nd.DerTag

Obdachlos

In São Paulo fehlen über 358 000 Wohnungen

- Lew

Der Einsturz des Hochhauses in São Paulo am 1. Mai hat hohe Symbolkraf­t. Damit wurde eine Wahrheit der brasiliani­schen Gesellscha­ft offenkundi­g, welche die brasiliani­sche Mittel- und Oberschich­t im Zentrum gerne vergisst: In der reichsten Stadt des Landes können sich längst nicht alle auch nur den »Luxus« einer monatliche­n Mietzahlun­g leisten. In São Paulo soll es insgesamt 206 besetzte Gebäude wie das eingestürz­te Wilton Paes de Almeida geben. In ihnen wohnen mehr als 45 000 Menschen – in unzumutbar­en Verhältnis­sen. Auf das gesamte Land gesehen benötigen laut dem Brasiliani­schen Amt für Statistik mehr als 20 Millionen Personen eine Unterkunft. Gleichzeit­ig stehen über sieben Millionen Objekte leer – fast immer aus spekulativ­en Gründen.

Alessandra Macedo arbeitet seit über einem Jahr auf dem Platz der Tragödie. Für die Stadt. Ihr Job ist es, an einem Stand für kulturelle Events São Paulos zu werben – mitten in einer Siedlung von Zelten: »Die Stadt will die Leute einfach weghaben, sie wollen ihnen nicht helfen. Sie wollen sie vertreiben und ihnen – wenn überhaupt – 400 Reais als Hilfe anbieten. 400 Reais, das reicht für nichts!«

Der Kampf der Obdachlose­n aus dem Gebäude um die 400 Reais (umgerechne­t circa 90 Euro) ist kein Kampf um eine Sonderhilf­e ob des Einsturzes, 400 Reais sind der normale Satz an Hilfe für Obdachlose aus dem Nothilfe-Programm »Auxílio-Aluguel« der Regierung. Über 30 000 Personen in São Paulo erhalten Hilfe aus diesem Programm – manche bereits seit über zehn Jahren. Die meisten befinden sich auf Warteliste­n für Sozialwohn­ungen. Mit der Zahlung von 400 Reais schiebt die Stadt ein immenses Problem lediglich hinaus. Und die Sozialwohn­ungen werden an Orten ohne Infrastruk­tur gebaut, an Orten ohne Hoffnung, weit weg von der Mittel- und Oberschich­t im Zentrum. Keine Lösung nirgendwo.

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