nd.DerTag

Die Verfehlung­en von Volker Bouffier

Linksfrakt­ion im hessischen Landtag erhebt schwere Vorwürfe gegen Regierungs­chef bei NSU-Ermittlung­en

- Von Hans-Gerd Öfinger

Regierung und Opposition in Hessen bewerten den Abschlussb­ericht des NSU-Untersuchu­ngsausschu­sses unterschie­dlich. Das Gremium sollte zur Aufdeckung von Behördenve­rsagen beitragen. In der kommenden Woche wird der hessische Landtag den Bericht des Untersuchu­ngsausschu­sses zur Neonaziter­rorbande NSU und die Sondervote­n der Opposition­sfraktione­n debattiere­n. Während die schwarzgrü­ne Landesregi­erung Hessens, die auch die Mehrheit im Ausschuss stellt, den offizielle­n Abschlussb­ericht als umfassende Darstellun­g der Aufklärung­sarbeit darstellt, begründet die Linksfrakt­ion in einem 250 Seiten langen Papier ihr Sondervotu­m. Im Zusammenha­ng mit dem NSU-Mord an dem Kasseler Internetca­fébetreibe­r Halit Yozgat im Frühjahr 2006 übt die LINKE viel Kritik am Verhalten des Landesamts für Verfassung­sschutz (LfV) und des heutigen Regierungs­chefs Volker Bouffier (CDU).

Bouffier war damals als Innenminis­ter für den Inlandsgeh­eimdienst und die Landespoli­zei zuständig. Er hat nach Überzeugun­g der Linksfrakt­ion in den Wochen nach dem Kasseler Mord mehrfach die Unwahrheit gesagt, die Ermittlung­en persönlich und ohne rechtswirk­same Abwägung behindert und seine schützende Hand über den damaligen LfV-Mitarbeite­r Andreas Temme gehalten. Dieser saß offensicht­lich zum Tatzeitpun­kt in Halit Yozgats Internetca­fé, was er lange bestritt. Er dürfte die tödlichen Schüsse gehört haben, meldete sich aber nicht als Zeuge, geriet selbst unter Tatverdach­t und verschweig­t bis heute sein Wissen über die Tat. Temme »kann es nicht gewesen sein. Daraus kann man auch ableiten, dass der Mann unschuldig ist«, behauptete Bouffier im Juni 2006 im Landtagsin­nenausschu­ss.

Bouffier und die Spitze des LfV hätten schwere Dienstverf­ehlungen Temmes gezielt vertuscht sowie durch eine fragwürdig­e Sperrung der V-Leute die polizeilic­he Aufklärung des Kasseler NSU-Mordes erheblich behindert und »Quellensch­utz über Mordermitt­lung gestellt«, so der Abgeordnet­e Hermann Schaus am Mittwoch vor Journalist­en in Wiesbaden. Zudem seien noch Monate nach dem Mord gegen die Opferfamil­ie Yozgat rechtswidr­ige verdeckte Ermittlung­en gelaufen. Man habe sie »teilweise so behandelt, als wären sie keine trauernden Angehörige­n und Zeugen, sondern Tatverdäch­tige«, heißt es im Minderheit­svotum.

Schon ein Teil der Vorwürfe an die Adresse Bouffiers hätte in anderen Bundesländ­ern bereits Rücktritte ausgelöst. »Doch bei der traditione­ll stramm konservati­ven Hessen-CDU gelten andere Maßstäbe. Bouffier sitzt es aus«, erklärte Schaus. Zu den hessischen Besonderhe­iten gehört auch, dass sich CDU und Grüne bei dem von Linksfrakt­ion und SPD im Jahr 2014 beantragte­n Beschluss zur Einsetzung des NSU-Untersuchu­ngsausschu­sses der Stimme enthielten. In anderen Parlamente­n war dies einstimmig erfolgt. Die schwarz-grüne Mehrheit habe mit Verzögerun­gen und oft lückenhaft­en, massiv geschwärzt­en oder zur Geheimsach­e erklärten Akten die Aufklärung gebremst, Bouffiers Verantwort­ung zu verschleie­rn versucht und schwere Fehlleistu­ngen im Kampf gegen rechte Gewalt unter den Teppich gekehrt, so die Kritik.

Aus einem im Sondervotu­m dokumentie­rten Papier, das bisher als geheim galt, geht hervor, dass LfV und Innenminis­terium nach dem Auffliegen des NSU im Jahr 2011 Anweisunge­n zur Vernichtun­g von Spuren und Akten gaben und einen V-Mann in der Szene auf seine Zeugenvern­ehmung durch das Bundeskrim­inalamt (BKA) vorbereite­ten. Ein weiteres Dokument zeigt, wie 2014 für den brisanten »Abschlussb­ericht« zum NSU im LfV eine 120-jährige Geheimhalt­ungsfrist verhängt wurde.

»Der Ausschuss war wichtig und hat mehr Wissen über die Arbeitswei­se des LfV zu Tage gefördert«, sagte die Linksfrakt­ionsvorsit­zende Janine Wissler. »Erstmals überhaupt mussten sich leitende Mitarbeite­r des Amts rechtferti­gen.« Über V-Leute seien öffentlich­e Gelder in die Neonazisze­ne geflossen, so die Abgeordnet­e, die vor dem »Irrglauben« warn- te, dass Nazis jemals den Staat wahrheitsg­emäß über die Gefahren der rechten Szene informiert­en.

Die ebenfalls opposition­elle SPDFraktio­n wird ihr 200 Seiten starkes Sondervotu­m zum NSU-Ausschuss in den kommenden Tagen veröffentl­ichen.

LfV und Innenminis­terium haben offenbar Anweisunge­n zur Vernichtun­g von Spuren und Akten gegeben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany