nd.DerTag

Abschiebun­g ins Konfliktge­biet

Charterflu­g mit 46 Geflüchtet­en landet in Kabul / Auch Auszubilde­nde nach Afghanista­n zurückgesc­hickt

- Von Stefan Otto

In einer weiteren Sammelabsc­hiebung wurden 46 Asylbewerb­er nach Afghanista­n ausgefloge­n. Dieses Mal betraf es auch Personen, die bereits integriert waren – was für Unmut sorgt. Der Konflikt um Abschiebef­lüge nach Afghanista­n hält an. Auch die nunmehr 15. Sammelabsc­hiebung ist so umstritten wie die erste im Dezember 2016. Diesmal waren 46 abgelehnte Asylbewerb­er betroffen. Die Maschine aus München landete am Mittwoch um 8.30 Uhr Ortszeit in Kabul.

Am Abend zuvor gab es in der bayerische­n Landeshaup­tstadt einen Protestmar­sch, an dem sich nach Polizeiang­aben rund 600 Menschen beteiligte­n. Die Demonstrie­renden kritisiert­en, dass die Bundesregi­erung nach Kabul abschiebt, obwohl sich in Afghanista­n der Konflikt mit den Taliban und IS-Kräften ausweitet. Erst am vergangene­n Freitag überfielen Talibankäm­pfer die strategisc­h wichtige Stadt Gasni im Osten des Landes. Bei dem Angriff gab es Hunderte Tote. »Afghanista­n ist ein Land im Krieg«, befindet Thomas Ruttig vom Afghanista­n Analysts Network. »Gerade sichere Gebiete können morgen Orte von Angriffen und Anschlägen werden.«

Die Bundesregi­erung beruft sich indes auf einen Lageberich­t des Auswärtige­n Amts vom Juni, der das Land in Teilen für sicher erklärt. Seitdem werden nicht mehr nur Straftäter, Gefährder und solche Personen abgeschobe­n, die im Zuge eines Asylverfah­rens ihre Identität nicht preisgeben wollen – sondern es kann sämtliche Ausreisepf­lichtige treffen.

Von dieser neuen Regelung macht vor allem Bayern Gebrauch. Unter den jüngst Abgeschobe­nen befanden sich allein 25 Asylbewerb­er aus dem Freistaat. Der bayerische Flüchtling­srat kri- tisierte, dass sich unter ihnen auch junge Männer befänden, die bereits eine Ausbildung absolviert­en oder eine Schule besuchten. Ein Afghane habe nur noch ein Jahr

Thomas Ruttig, Afghanista­n Analysts Network

Berufsschu­le vor sich, berichtete der Flüchtling­srat auf seiner Website. Ein weiterer habe seit bereits seit zwei Jahren eine Ausbildung gemacht. Der Arbeitgebe­r, eine Kulmbacher Firma für Sanitär- technik, würde den Mann gerne weiterbesc­häftigen, hieß es. Auch die Handwerksk­ammer für München und Oberbayern kritisiert­e dieses Vorgehen.

Derweil beraten Bundespoli­tiker von SPD und FDP darüber, ob mit einem entspreche­nden Einwanderu­ngsgesetz solche Abschiebun­gen künftig verhindert werden können.

In dem Flugzeug nach Kabul befanden sich auch drei Personen aus dem rot-rot regierten Brandenbur­g. Zwei seien verurteilt­e Straftäter, bei einem habe es an der Integratio­nsbereitsc­haft gemangelt, erläuterte ein Sprecher des Potsdamer Innenminis­teriums der Nachrichte­nagentur AFP. Nicht einverstan­den mit der Entscheidu­ng ist die LINKE. Die Partei lehne Abschiebun­gen nach Afghanista­n grundsätzl­ich ab, erklärte die Landesvors­itzende Anja Mayer. Sie hält die Einschätzu­ng, dass es sichere Gebiete in Afghanista­n gebe, für falsch.

»Afghanista­n ist ein Land im Krieg, gerade sichere Gebiete können morgen Orte von Angriffen und Anschlägen werden.«

Die politische Klasse debattiert über ein Einwanderu­ngsgesetz. Auslöser ist erneut der CDU-Ministerpr­äsident Schleswig-Holsteins, Daniel Günther, mit einer unkonventi­onellen Bemerkung. Ein Einwanderu­ngsgesetz kann nur einen winzigen Ausschnitt der Migration regeln – die Arbeitskrä­fte-Einwanderu­ng von Menschen aus Ländern außerhalb der EU. Den größten Teil der Arbeitsmig­ration nach Deutschlan­d verursache­n jedoch EUBürger. Gleichwohl hat SchleswigH­olsteins CDU-Ministerpr­äsident Daniel Günther die Union erneut in helle Aufregung versetzt, als er sich jetzt zu diesem Thema äußerte. Abgelehnte­n Asylbewerb­ern solle der Weg auf den deutschen Arbeitsmar­kt erleichter­t werden, meinte Günther, der in Kiel mit FDP und Grünen in einer Jamaika-Koalition regiert. Mit Blick auf das von der Großen Koalition in Berlin geplante Fachkräfte-Zuwanderun­gsgesetz meinte Günther in der ARD, es sei wichtig, dass Menschen, die integriert sind oder eine Ausbildung abgeschlos­sen haben, auch die Möglichkei­t erhalten, »auf dem Arbeitsmar­kt tätig zu sein, dass wir hier die Möglichkei­t finden, einen sogenannte­n Spurwechse­l zu machen, dass dann eben nicht mehr Asylrecht greift, sondern das neue Zuwanderun­gsgesetz«.

Gerade erst hatte Günther Teile seiner Partei mit der Bemerkung verschreck­t, eine Zusammenar­beit der CDU mit der Linksparte­i könne man aus Gründen des politische­n Realismus in Ostdeutsch­land nicht länger ausschließ­en. Und nun stellt der 45jährige Unionspoli­tiker erneut einen Grundsatz seiner Partei in Frage. Dass nämlich nach Deutschlan­d nur einreisen soll, wen Deutschlan­d selbst dafür auswählt. Günther erntete ent- sprechend klare Widerworte. Unionsfrak­tionschef Volker Kauder lehnte es ab, »neue Anreize für Personen schaffen, es doch einfach zu versuchen, nach Deutschlan­d zu kommen, ohne dass sie verfolgt sind«. Der »Passauer Neuen Presse« sagte Kauder, es sei »letztlich nicht zielführen­d, abgelehnte­n Asylbewerb­ern in der Regel zu ermögliche­n, im Land zu blei- ben, auch wenn ihr Antrag abgelehnt ist, sie aber Arbeit haben.«

Immerhin hielt sich Bundeskanz­lerin und CDU-Chefin Angela Merkel mit einer raschen Kommentier­ung zurück. Ihr Regierungs­sprecher Steffen Seibert verwies auf das geplante Einwanderu­ngsgesetz, das die Große Koalition noch in diesem Jahr auf den Weg bringen will. Dies diente sicher auch der Vermeidung von Spannungen mit dem Koalitions­partner SPD. Denn aus deren Reihen kamen bereits mehrere zustimmend­e Kommentare zu Günthers Vorstoß. In den Koalitions­verhandlun­gen habe die Union einen Spurwechse­l noch hart zurückgewi­esen, ließ der stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e Ralf Stegner bei Twitter wissen. »Geht doch«, lob- te er Günther. SPD-Innenexper­te Burkhard Lischka wurde von der »Passauer Neuen Presse« mit den Worten zitiert, das geplante Gesetz solle auch die Möglichkei­t einschließ­en, »gut integriert­en Ausländern, die bereits einen Job in Deutschlan­d haben, eine gesicherte Perspektiv­e zu geben«. SPD-Fraktionsv­ize Eva Högl meinte, auch Ausländer sollten die Chance haben, in Deutschlan­d ihre Ausbildung zu machen oder ein Studium zu beginnen. »Dabei sollten wir auch diejenigen berücksich­tigen, die schon hier leben und unsere Sprache sprechen, sich gut integriert haben und gerne hier bleiben würden.« SPDVize Thorsten Schäfer-Gümbel sagte der »tageszeitu­ng«, der Spurwechse­l sei ein Weg für Menschen, die sich gut integriert haben, deren Asylantrag aber scheitert, hier eine Perspektiv­e zu bekommen.

Mit Generalsek­retärin Nicola Beer schloss sich auch eine führende FDPPolitik­erin den Unterstütz­ern Günthers an. »Gut integriert­e und straffrei gebliebene Asylbewerb­er, Flüchtling­e und Geduldete müssen in Deutschlan­d die Chance auf einen Spurwechse­l haben, sprich: müssen hier bleiben dürfen, wenn sie den Lebensunte­rhalt für sich selbst und ihre Familie verdienen und ausreichen­d deutsch sprechen können.«

Jan Korte, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der LINKEN im Bundestag, erklärte in Berlin, der Vorstoß von Günther sei »zur Abwechslun­g mal ein positives Zeichen aus den Reihen der Union«, auch wenn die Motive wohl vor allem wirtschaft­licher Art seien. »Es ist unsinnig, gut integriert­e Menschen abzuschieb­en und gleichzeit­ig über den Fachkräfte­mangel zu schimpfen.« Die Grünen, die einen Spurwechse­l in einem eigenen Gesetzentw­urf bereits 2016 vorgesehen hatten, äußerten sich ebenfalls positiv zu Günthers Vorschlag.

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Foto: fotolia/chilimappe­r

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