Waldstadt bangt um ihren Wald
Im Potsdamer Süden sollen Bäume für einen Schulcampus und Sportplätze geopfert werden
Am Potsdamer Viertel Waldstadt II sollen ein Bildungscampus und Sportplätze entstehen. Doch eine Bürgerinitiative wehrt sich gegen diesen Plan. Der Bollerwagen – er ist mit Wasserflaschen beladen und mit zwei SPDFahnen geschmückt – rumpelt durch den Wald. Mike Schubert, SPD-Kandidat für die Potsdamer Oberbürgermeisterwahl am 23. September, hat zu einem Stadtspaziergang geladen. Die Stadt ist eigentlich ganz nah, doch die Wohnblöcke des zu DDR-Zeiten errichteten Plattenbauviertels Waldstadt II sind vor lauter Bäumen nicht zu sehen.
Beim Bau der beiden Waldstadtviertel wurde mit eigens entwickelten Verfahren der alte Baumbestand zwischen den Wohnblöcken geschont. Das ist schön, und wer am Rand der Siedlung lebt, bekommt als Zugabe noch ein Stück dichten Waldes hinzu. Die Anwohner lieben das, und kämpfen darum, dass es so bleibt.
Denn die Stadt Potsdam will zwischen der Siedlung und den Gleisen am Bahnhof Potsdam-Rehbrücke einen sechs Hektar großen Campus für 1400 Schüler nebst Hort und Kita errichten, außerdem noch zwei Vereinssportplätze. Insgesamt müssten dafür knapp 13 Hektar Wald gerodet werden. Damit sind viele Anwohner nicht einverstanden. Sie sorgen sich um ihre Ruhe, wenn bis 22 Uhr lauthals das Fußballspielen trainiert wird und die vielen Amateursportler anschließend mit aufheulenden Motoren davonfahren.
Die Schule würden die Anwohner noch zähneknirschend akzeptieren, da würden sie einlenken, versichert die Bürgerinitiative für Waldstadt. »Denn die Schule ist wenigstens um 16 Uhr aus.« Doch bei den Sportplätzen ist für sie das Maß voll.
Wenn SPD-Kandidat Schubert denkt, der Streit drehe sich lediglich um Lärmbelästigung, dann hat er sich getäuscht. 60 Menschen sind zum Treffen mit Schubert gekommen und applaudieren Kerstin Woller von der Bürgerinitiative, als sie am Samstagmorgen darlegt, dass es um den Erhalt der Natur gehe und dass es Alternativen gebe, etwa einen bereits zu DDR-Zeiten angelegten Sportplatz, der zugewuchert sei und reaktiviert werden könnte, anstatt den Wald abzuholzen. »Sportplätze im Landschaftsschutzgebiet sind unserer Rechnung nach überflüssig«, sagt Woller laut und deutlich. Schließlich wurde sie auch zur Sprecherin auserkoren, weil sie unter den Mitstreitern der Bürgerinitiative diejenige ist, die die kräftigste Stimme hat.
Die Stimmung ist anfangs aufgeheizt. Ob die Baupläne überhaupt noch verhandelbar sind, will ein Mann wissen, der sich von den Plänen der Stadtverwaltung überrumpelt fühlt. Noch könne etwas geändert werden, versichert Schubert. Ewig Zeit für Korrekturen wäre aber auch nicht mehr. Der Sozialdemokrat stellt klar, dass es nur um einen Kompromiss gehen könne. Nach dem Motto »Schulen, Kitas und Sportplätze ja, aber nicht bei mir vor der Haustür« könne es nicht laufen. Die Landeshauptstadt benötige angesichts einer stetig wachsenden Einwohnerzahl nun einmal zusätzliche Wohnungen und Bildungsstätten. Irgendwo müssen die hin.
Schubert macht seine Sache geschickt. Er spricht beruhigend und so, als wäre er bereits der neue Oberbürgermeister, der alles im Griff hat. Er äußert Verständnis für die Leute und lässt durchblicken, dass er einer von ihnen sei. Er habe lange in der Waldstadt gelebt, erzählt er. Sein Sohn habe hier die Kita der Volkssolidarität besucht, er selbst sei gern durch den Wald gejoggt, der jetzt als Bauland ins Auge gefasst ist. Für Verbitterung bei der Bürgerinitiative sorgt aber doch, dass ihre Gegenvorschläge von der Politik zwar dankbar aufgenommen, aber nicht als Alternative angenommen werden. Denn die Stadt prüft lediglich, ob sie auf den ihr genannten Flächen noch mehr Sportplätze anlegen kann. An den Plänen für die zwei Sportplätze im Wald ändert sich dadurch nichts.
Die parteilose Gleichstellungsbeauftragte Martina Trauth schaut bei dem Termin kurz vorbei. Sie tritt bei der Oberbürgermeisterwahl für die LINKE an und möchte, dass das städtische Grün erhalten bleibt, auch hier am Bahnhof Rehbrücke. In der Stadtverordnetenversammlung hat die LINKE den Bauplänen allerdings zugestimmt. »Leider«, kommentiert Martina Trauth. Sie erlaubt sich in dieser Frage eine eigenständige Meinung. »Ich bin dafür, dass Natur erhalten bleibt«, sagt sie. So ist das auch in ihren Wahlversprechen nachzulesen.
Der Stadtverordnete Stefan Wollenberg (LINKE) bedauert: »Wir brauchen den Schulstandort.« Aber es müsse so viel Grün wie möglich erhalten bleiben, sagt er.
Etwas Bewegung hat es gegeben. Weil die Bürgerinitiative protestierte und etwa 600 Unterschriften sammelte, wurden die geplanten Sportanlagen in den Zeichnungen von den Wohnhäusern weggerückt, so dass ein grüner Schutzstreifen bleibt. Die Anlagen sollen sich nun näher an den Schienen befinden. Aber das gefällt nicht jedem. Beim Spaziergang meldet sich ein Mann zu Wort, der sein Häuschen auf der anderen Seite der Schienen in der Gemeinde Nuthetal hat. Durch die Plankorrektur würde er nun mehr Lärm abbekommen.
Es ist nicht abzusehen, wann es losgeht. Nach derzeitigem Kenntnisstand wäre ein Baustart 2022 möglich, informiert Pressesprecherin Christine Homann. Detaillierte Kostenrechnungen liegen noch nicht vor, jedoch sei von Investitionen im Umfang von mehr als 50 Millionen Euro auszugehen. 2025 oder 2026 könnte alles fertig sein.