Osten von den Socken
Sollten CDU und LINKE kooperieren, um AfD-Koalitionen zu verhindern? nd/Agenturen
Dresden. Die Debatte um eine mögliche Zusammenarbeit zwischen CDU und Linkspartei gewinnt weiter an Fahrt. Zumindest in Sachsen jedoch – dem Land, wo bei der Landtagswahl 2019 die Notwendigkeit ungewohnter Bündnisse mit am größten sein könnte – schließen beide Parteien eine Koalition kategorisch aus. Nach Ansicht von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) liegen zwischen beiden Parteien Welten. »Deshalb ist das eine abseitige Diskussion, die uns sehr, sehr schadet«, sagte er in Dresden. Auch mit Blick auf die Historie verbiete sich ein solches Bündnis. Die Linkspartei sei Nachfolgerin der SED, die mit dem Mauerbau die deutsche Teilung herbeigeführt habe. Laut Kretschmer darf nicht der Eindruck entstehen, dass eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien beliebig ist: »Das halte ich für tödlich.«
Auch die Linkspartei lehnte ein solches Bündnis ab. »Mit dieser sächsischen CDU ist kein Sozial- und Rechtsstaat zu machen – sie steht für Niedriglohnland, Vernachlässigung ländlicher Regionen, Verharmlosung von Rassismus und rechten Umtrieben«, betonte Fraktionschef Rico Gebhardt. Die Debatte sei eine CDU-interne Kontroverse: »Wenn sie als Nebeneffekt zu einer demokratischeren Kultur der CDU in Sachsen beiträgt und deren Fraktion dann auch mal Anträgen der Linksfraktion im Landtag zustimmt, soll mir das recht sein.«
Die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel erteilte Bündnissen mit der Linkspartei am Montag ebenfalls eine Absage. »Ich befürworte keine Zusammenarbeit mit der Linkspartei, und das schon seit vielen Jahren«, sagte Merkel in Berlin. Die Debatte um mögliche Kooperationen beider Parteien im Osten hatte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) am Wochenende ausgelöst. Er empfahl seiner Partei in dieser Frage Pragmatismus.
Das Auftauchen der AfD in der Parteienlandschaft und vor allem ihr bis jetzt anhaltender Erfolg zwingt die anderen Parteien dazu, über neue Regierungsbündnisse nachzudenken. Dass in Zukunft auch die CDU und die Linkspartei miteinander regieren, scheint derzeit allerdings noch sehr fraglich.
In einem Jahr wird in Sachsen gewählt. Es droht ein AfD-Erfolg. Ein Grund ist die Zersplitterung der Opposition – die nun in Teilen doch noch den Schulterschluss sucht. Am 1. September 2019 wird in Sachsen der Landtag gewählt. Bisher hielt sich an solchen Tagen die Spannung in Grenzen. Interessant war anfangs nur, wie groß die absolute Mehrheit der CDU ausfällt; seit 2004 ist die Frage, welche Partei ein bisschen mitregieren darf. Nächstes Jahr könnte der Freistaat indes Geschichte schreiben. Selbst wenn die AfD nicht erneut, wie bei der Bundestagswahl 2017, stärkste Partei wird, könnte sie erstmals in einer Landesregierung landen. Einer Umfrage vom Juni zufolge wäre eine schwarz-blaue Liaison – neben einer von beiden Seiten strikt ausgeschlossenen Politehe aus CDU und LINKE – das einzig mögliche Zweierbündnis. Alternative: eine bisher nie erprobte Viererbeziehung aus CDU, SPD, Grünen und FDP. Johannes Lichdi ist überzeugt, dass sich die erzkonservative sächsische CDU im Zweifel für die AfD entscheiden würde. Ihr liege an einer »Heilung der schmerzlich empfundenen Spaltung ihrer eigenen Wählerschaft«, schrieb der grüne Ex-Landtagsabgeordnete im Juni in einer viel beachteten Analyse. In deren Titel prophezeit er nüchtern: »Sachsen wird schwarz-blau.«
Die Hauptschuld an Verhältnissen, die den Rechtsruck denkbar werden lassen, gibt Lichdi der CDU. Ein Scherflein beigetragen hat seiner Überzeugung nach indes auch die Opposition. Sie versage »seit Jahren vor ihrer verfassungspolitischen Aufgabe und Pflicht, eine glaubwürdige und wählbare Alternative (...) zu erarbeiten«, schreibt der erklärte Befürworter rot-rot-grüner (oder, wie unter seiner Beteiligung seit 2014 im Stadtrat von Dresden praktiziert, rotgrün-roter) Bündnisse: »Während sich die Rechte radikalisiert, verharrt die linke Seite (...) in ihrer Unfähigkeit zur strategischen Zusam- menarbeit.« Ähnlich sieht es Silvio Lang, seit Ende 2017 Landesvize der LINKEN. Er kennt die Kooperation in Dresden aus eigenem Erleben. Auf Landesebene aber, stellte er in einer Replik auf Lichdis Text kürzlich fest, »herrscht Funkstille«.
Vor vier Jahren hatte immerhin die LINKE im Wahlkampf für R2G geworben, was wegen geringer Aussichten auf eine Mehrheit intern freilich nicht unumstritten, geschweige denn durch Gespräche über gemeinsame Projekte vorbereitet gewesen wäre. Die SPD dagegen hielt sich alle Türen offen und spekulierte – am Ende erfolgreich – auf eine Koalitionsanfrage der CDU. Bei den Grünen robbte sich Spitzenkandidatin Antje Hermenau gegen den Willen vieler Parteifreunde ebenfalls an die CDU heran.
Nach der Wahl, bei der die AfD mit 9,7 Prozent ihren ersten Erfolg erzielte, das linke »Lager« aber in Summe nur auf 37 Prozent kam, redete zunächst keiner mehr davon, gemeinsam an einem Strang zu ziehen – auch die LINKE nicht. Erst jetzt kommt wieder Bewegung in die Sache – zwölf Monate vor einer Abstimmung, die Sachsens Grüne eine »Zäsurwahl« nennen. So steht es in einem Antrag für eine Landesdelegiertenkonferenz Ende August, in dem in überraschender Klarheit aufgerufen wird, die rechtskonservative Wende zu verhindern – indem die politische »Macht der CDU« gebrochen werden soll. Deren aktuelle Anbiederung führe das Land in die Unregierbarkeit oder »in die Hände der AfD«. In Abgrenzung dazu wolle man für »zentrale Werte unserer Gesellschaft und der Demokratie« eintreten und den »Kampf« für »ein anderes Sachsen« aufnehmen. Zu dem Zweck sei man auch bereit, mit allen ähnlich Gesinnten »ins Gespräch zu kommen«.
Die LINKE reagierte aufgeschlossen. Ein linkes Lager müsse verhindern, dass der Freistaat »in SchwarzBraun versinkt«, sagte ihr Landesgeschäftsführer Thomas Dudzak. Er merkte an, das »Signal der Bereitschaft, für ein anderes Sachsen zu kämpfen«, habe vor früheren Wah- len gefehlt. Diesmal soll das anders sein – wobei die »Aufgabe nicht zuerst darin besteht, an numerischen Mehrheiten zu basteln«. Die sind momentan auch nicht in Sicht; die Umfrage vom Juni sieht die R2GParteien gar nur bei 34 Prozent.
Vielleicht, so die Hoffnung, ändert sich das, wenn Wähler erkennen können, dass und wofür das Lager steht. Man müsse, sagt Dudzak, einen »gesellschaftlichen Ansatz (...) tragfähig machen, der auf gemeinsamen Wertevorstellungen aufbaut« – und durch Projekte untersetzt wird. Darauf hatte zuvor schon Landesvize Lang gedrängt. In einem Antrag für den Parteitag der sächsischen LINKEN am 25. August fordern er und sein Bautzener Genosse Bruno Rössel ihre Partei auf, Gespräche »ohne Vorbedingungen« auf allen politischen Ebenen mit SPD und Grünen zu führen. Ziel sei es, die bisherige »Sprachlosigkeit« zu überwinden und ein »Lager der Solidarität« zu formen. Die Grünen scheinen bereit. Ob die SPD in ein solches Lager überwechselt, ist offen.
Johannes Lichdi ist überzeugt, dass sich die erzkonservative sächsische CDU im Zweifel für die AfD entscheiden würde. Ihr liege an einer »Heilung der schmerzlich empfundenen Spaltung ihrer eigenen Wählerschaft«, schrieb der grüne Ex-Landtagsabgeordnete im Juni in einer viel beachteten Analyse.