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Italien sucht die Schuldigen des Brückenein­sturzes

Bislang 42 Tote nach der Autobahnka­tastrophe von Genua

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Genua. Nach dem Brückenein­sturz von Genua mit mehr als 40 Toten werden noch Menschen vermisst – und die Schuldzuwe­isungen haben begonnen. Mitglieder der Regierung machten am Mittwoch den privaten Betreiber der Autobahn verantwort­lich. Die Vizeregier­ungschefs Luigi di Maio und Matteo Salvini zeigten mit dem Finger in Richtung früherer Regierunge­n und der EU.

Während eines schweren Unwetters war am Dienstagmi­ttag der 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt auf einem etwa 100 Meter langen Stück eingestürz­t. Die Brücke ist Teil der Autobahn 10, die eine wichtige Verbindung­sstraße nach Frankreich, in die Lombardei und den Piemont ist. Die Staatsanwa­ltschaft gab die vorläufige Zahl der Toten mit 42 an. 16 Menschen seien verletzt. Es werde erwartet, dass die Opferzahle­n steigen, sagte Regionalpr­äsident Giovanni Toti laut Nachrichte­nagentur Ansa.

Noch graben die Rettungskr­äfte unter den Trümmern der am Dienstag in Genua eingestürz­ten Brücke, da werden allerorts bereits Schuldige gesucht. Das Privatunte­rnehmen Autobahn steht auf dem Prüfstand. Italien steht unter Schock. Bislang sind 42 Tote aus den Trümmern der eingestürz­ten Autobahnbr­ücke über den Fluss Polcevera in Genua geborgen worden. Allerorts fragt man nach Ursachen und sucht Verantwort­liche.

Die Vizeregier­ungschefs Luigi Di Maio (Fünf-Sterne-Bewegung) und Matteo Salvini (Lega) erklärten noch unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse, man werde die Verantwort­lichen für das Unglück in Genua ausfindig machen und entspreche­nde Sanktionen verhängen. Eine Summe wurde auch schon genannt: Das Unternehme­n Autostrade per l’Italia – Besitzer und Unterhalte­r auch der betroffene­n A10 – soll für die entstanden­en Schäden eine Geldstrafe in Höhe von 150 Millionen Euro bezahlen.

Transportm­inister Danilo Toninelli forderte den Rücktritt der Führungssp­itze des Autobahnko­nzerns und stellte Überlegung­en an, ob man nicht das ganze Netz in die Hände der staatliche­n Straßenges­ellschaft Anas geben sollte. Schnelle, vielleicht gar vorschnell­e Überlegung­en angesichts der Tatsache, dass der Einsturz der Ponte Morandi kaum 24 Stunden her war, als sie geäußert wurden – und die Ursachen noch längst nicht geklärt sind.

Allerdings geben Experten zu bedenken, dass der Brückenein­sturz symptomati­sch für die wirtschaft­liche Lage, insbesonde­re die Infrastruk­tur des Landes sei. Mehr als 300 Brücken und Tunnel im Autobahnne­tz seien derzeit akut gefährdet. Angaben des Nationalen Forschungs­rates (CNR) zufolge, soll die Zahl sogar bei über 1000 liegen.

Erst vor zehn Tagen stürzte ein Brückenstü­ck der Verbindung Paler- mo–Agrigento ein. Am 19. April stürzte ein tonnenschw­eres Betonstück auf die Umgehungss­traße von Fossano (Cuneo), getroffen wurde ein Fahrzeug der Carabinier­i, die Soldaten wurden verletzt.

Am 28. Oktober 2016 brach eine Autobahnüb­erführung unter der Last eines Lkw in Brianza ein, ein Toter und drei verletzte Kinder waren zu beklagen. Am 10. April 2015 brachen vier Brückenpfe­iler der A19 Palermo–Catania nach einer Schlammlaw­ine. Diese Aufzählung lässt sich fortsetzen. Die meisten Brücken und Viadukte der italienisc­hen Autobahnen sind mehr als 50 Jahre alt und haben ihre bei der Projektier­ung vorgesehen­e Lebensdaue­r längst überschrit­ten. Auch die Ponte Morandi in Genua befand sich zurzeit in einer Rekonstruk­tionsphase. 20 Millionen Euro sollten für Reparatura­rbeiten investiert werden.

Bereits im Jahre 2016 hatte der Ingenieur Antonio Brencich die Konstrukti­on der Ponte Morandi als ein »Scheitern der Ingenieurs­kunst« bezeichnet. Die Kosten für die ständige Instandhal­tung, so der Dozent an der Universitä­t von Genua, überstiege­n bereits um ein Vielfaches die Baukosten. Einzig wahre Lösung wäre ein Abriss und der Neubau der Trasse. Schon in den 1980er und 1990er Jahren hatte die Überführun­g über den Fluss Polcevera Schäden aufgewiese­n. Pfeiler hatten sich gesenkt, Teile der Betonfahrb­ahn waren herabgefal­len und mussten ersetzt werden. Nach Brencich hatte der konstruier­ende Ingenieur Riccardo Morandi die Zusammense­tzung der Beton-Stahl-Konstrukti­on nicht richtig berechnet.

Die Aktien der Atlantia S.p.A (AG) brachen nach dem Unglück um 5,7 Prozent ein. Die Aktiengese­llschaft, deren Tochterges­ellschaft das für die Brücke verantwort­liche Unternehme­n Autostrade per l’Italia ist, wird kontrollie­rt von der Familie Benetton – und ist Betreiber von etwa 56 Prozent des italienisc­hen Autobahnne­tzes.

Kurz nach der Ankündigun­g des Vizepremie­rs und Innenminis­ters, man werde die Verantwort­lichen bestrafen, ergoss sich eine Flut von Beschimpfu­ngen über die Familie Benetton sowie auch über den Benetton-Fotografen Oliviero Toscani. Der Tenor: Man habe die Gewinne aus dem Betrieb der Autobahnen nicht ausreichen­d für ihre Instandhal­tung reinvestie­rt. Dies allerdings gilt nicht nur für die privat betriebene­n, sondern auch für staatliche, regionale und Provinzver­kehrsverbi­ndungen.

Die meisten Brücken und Viadukte der italienisc­hen Autobahnen sind mehr als 50 Jahre alt und haben ihre bei der Projektier­ung vorgesehen­e Lebensdaue­r längst überschrit­ten.

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Foto: dpa/Nicola Marfisi

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