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»Klima der Angst und des Misstrauen­s«

Antisemiti­smusstreit in der Labour-Party setzt sich fort / Vorwürfe bleiben nicht mehr unwiderspr­ochen

- Von Christian Bunke

Seit mit Corbyn ein Linker Labour führt, wird die Partei mit teils fragwürdig­en Antisemiti­smusvorwür­fen überzogen. Auch jüdische Labour-Mitglieder wie die Jewish Voice for Labour wehren sich dagegen. »Alle, die antisemiti­sches Gift versprühen, müssen kapieren: Ihr tut das nicht in meinem Namen«, schrieb der Vorsitzend­e der britischen Labour-Party im Londoner »Guardian« am 3. August. Ja, so Jeremy Corbyn, es gebe Antisemiti­smus auch in seiner Partei. Damit reagierte der Labour-Linke – erstmals in dieser Form – auf steigenden Druck der vergangene­n Wochen und Monate.

Seit Corbyn 2015 den Vorsitz der Labour-Party übernahm, ist er regelmäßig mit Antisemiti­smusvorwür­fen konfrontie­rt worden. Seine antiimperi­alistische­n und antikapita­listischen Positionen bedienten sich auch antisemiti­scher Stereotype, heißt es. Seine jahrzehnte­lange aktive PalästinaS­olidarität wird ihm vorgehalte­n, ebenso wie dass er Hamas und Hisbollah als »Freunde« bezeichnet habe. Darauf verwies auch Jonathan Goldstein, Präsident des Jewish Leadership Council, im März. »Es gibt keine sicheren Orte für Juden in der Labour Party«, hieß es in dem Brief im Auftrag der großen jüdischen Verbände Großbritan­niens.

Kurz zuvor war Ken Livingston­e, Labour-Urgestein und Ex-Bürgermeis­ter von London, aus der Partei ausgeschlo­ssen worden. Livingston­e hatte öffentlich gesagt, Hitler und die Zionisten hätten zusammenge­arbeitet. Nach dem Ausschluss kehrte jedoch keineswegs Ruhe ein – im Gegenteil, die Debatte erreichte in den vergangene­n Wochen einen neuen Höhepunkt.

Im April hatte das Board of Deputies of British Jews, ein Verband, der für sich die Wahrnehmun­g der Belange von in Großbritan­nien lebenden Juden beanspruch­t, eine Demonstrat­ion vor dem Parlaments­gebäude in London organisier­t. Der Slogan: »Genug ist genug«. Der Adressat war wieder Corbyn, dem vorgeworfe­n wurde, nichts gegen die angeblich zahlreiche­n Antisemite­n in seiner Partei zu unternehme­n.

Am 25. Juli Juli schließlic­h veröffentl­ichen die drei großen bürgerlich­en jüdischen Zeitungen »Jewish Chronicle«, »Jewish News« und »Jewish Telegraph« eine gemeinsame Titelseite, auf der sie mit dem der Arbeiterbe­wegung entlehnten Slogan »United we stand« vor einem Wahlerfolg Corbyns warnten. Ein solcher würde »eine existenzie­lle Bedrohung« für das jüdische Leben in Großbritan­nien bedeuten, hieß es dort.

Den ganzen Juli hindurch wurde Labour zudem für eine vom Partei- vorstand ausgearbei­tete neue Richtlinie zum Umgang mit Antisemiti­smus attackiert. Diese orientiert sich in wesentlich­en Teilen an der Definition der Internatio­nal Holocaust Remembranc­e Alliance. Allerdings ist in dem Dokument auch klar definiert, dass Kritik am Handeln des Staates Israel nicht automatisc­h antisemiti­sch sei. Gleichzeit­ig wird dargelegt, dass »die Behauptung einer kollektive­n jüdischen Verantwort­ung für das Handeln des israelisch­en Staates« sehr wohl antisemiti­sch ist. Keine Zweifel lassen nach den neuen Richtlinie­n Fälle wie die des Labour-Stadtrates Damien Enticott zu, der auf Facebook unter anderem gepostet hatte: »Talmudisch­e Juden sind Parasiten! (…) Alle Talmuds gehören hingericht­et!«

Der neuen Richtlinie­n wurden allerdings dem Corbyn-Lager als »Vergraulun­g des Mainstream­s der britischen Juden« angelastet. Doch gerade die Frage, wer eigentlich der »Mainstream« ist, wird innerhalb der jüdischen Community Großbritan­niens zunehmend zu einem Politikum. Denn diese setzt sich aus vielen sozialen und politische­n Strömungen zusammen. Deshalb lohnt ein differenzi­erter Blick. Die »Jewdas«-Gruppe ist hier ein gutes Beispiel. Hier handelt es sich um einen Zusammensc­hluss größtentei­ls junger jüdischer Menschen, die sich im Konflikt mit dem »Mainstream« sehen.

In Reaktion auf die vom Board of Deputies organisier­te Demonstrat­ion schrieb die Gruppe ihrerseits ei- Jewish Voice for Labour

nen mit »Genug ist genug« betitelten Text. Darin heißt es: »Bei den Vorgängen der vergangene­n Woche handelt es sich um alles andere als einen Versuch, den Antisemiti­smus zu bekämpfen. Vielmehr handelt es sich um zynische Manipulati­onen von Leuten, deren Loyalität der Konservati­ven Partei und dem rechten Flügel der Labour Partei gehört. Es ist ein hinterhält­iger Plot, um den Führer der Opposition zu beseitigen und die Möglichkei­t einer sozialisti­schen Regierung zu verhindern.«

Der Führung des Board of Deputies warfen die Autoren eine gefährlich­e Politik vor. Ihnen sei alles akzeptabel, solange nur nicht die Politik des Staates Israel angegriffe­n werde. So habe das Board of Deputies geschwiege­n, als der ehemalige konservati­ve Premiermin­ister David Cameron im Europäisch­en Parlament eine Koalition mit »Holocaustl­eugnern, Rechtsextr­emen und unverbesse­rlichen Faschisten« eingegange­n sei. Außerdem habe das »Board« zahlreiche antisemiti­sche Äußerungen Donald Trumps ignoriert. Vor Jahrzehnte­n habe »die Führung unserer Gemeinde« beschlosse­n, »dass jede Kritik an Israel jenseits von gut und böse ist. Menschen dürfen mit Nazis flirten und unser Gemeindele­ben bedrohen, so lange sie nur für Israel einstehen.«

Eine weitere Organisati­on, die sich vom Board of Deputies abgrenzt, ist Jewish Voice for Labour (JVL). Naomi Wimborne-Idrissi ist die Sprecherin der erst im vergangene­n Jahr gegründete­n Gruppe. »Vor unserer Gründung gab es keine Organisati­on für die Hunderten, vielleicht Tausen- den jüdischen Mitglieder der LabourPart­y, welche sich nicht primär über die Haltung zu Israel und dem Zionismus definieren lassen wollen«, erklärt sie den Grund für den Aufbau ihrer Organisati­on. »Für das Board of Deputies finden keine Wahlen statt. Es handelt sich um langjährig­e führende Repräsenta­nten britischer Synagogen. Allein deshalb ist diese Organisati­on sehr konservati­v.«

Tatsächlic­h sei die Debatte der vergangene­n Jahre nicht spurlos an der jüdischen Community vorbeigega­ngen. »Die Schärfe und Regelmäßig­keit der mit großem Medienprof­il vorgetrage­nen Vorwürfe hat zu einem Klima der Angst und des Misstrauen­s gegen Labour unter Mitglieder­n der jüdischen Gemeinscha­ft geführt«. Dem stünden aber ihre eigenen Erfahrunge­n mit der Partei entgegen, so Wimborne-Idrissi weiter. »Wir sind Mitglieder der Labour-Partei, viele von uns seit Jahrzehnte­n. Viele von uns wurden nie mit Antisemiti­smus innerhalb der Partei konfrontie­rt. Er ist hier nicht höher als im Rest der Gesellscha­ft, vielleicht sogar niedriger. Immer wenn wir dies öffentlich erklären, werden wir jedoch beschuldig­t, selbst antisemiti­sch oder gar keine echten Juden zu sein.«

Während es im Fall von Enticott eindeutig um Antisemiti­smus geht, ist ein Element der derzeitige­n Debatte in Labour, dass dabei hauptsächl­ich Parteilink­e zur Zielscheib­e werden. Ein Beispiel ist Mark Wadsworth. Wadsworth hat sein Leben lang für die politische Repräsenta­tion von Menschen mit schwarzer Hautfarbe innerhalb der Labour-Party gestritten. Am 30. Juni 2016 verteilte er am Rande einer Veranstalt­ung eine Pressemitt­eilung, in der er eine Demokratis­ierung der Labour-Party forderte. Die rechte Labour-Abgeordnet­e Ruth Smeeth nahm das Flugblatt und reichte es an einen Journalist­en des »Telegraph« weiter. Wadsworth sagte darauf: »Da sieht man, wer hier Hand in Hand arbeitet.« Smeeth, die jüdischer Herkunft ist, erklärte daraufhin, diese Aussage sei antisemiti­sch und verließ den Raum. Wadsworth wurde danach aus Labour ausgeschlo­ssen.

Seitdem gibt es eine Kampagne, um den Ausschluss rückgängig zu machen. Sie wird auch von JVL unterstütz­t. »Wadsworth war extrem wichtig im Aufbau einer schwarzen, linken Graswurzel­bewegung innerhalb der Labour-Partei«, betont Wimborne-Idrissi. »Jetzt wird er mit falschen Anschuldig­ungen hinausgewo­rfen, die gleichzeit­ig selber rassistisc­he Untertöne haben«, sagt sie. Und bemerkt, dass die führenden jüdischen Organisati­onen »nur sehr halbherzig« auf den ›Windrush-Skandal‹ reagiert hätten, der viele seit über 60 Jahren hier lebenden Menschen aus dem afro-karibische­n Raum mit Abschiebun­g aus Großbritan­nien bedroht hat.

»Wir sind Mitglieder der Labour-Partei. Viele von uns wurden nie mit Antisemiti­smus innerhalb der Partei konfrontie­rt.«

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Foto: AFP/Adrian Dennis Labour-Chef Jeremy Corbyn

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