nd.DerTag

Ideen von vorgestern im Sommerloch

Jan Korte meint, Zwangsdien­ste sind mit einer demokratis­chen Gesellscha­ft nicht vereinbar

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Ich habe den Wehrdienst verweigert. Stattdesse­n machte ich den Zivildiens­t, der gleichfall­s ein Zwangsdien­st war. Wenn ich an diese Zeit in der Altenpfleg­e im Diakonie-Krankenhau­s zurückdenk­e, habe ich keinesfall­s negative Erinnerung­en. Im Gegenteil: Ich hatte meinen ersten wirklichen Kontakt mit der Arbeitswel­t, ich habe real erlebt was Pflege von Menschen bedeutet – körperlich und psychisch. Ich habe extrem viel gelernt und tolle Menschen kennengele­rnt. Die Arbeit, die wir machten, war keine schlechte. Es war gesellscha­ftlich notwendige Arbeit in einem wichtigen sozialen Bereich. Ich kann es nur jedem jungen Menschen raten, solch eine Erfahrung zu machen.

Aber all das legitimier­te schon damals nicht die Form, den Zwangsdien­st. Es war daher immer eine richtige Forderung der Linken, Zwangsdien­ste aller Art abzuschaff­en. Sie sind mit einer demokratis­chen Gesellscha­ft kaum vereinbar.

Nach dem Ende des Kalten Kriegs und der Auflösung des Warschauer Vertrags gab sich die NATO neue Ziele. Und natürlich fragten sich alle, was die Wehrpflich­t soll, wenn der Feind an den Grenzen zur Bundesrepu­blik fehlt. Die NATO begann sich als ein weltweites Interventi­onsbündnis zu definieren. Bei »Krisen« in aller Welt steht die NATO seitdem bereit, um »Ordnung« zu schaffen. Das hatte Folgen für die Bundeswehr, die auf eine militärisc­he Auseinande­rsetzung zwischen der NATO und den Staaten des Warschauer Vertrags zugeschnit­ten war. Eine Armee, die jederzeit überall einsatzfäh­ig sein soll, hat eine andere Struktur. Die Bundeswehr wurde umgebaut. Von Jahr zu Jahr wurde die Anzahl derer, die zum Wehrdienst eingezogen wurden, kleiner. Irgendwann stellte sich die Frage der »Wehrgerech­tigkeit«. Es war plötzlich Zufall, wer zur Bundeswehr muss und wer nicht. Auch deshalb wurde die Wehrpflich­t ausgesetzt. Damit fiel aber auch der Zivildiens­t, der ein Wehrersatz­dienst war. Wer heute also gern die Wehrpflich­t wieder haben möchte, der muss erklären, warum das Problem der Wehrgerech­tigkeit nicht mehr bestehen soll. Auch muss man rechtliche Aspekte beachten. Ein solches Vorhaben erfordert eine Änderung des Grundgeset­zes. Die könnte zwar erfolgreic­h sein, aber nur mit den Stimmen der AfD, deren Begeisteru­ng über die CDU-Vorstöße alles sagt.

Moralisch wird nun angeführt, dass es gut sei, wenn junge Menschen etwas für das Gemeinwese­n tun. Abstrakt ist das richtig. Jedoch gibt es viele Berufe im Pflegebere­ich und anderen sozialen Dienstleis­tungen, die katastroph­al schlecht bezahlt sind, weshalb die Ware Arbeitskra­ft sich woanders verkauft. So läuft das im Kapitalism­us, den gerade Konservati­ve zäh verteidige­n. Warum machen sie dann plötzlich beim Militär, dessen Einsatz zum Beispiel in Afghanista­n niemand versteht, eine Ausnahme?

Die Antwort auf den Mangel an Pflegekräf­ten kann jedenfalls ganz sicher nicht in der Einführung eines neuen Niedrigloh­nsektors, wie es der Zivildiens­t früher auch schon war, bestehen. Es ist grotesk und ziemlich frech, erst die neoliberal­e Ideologie »Jeder ist seines Glückes Schmied« auf die gesamte Gesellscha­ft auszudehne­n, die Agenda 2010 von SPD und Grünen, die eine halbwegs funktionie­rende soziale Sicherheit zerstörte und Vereinzelu­ng beförderte, auch noch radikalisi­eren zu wollen, und dann per Zwang junge Leute etwas für die Gemeinscha­ft tun lassen. Absurd! Das eigentlich Bemerkensw­erte an der Wehrdienst­debatte ist das konservati­ve Welt- und Gesellscha­ftsbild, das hier öffentlich einem Test unterzogen wurde. Die Debatte ist ein Anzeichen für eine mögliche konservati­ve Wende der CDU. Real geht es um das Austesten einer Verschiebu­ng der CDU nach rechts. Wehrpflich­t bedeutet im Übrigen auch immer Militarisi­erung von Gesellscha­ft – wir brauchen aber das Gegenteil.

Wir brauchen keine Auslandsei­nsätze. Die bei einem Truppenrüc­kzug frei werdenden Mittel könnten genutzt werden, um den Bundesfrei­willigendi­enst attraktive­r zu machen. Wie wäre es, den Menschen, die sich für freiwillig­e Dienste, egal ob im sozialen, ökologisch­en oder kulturelle­n Bereich, entscheide­n, ExtraRente­npunkte für diese Zeit zu geben? Wie wäre, es endlich die vielen wichtigen Berufe im sozialen Bereich deutlich aufzuwerte­n und angemessen­e Löhne zu zahlen? Ach, man könnte tatsächlic­h eine Menge Sinnvolles machen, anstatt Ideen von vorgestern im Sommerloch auszugrabe­n.

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Foto: Fraktion DIE LINKE Jan Korte ist Erster Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der LINKEN im Bundestag.

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