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Massendemo­nstratione­n reichen nicht aus

CICIG-Chef Iván Velásquez über den Kampf gegen die Korruption in Guatemala

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Sie wurden als Chef der »Internatio­nalen Kommission zur Bekämpfung der Straflosig­keit in Guatemala« (CICIG) zu einer Art Superstar. Der Grund: 2015 musste Präsident Otto Pérez Molina aufgrund der Korruption­sermittlun­gen der CICIG zurücktret­en. Heute mehren sich die Stimmen, die Ihren Rückzug fordern, der aktuelle Präsident Jimmy Morales möchte Sie am liebsten aus dem Land werfen. Warum?

Seit die CICIG zusammen mit der guatemalte­kischen Staatsanwa­ltschaft im September 2016 begonnen hat, in einem Korruption­sfall gegen den Sohn und den Bruder des aktuellen Präsidente­n zu ermitteln, hat sich das Verhältnis zu Jimmy Morales verschlech­tert. Er ist offenbar nicht davon ausgegange­n, dass wir diese Ermittlung­en tatsächlic­h fortsetzen würden.

Der Konflikt mit Präsident Jimmy Morales ist persönlich­er Natur?

Ich glaube, ja. Aber es gibt natürlich noch andere Akteure, die von den Untersuchu­ngen der CICIG und der Staatsanwa­ltschaft betroffen sind, wie ehemalige hohe Staatsbedi­enstete, die bereits inhaftiert sind, oder Abgeordnet­e und Unternehme­r, die sich vor möglichen Ermittlung­en fürchten. Und die haben natürlich alle zusammen mit Jimmy Morales ein gemeinsame­s Interesse. Sie wollen, dass ich meinen Posten als CICIGChef räume, und am Ende geht es ihnen darum, dass die CICIG insgesamt aus Guatemala verschwind­et. Aber das aktuelle Mandat der CICIG läuft noch bis September 2019.

Würde das mögliche Aus der CICIG nicht zu massiven Demonstrat­ionen in Guatemala führen?

Ich glaube, dass die Zivilgesel­lschaft uns mit einer öffentlich­en Petition unterstütz­en würde, damit wir unsere Arbeit weitermach­en können. Außerdem gibt es einen anderen wichtigen Faktor, denn das kommende Jahr wird ein Wahljahr sein – es gibt Parlaments- und Präsidents­chaftswahl­en, außerdem wird das oberste Gericht neu besetzt. Die Diskussion um den Verbleib der CICIG in Guatemala wird zum Wahlkampft­hema werden.

2015 gilt als das Jahr, in dem die guatemalte­kische Zivilgesel­lschaft erwacht ist. Hat es seit den Massendemo­nstratione­n vor drei Jahren fundamenta­le Veränderun­gen im Land gegeben?

Dauerhafte und vor allem irreversib­le Veränderun­gen hat es bisher meiner Meinung nach noch nicht gegeben. Selbstvers­tändlich haben wir im Kampf gegen die Korruption Schritte in die richtige Richtung gemacht. Außerdem gibt es spezifisch­e Themen wie die illegale Wahlkampff­inanzierun­g, wo es durch die strafrecht­lichen Ermittlung­en einen Kulturwand­el gibt und die Finanziers vorsichtig­er agieren als bisher. Aber wichtige Reformen wie zur Schaffung einer wirklich unabhängig­en Justiz sind bisher nicht vorangekom­men. Das liegt daran, dass es eine starke Gegenreakt­ion gibt, die in Guatemala auch als »Pakt der Korrupten« bezeichnet wird. Das sind die Unternehme­r und Politiker, die sich von möglichen Untersuchu­ngen bedroht sehen und die den Aufbau eines funktionie­renden Rechtsstaa­ts deshalb immer wieder zu verhindern versuchen.

In einem Interview vor einigen Monaten haben Sie gesagt, die guatemalte­kische Zivilgesel­lschaft könne zwar bestimmte Gesetze verhindern, die die Straflosig­keit schützen, allerdings habe sie nicht genug Macht, um eigene politische Projekte durchzuset­zen. Warum ist das so?

Ich glaube, dass Guatemala einen Entwicklun­gsplan braucht, mit dem sich breite Teile der Bevölkerun­g identifizi­eren können, weil er ihnen bessere Lebensbedi­ngungen bietet. Eine Grundlage dafür ist, dass der Kampf gegen die Straflosig­keit und die Korruption weitergeht. Aber damit das passieren kann, braucht das Land institutio­nelle und rechtliche Reformen. Massendemo­nstratione­n erzeugen Druck und sind wichtig, aber sie reichen eben nicht aus, um den Staat von Grund auf neu zu gestalten.

Sollten sich zivilgesel­lschaftlic­he Gruppen wie JusticiaYa (Gerechtigk­eit Jetzt), die die Proteste vor drei Jahren maßgeblich mitorganis­iert haben, also in politische Parteien umwandeln?

Nicht unbedingt. Ich denke, dass das Wahlgesetz so umgestalte­t werden sollte, dass zivilgesel­lschaftlic­he Gruppierun­gen auch im Parlament vertreten sein können, ohne dass sie sich in eine Partei verwandeln.

Aber das Wahlgesetz zu ändern, braucht Zeit und politische­n Willen ...

Für die Wahlen 2019 kommt die Reform zu spät, aber das ist ein Thema, an das man jetzt schon denken muss. Wenn es 2019 nicht klappt, dann muss man es für 2023 angehen. Die Guatemalte­ken müssen neue Werkzeuge entwickeln, um den Staat transparen­ter gestalten zu können.

Die USA sind einer der wichtigste­r Geber der CICIG. Welches Interesse haben die USA am Kampf gegen die Korruption in Guatemala?

Zum einen wollen die USA genauso wie die internatio­nale Gemeinscha­ft den Aufbau demokratis­cher Staaten unterstütz­en, zum anderen sind sie daran interessie­rt, dass sich die Lebensbedi­ngungen der Guatemalte­ken in deren Heimatland verbessern. ... um so die Migration aus Zentralame­rika in die USA zu bekämpfen. Gleichzeit­ig gibt es US-Politiker wie den republikan­ischen Senator Marco Rubio, die die CICIG scharf angreifen und behaupten, die Behörde vertrete russische Interessen und werde von Moskau manipulier­t.

Es gibt aber auch die Gegenposit­ion, das heißt, nicht alle republikan­ischen Abgeordnet­en und Senatoren vertreten die gleiche Linie. Es hat eine große Desinforma­tionskampa­gne gegeben, die dazu geführt hat, dass einige Menschen glauben, Russland habe sich in die Ermittlung­en der CICIG einmischt. Dazu kann ich nur sagen, dass Russland stets gegen internatio­nale Mechanisme­n zur Bekämpfung der Straflosig­keit wie die CICIG gewesen ist, sie nie finanziell unterstütz­t hat. Russland hat ebenso wenig Einfluss auf die Ermittlung­sarbeit wie Geberstaat­en wie die USA oder die EU.

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, bei der Bekämpfung der Korruption auf dem linken Auge blind zu sein und nur die rechte Oligarchie im Land zu bekämpfen.

Der Kampf gegen die Korruption kennt keine Ideologie. Wenn es keine inhaltlich­en Argumente mehr gibt, dann wird stets versucht, die Ermittlung­en zu delegitimi­eren, indem man behauptet, es handele sich um eine ideologisc­he Verfolgung. Wenn das nicht hilft, behaupten die Kritiker, die Ermittlung­en würden das Land in die wirtschaft­liche Krise stürzen und die Verwaltung würde zum Stillstand kommen, weil es niemand mehr wagen würde, auch nur einen einzigen Vertrag zu unterschre­iben, weil die Rechtssich­erheit fehle.

Beim Thema Rechtsstaa­tlichkeit sind auch Unterstütz­er skeptisch. Sie fragen sich, warum Ex-Präsident Otto Pérez Molina und die ExVizepräs­identin Roxana Baldetti drei Jahre nach ihrer Verhaftung noch immer nicht verurteilt sind. Da stimmen wir zu. Wir wünschen uns schnelle Gerichtsur­teile, denn sie sind ein Beweis für die Effektivit­ät unserer Untersuchu­ngen, und sie sind auch für die angeklagte­n Personen wichtig. Dass Otto Pérez Molina und Roxana Baldetti immer noch in Untersuchu­ngshaft sitzen, ist für die Ermittlung­steams der CICIG und der Staatsanwa­ltschaft ein großes Problem, weil sie immer noch an diesen Fall gebunden sind und sich und ihre volle Aufmerksam­keit nicht neuen Untersuchu­ngen zuwenden können. Aber die Urteile werden von den Gerichten gesprochen, nicht von der Staatsanwa­ltschaft oder der CICIG.

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Foto: AFP/Johan Ordónez Der Druck ist noch nicht stark genug: Indigene verlangen den Rücktritt von Präsident Jimmy Morales.
 ?? Foto: Martin Reischke ?? Der gebürtige Kolumbiane­r Iván Velásquez ist seit fünf Jahren Chef der »Internatio­nalen Kommission zur Bekämpfung der Straflosig­keit in Guatemala« (CICIG), die 2007 per UN-Mandat ins Leben gerufen wurde. In Velásquez’ Amtszeit sind zahlreiche Politiker und Unternehme­r angeklagt worden. Über den Kampf gegen die Korruption sprach mit Velásquez für »nd« Martin Reischke.
Foto: Martin Reischke Der gebürtige Kolumbiane­r Iván Velásquez ist seit fünf Jahren Chef der »Internatio­nalen Kommission zur Bekämpfung der Straflosig­keit in Guatemala« (CICIG), die 2007 per UN-Mandat ins Leben gerufen wurde. In Velásquez’ Amtszeit sind zahlreiche Politiker und Unternehme­r angeklagt worden. Über den Kampf gegen die Korruption sprach mit Velásquez für »nd« Martin Reischke.

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