nd.DerTag

Ambivalent­e Mikrokredi­te

Martin Ling über Chancen und Risiken von Geld auf Pump

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30 Dollar oder 30 Euro Kredit können helfen: um Saatgut zu kaufen, aus dem Getreide wird, um Fisch zu kaufen, aus dem Räucherfis­ch wird. Wenn das Kalkül der Kreditnehm­er oder - nehmerin aufgeht, kann der Mikrokredi­t einen Weg aus der Armut weisen.

Vor zehn Jahren begann die UN-Entwicklun­gskonferen­z UNCTAD mit der Arbeit an einem virtuellen Mikrofinan­zmarkt. In jener Zeit wurden Mikrokredi­te von vielen Entwicklun­gspolitike­rn als Wunderwaff­e im Kampf gegen die Armut gepriesen.

An schönen Slogans fehlt es weiterhin nicht. »Impact Investing« zum Beispiel. Bei diesem Ansatz, der auch im Mikrokredi­tsektor gepflegt wird, kommt es gleicherma­ßen auf eine finanziell­e wie »soziale« Rendite an. Finanziell lohnt es sich für den Kreditgebe­r, sozial für den Kreditnehm­er.

Keine Frage: Mikrokredi­te haben in den vergangene­n Jahren Millionen Menschen Möglichkei­ten verschafft, die sie ohne diese Geldmittel nicht gehabt hätten. Sie haben vielfach den Beweis erbracht, dass sie Menschen einen Ausweg aus ihrer Misere bieten können, wiewohl nicht zwangläufi­g müssen. Denn die Zinsen sind hoch, 25 bis 30 Prozent sind üblich, weit mehr nicht selten. Hohe Zinsen bedeuten hohes Risiko. So wurden viele Arme durch Mikrokredi­te in die Überschuld­ung getrieben. Ob in Indien oder Afrika haben sich aus Scham und Verzweiflu­ng vor allem Frauen das Leben genommen, weil sie Zinsen und Raten nicht mehr bedienen konnten. Der Kredit entpolitis­iert die existenzie­lle Frage des Überlebens und ökonomisie­rt sie in marktangep­asster Form. Damit wird zwar im Erfolgsfal­l ein Beitrag zum sozialen Frieden geleistet. Platzt jedoch der Kredit, bedeutet das das soziale Aus für den Kreditnehm­er. Mit oft tödlichen Folgen. Staat lässt sich mit Mikrokredi­ten nicht machen.

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