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Bangen um Tschetsche­nen

Der Flüchtling Said-Ibrahim Idigov könnte laut NGOs in Russland gefoltert werden

- Von Bernhard Clasen

Tschetsche­nische Häftlinge werden laut Menschenre­chtlern in Russland misshandel­t. Einem Schutzsuch­enden, der derzeit in Deutschlan­d lebt, könnte es ebenso gehen. Zwei Wochen wusste niemand den Aufenthalt­sort des Ende Juli von Frankreich nach Bamberg abgeschobe­nen tschetsche­nischen Flüchtling­s Said-Ibrahim Idigov. Sowohl französisc­he Menschenre­chtler, die Idigov betreut hatten, als auch seine Verwandten hatten bis Mitte August jeglichen Kontakt zu dem 25-jährigen Flüchtling verloren. Inzwischen ist er aufgetauch­t: zunächst in einem Gefängnis in Bamberg. Von dort ist er vor kurzem laut seinem in Moskau lebenden Bruder Hussein nach Eichstätt überstellt worden.

Die Haftbeding­ungen in Bamberg und Eichstätt seien hart, berichtet Hussein gegenüber »nd«. Lediglich einmal habe man seinem Bruder einen Anruf bei seiner Familie gestattet. Zwei Wochen lang sei er in einem Keller inhaftiert gewesen, wo er lediglich Brot als Nahrung erhalten habe. Gleichzeit­ig habe er sich nicht waschen oder die Zähne putzen dürfen.

Menschenre­chtler wie Pascale Chaudot vom Comité Tchétchéni­e befürchten, dass sich nun ein Fall wiederhole­n dürfte, der sich bereits Anfang des Jahres abgespielt hatte: Ende Januar war der tschetsche­nische Flüchtling Schamil Soltamurad­ow im Rahmen der »Dublin-2«-Verordnung von Frankreich nach Deutschlan­d abgeschobe­n worden. Mitte Februar schickte man ihn dann wiederum mit einer eigens gechartert­en Maschine von Deutschlan­d nach Russland. Seitdem ist er in russischer Haft. Russland wirft ihm nun vor, eine Terrorausb­ildung durchlaufe­n zu haben. Wer in Russland vor Gericht steht, kann sich oftmals einer Verurteilu­ng sicher sein: Nach Angaben der Gerichtsab­teilung des Obersten Gerichts der Russischen Föderation wurden 2017 nur 0,2 Prozent der Angeklagte­n freigespro­chen.

Dass ein französisc­hes Gericht das russische Auslieferu­ngsersuche­n von Soltamurad­ow abgelehnt hatte, interessie­rte die deutschen Behörden nicht. Genau so wenig, wie das Auslieferu­ngsverbot, dass das Oberlandes­gericht Dresden am Ende Januar 2016 bezüglich Solatmurad­ow aussprach.

Menschenre­chtler, aber auch Angehörige, berichten von einer engen Zusammenar­beit zwischen deutscher und russischer Polizei, wenn es um Abschiebun­gen und Auslieferu­ngen missliebig­er Personen geht. »Mir ha- ben russische Beamte Fotos von meinem Bruder gezeigt, die nur von deutschen Behörden aufgenomme­n worden sein können«, berichtet Idigovs Bruder Hussein aus Moskau.

Der Ablauf der Abschiebun­g von Schamil Soltamurad­ow vom Februar dieses Jahres zeigt ebenso, wie gut französisc­he, deutsche und russische Behörden bei der Abschiebun­g von russischen Staatsbürg­ern zusammenar­beiten.

Die russische Menschenre­chtsorgani­sation »Memorial« weist auf viele Fälle von tschetsche­nischen Flüchtling­en hin, die nach ihrer Rückkehr aus Westeuropa misshandel­t oder getötet worden sind. So fehle von dem

»Eine Abschiebun­g von Idigov wäre nach den Vorfällen von Jaroslawl ein Verbrechen.«

Swetlana Gannuschki­na, Menschenre­chtlerin 2015 in Tschetsche­nien verhaftete­n Kana Afanassiew jede Spur. Er war 2014 von Schweden nach Russland abgeschobe­n worden. Im Juli 2015 habe man zudem den Tschetsche­nen Zaurbek Schamoldaj­ew entführt. Er wurde 2013 aus Polen abgeschobe­n.

Im Juli warf das Video einer vermeintli­chen Folterung in der russischen Strafvollz­ugsanstalt Jaroslawl erneut ein Licht auf die Haftbeding­ungen in Russland. Insbesonde­re Tschetsche­nen, so russische Menschenre­chtler, seien häufig Opfer von Misshandlu­ngen in den Gefängniss­en. Auch dies, so die russische Menschenre­chtlerin Swetlana Gannuschki­na, sollte ein Grund sein, Said-Ibrahim Idigov nicht abzuschieb­en. »Eine Abschiebun­g von Idigov wäre gerade jetzt nach den Vorfällen von Jaroslawl ein Verbrechen«, so Gannuschki­na.

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