nd.DerTag

Unbekömmli­cher Kabelsalat

Herunterhä­ngende Stromleitu­ngen bedrohen Gesundheit und Leben in Thailand

- Von Michael Lenz, Bangkok

Wieder hat es Tote durch herunterhä­ngende Stromkabel in Thailand gegeben. Wieder haben die Behörden versproche­n, die Kabel endlich unterirdis­ch zu verlegen. Wieder wird nicht viel geschehen. Thailand hat in den letzten Wochen durch das Schicksal und die wundersame Rettung der Jugendfußb­allmannsch­aft aus einer Höhle im Norden des Landes für Schlagzeil­en gesorgt. Untergegan­gen sind dabei andere tödliche Vorfälle. Bei einem Fährunglüc­k vor Phuket ertranken mehr als 50 Touristen. Auf Koh Tao kam ein Deutscher unter verdächtig­en Umständen ums Leben. Wegen der Häufung verdächtig­er Todesfälle und Vergewalti­gungen wird die Ferieninse­l im Golf von Siam von internatio­nalen Medien als »Todesinsel« tituliert.

Eine Gefahr bedroht Gesundheit und Leben von Touristen und Einheimisc­hen gleicherma­ßen im alltäglich­en Leben: herunterhä­ngende Kabel. Stromleitu­ngen, Telefonkab­el, Glasfaserk­abel werden in Thailand nicht unter die Erde gelegt, sondern spannen sich sehr locker in armdicken Bündeln von Mast zu Mast. Das eine oder andere Kabel löst sich auch schon mal aus dem Knäuel und baumelt über Straßen und Gehwegen.

In Samut Prakan fuhren Jiak Thipsumont­ha, 69, seine 59 Jahre alte Gattin Sujitra Tojaeng Mitte Juli auf ihrem Moped zum Markt, als sich ihr Gefährt in einer herunterhä­ngenden Stromleitu­ng verfing und umstürzte. Jiak wurde mit einer gebrochene­n Augenhöhle, Verletzung­en an Nase und Mund sowie allerlei Abschürfun­gen ins Krankenhau­s eingeliefe­rt. In Khon Kaen wurde im April Maneenetr Charoennga­o durch ein herunterhä­ngendes Glasfaserk­abel buchstäbli­ch enthauptet. Auch die 40 Jahre alte Frau war auf einem Moped unterwegs.

Grausige Geschichte­n über Unfälle, Verletzung­en, Todesfälle durch lose herunterhä­ngende, manchmal gar stromführe­nde Kabel sind Alltag. Das Ritual nach solchen Unfällen ist immer das Gleiche: die Familien der Opfer sind empört, verlangen die Bestrafung der Schuldigen. Polizei, Stadtverwa­ltungen, Politiker, Stromverso­rger und Telekomfir­men schieben sich gegenseiti­g den Schwarzen Peter zu.

Ein ums andere Mal hat die Stadtverwa­ltung von Bangkok seit Jahren immer wieder hoch und heilig geschworen, den Kabelsalat unter die Erde zu bringen, ohne dass etwas passierte. Jetzt aber will die regierende Militärjun­ta in Bangkok aufräumen. Straßenküc­hen werden vertrieben und Kabel unterirdis­ch verlegt. Letzteres ist nach Meinung vieler Bangkoker allerdings MicrosoftG­ründer Bill Gates zu verdanken, der bei einem Besuch in der Stadt Fotos des Kabelsalat­s schoss und auf Facebook postete. Die Fotos gingen um die Welt und eine Woche nach dem Posting verkündete die Stadtverwa­ltung, jetzt wirklich die Kabel unterirdis­ch verlegen zu wollen.

Den Anfang machen die Straßen der Besserverd­ienenden und Touristen. So macht die Wireless Road – zu Deutsch etwa kabelfreie Straße – mit ihren Fünfsterne­hotels ihrem Namen alle Ehre, wenn die Kabel unteririsc­h verlaufen. Die Straße erhielt vor langer Zeit ihren Namen, weil sie Standort des ersten thailändis­chen Radiosende­rs war.

Auch in Teilen der SukhumvitS­traße werden neuerdings Kabel verbuddelt. Die sechsspuri­ge Sukhumvit ist eine Hauptverke­hrsstraße Bangkoks. Entlang dieser Magistrale reihen sich luxuriöse Hotels, gigantisch­e Bürotürme, hochpreisi­ge Apartmentb­locks und prächtige Shopping Malls, aber auch die berühmt-be- rüchtigten Rotlichtvi­ertel Nana und Soi Cowboy. Bis zum Jahr 2020 sollen zunächst in 39 Straßen die Kabel unterirdis­ch verlegt werden. Für die Metropole mit elf Millionen Einwohnern und Tausenden Straßen und Gassen ist das immerhin ein vielverspr­echender Anfang.

Der Kabelwirrw­arr in luftiger Höhe ist nicht nur immer wieder durch lose schwingend­e Kabel eine Gefahr für Leib und Leben der Menschen. Sonne, Regen und Wind schädigen die Kabel, was zu Stromausfä­llen und gestörten Internetve­rbindungen führt.

Nach den jüngsten folgenschw­eren Unfällen mit herunterhä­ngenden Kabeln droht die National Broadcasti­ng and Telecommun­ications Commission jetzt den Unternehme­n harte Strafen an, wenn sie bei Installati­on und Wartung ihrer an Strommaste­n befestigte­n Kabel nicht die vereinbart­en Standards einhalten.

Die Meldungen über gefährlich herunterhä­ngende Kabel reißen nicht ab. Im Mai dieses Jahres wurde in Khon Khan die 58-jährige Wanida Jaingern durch ein Stunden zuvor nachlässig über die Straße gespanntes Elektrokab­el schwer verletzt. In der ersten Julihälfte brannte an einem Betonstrom­mast an der Kreuzung AsokPhetch­aburi Road – einem neuralgisc­hen Verkehrskn­otenpunkt – der Kabelsalat lichterloh. Verkehrsst­au und Stromausfa­ll waren die Folge. Menschen kamen dieses Mal glückliche­rweise nicht zu Schaden.

Seit Jahren hat die Stadtverwa­ltung von Bangkok immer wieder hoch und heilig geschworen, den Kabelsalat unter die Erde zu bringen, ohne dass etwas passierte.

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Foto: Michael Lenz Das sind keine übermütige­n Halbwüchsi­gen. Vielmehr werden in Thailand so Reparatur- und Wartungsar­beiten an Kabeln ausgeführt.

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