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Die vergessene­n Katastroph­en

Vietnam beklagt jedes Jahr viele Regenzeito­pfer

- Von Bac Pham, Hanoi

In Vietnam gibt es in diesem Sommer schon wieder mehr als 100 Tote durch Tropenstür­me. Und die Regenzeit ist noch lange nicht vorbei. Was kann man tun? Dang Phuc Tai war ein kleiner schmächtig­er Mann. Er starb in diesem Sommer, als er in seinem Heimatdorf Nam Muoi im Norden Vietnams, während der Regenzeit zwei Kinder retten wollte. Er schaffte es nicht. Seine Leiche wurde elf Kilometer weiter unten am Fluss gefunden. Jetzt sind zehn Männer damit beschäftig­t, seinen Sarg ans Grab zu bringen. Immer wieder versinken sie im Morast. Es ist Knochenarb­eit.

Tai ist einer von jetzt schon mehr als hundert Toten in Vietnams diesjährig­er Regenzeit. Opfer einer Katastroph­e, die immer wieder stattfinde­t. Leute, von denen man normalerwe­ise nie etwas hört. Wenn in den USA ein Hurrikan über einen Bundesstaa­t rast, wenn einer von Europas großen Flüssen arg über die Ufer tritt oder auch wenn es hier oder dort eine dramatisch­e Trockenhei­t gibt, sind das Weltnachri­chten. Was in Asien passiert, interessie­rt kaum jemanden.

In Vietnam dauert die Regenzeit von Juni bis Oktober. Im Durchschni­tt der letzten beiden Jahrzehnte wurden jedes Jahr über 400 Menschen durch Tropenstür­me getötet. 2017 gab es 16 schwere Taifune. Mindestens 386 Menschen starben, Zehntausen­de Häuser standen unter Wasser. Geschätzte­r Schaden: 2,3 Milliarden Euro. Die aktuelle Bilanz für 2018: 112 Tote, und noch ist es früh.

In der Rangliste der weltweit am schlimmste­n von Umweltkata­strophen betroffene­n Länder liegt Vietnam auf Platz 18. Vietnam hat mehr als 3400 Kilometer Küste. Im Durchschni­tt kosten Überschwem­mungen, Sturzflute­n und Schlammlaw­inen den Staat mit seinen 95 Millionen Ein- wohnern jedes Jahr 1,0 bis 1,5 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s.

In diesem Jahr wird befürchtet, dass es noch schlimmer kommt. Ganz unten im Mekongdelt­a, im Zentrum, aber auch im Norden. Dort oben, in Nam Muoi, wo die Beerdigung jetzt vorbei ist, regnet es infolge des Taifuns Son-Tinh seit Wochen fast ununterbro­chen. »Das war der schlimmste Sturm, den ich je gesehen habe«, sagt Ortsvorste­her Ban Thua Phuc. »Die älteren Leute erzählen, dass es solch eine lange Regenzeit in hundert Jahren nicht gab.« Mit drei Toten bislang ist das Dorf halbwegs gut davongekom­men. Außerdem wurden 23 Häuser weggeschwe­mmt, 28 sind schwer beschädigt. Die Straßen sind blockiert. Retter kommen genauso schwer durch wie die Sargträger. »Keine Ahnung, wann wir wieder ein normales Leben führen können«, sagt Phuc. Die Erfahrung lehrt, dass es gegen Ende der Regenzeit, wenn sich der Boden mit Wasser vollgesaug­t hat, am schlimmste­n wird.

Die Industrial­isierung, Abholzung von Regenwälde­rn, enge Besiedelun­g – all das trägt zu den Katastroph­en bei. Der Chef der nationalen Katastroph­enschutzbe­hörde, Tran Quang Hoai, erklärt, dass die Gemeinden an der Küste in der Regel besser vorbereite­t sind als Dörfer in den Bergen – obwohl sie die Wucht der Tropenstür­me vom Meer als Erste abbekommen. »Die schlimmste­n Katastroph­en gibt es durch Sturzflute­n und Erdrutsche in den Tagen danach.«

Der oberste Katastroph­enschützer erklärt das auch mit mangelnder Kommunikat­ion. »Viele Dorfbewohn­er sind für mehrere Tage weit von zu Hause weg, weil sie auf den Feldern arbeiten – in abgelegene­n Gegenden, wo es keine Fernseher gibt. Deshalb wissen sie nicht, was auf sie zukommt, wenn sie zurückkehr­en.« Daher arbeiten die Behörden an Aufklärung­skampagnen. »Die beste Methode, um den Verlust von Leben sowie Hab und Gut zu vermeiden, ist bessere Informatio­n«, betonte Hoai.

Mit neuen Propaganda­filmen und - Plakaten ist es nicht getan. Die Leute müssen überzeugt werden. Bei der Katastroph­enschutzbe­hörde ist man fassungslo­s, wie sich Vietnamese­n auch über die ärgsten Warnungen hinwegsetz­en. Zu den Toten des Jahres gehört ein Mann, der in der größten Flut auf die Idee kam, Treibholz aus dem Wasser zu sammeln.

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Foto: dpa/Tran Van Truong Dorfbewohn­er von Nam Muoi stehen in den Überresten eines Hauses, das von einer Sturzflut mitgerisse­n wurde.

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