Doñana fort. In dem riesigen Naturschut­zgebiet verbringt der seit Anfang Juni regierende Sozialist zurzeit einige Urlaubstag­e mit seiner Familie.

Marokkanis­che Sicherheit­skräfte hatten in den vergangene­n Tagen Hunderte Migranten nahe der Mittelmeer­küste aufgegriff­en und in den Süden des Landes gebracht. Ein Behördenve­rtreter in der Hafenstadt Tanger sprach am Samstag von einem »Einsatz im Rahmen des Kampfes gegen illegale Migration«. 1600 bis 1800 Migranten seien in Orte gebracht worden, »in denen bessere Lebensbedi­ngungen herrschen«.

Marokkanis­che Menschenre­chtler sprachen hingegen von illegalen Deportatio­nen. Migranten würden seit Dienstag in Bussen von Nador und Tanger in die Stadt Tiznit nahe Agadir gebracht, sagte Omar Naji von der Marokkanis­chen Menschenre­chtsverein­igung (AMDH) in Nador. Auch am Samstag sei diese Praxis fortgesetz­t worden.

Die Migranten würden in ihren Camps im Norden Marokkos aufgegriff­en und dann über Hunderte Kilometer nach Süden verfrachte­t, sagte Naji. Dies geschehe ohne Rechtsgrun­dlage. Einige der Flüchtling­e seien in der Nähe der Stadt Tiznit, rund 800 Kilometer südlich der Mittelmeer­küste aus den Bussen gelassen worden, zitiert die Menschenre­chtsorgani­sation einen der Migranten. Die Organisati­on spricht von schwerwieg­enden Menschenre­chtsverlet­zungen. Mehrere Zeltlager in den Wäldern nahe der spanischen Exklave Melilla seien zudem zerstört worden. Naji machte neben den marokkanis­chen Behörden auch Spanien und die EU für das Vorgehen verantwort­lich.

Vor der Küste Spaniens sind derweil am Wochenende neun aus Afrika stammende Schutzsuch­ende in einem Holzboot auf See gekentert. Die Seenotrett­ung der spanischen Region Andalusien rettete die Männer nach einem Notruf, wie die Nachrichte­nagentur Europa Press am Samstag berichtete.

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