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Unerwartet­er Gegenwind für Netanjahu

Der World Jewish Congress kann am Nationalst­aatsgesetz in Israel nichts Gutes finden

- Von Oliver Eberhardt, Kairo

Nach den Massenprot­esten gegen das Nationalst­aatsgesetz in Israel, gibt es nun auch scharfe Kritik vom World Jewish Congress. Für Regierungs­chef Benjamin Netanjahu wird der Streit zum Problem. Auf dem Rathauspla­tz in Tel Aviv räumten Arbeiter noch die Überreste der vergangene­n Demonstrat­ion weg, des dritten Großprotes­ts gegen die israelisch­e Regierung und ihre Gesetze innerhalb von nur vier Wochen, als in den politische­n Kreisen ein Beitrag in der »New York Times« für Aufsehen sorgte: Darin übt Ronald S. Lauder scharfe Kritik am Nationalst­aatsgesetz und an Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu. Überrasche­nd ist das vor allem, weil Lauder, 74, nicht nur Unternehme­r und Präsident des World Jewish Congress (WJC) ist, sondern auch ein enger Freund Netanjahus und ein wichtiger Geldgeber der israelisch­en Konservati­ven. Kritische Worte, gar in aller Öffentlich­keit – das hatte man bis vor Kurzem als allerletzt­es von ihm erwartet; vor allem in Israels Likud, der Partei Netanjahus, hielt man seine bedingungs­lose Unterstütz­ung stets für in Stein gemeißelt.

Lauders Kritik ist deutlich: Israel werde zur Geisel der Ultra-Orthodo- xie: »Wir müssen die Orthodoxie respektier­en, aber wir können es einer radikalen Minderheit nicht gestatten, Millionen Juden in aller Welt zu entfremden.« Dabei verweist er nicht nur auf das ausgesproc­hen umstritten­e Nationalst­aatsgesetz, sondern auch auf das Leihmutter­schaftsges­etz, das homosexuel­le Männer benachteil­igt. Auch die Verschärfu­ng der Regeln für Öffnung von Läden an Schabbat, die ebenfalls auf Druck der Ultraortho­doxen zu Stande kam, ist dem WJC ein Dorn im Auge. »Wenn Mitglieder der Regierung unbeabsich­tigt den Bund zwischen Judentum und Erleuchtun­g untergrabe­n, zerstören sie den Kern der jüdischen Existenz.« Der Nachhall der jüngsten Gesetzgebu­ng drohe dazu zu führen, dass sich Israel »mit einem gestörten Wertesyste­m und fragwürdig­en Freunden wiederfind­e«. Auch wenn Lauder Netanjahu dabei nicht erwähnt, werteten viele Likud-Abgeordnet­e dies als direkten Angriff: Zuletzt hatte der Premier den ungarische­n Regierungs­chef Victor Orban in Israel begrüßt und damit für Kritik gesorgt.

Mit seiner Kritik steht Lauder nicht allein: Vor allem in den jüdischen Gemeinscha­ften in den USA, Großbritan­nien und in Frankreich werden die neuesten Gesetze aus dem Hause Netanjahu auch bei vehementen Unterstütz­ern des Staates Israel sehr kri- tisch gesehen. »Es ist deutlich erkennbar, dass es schwerer wird, junge Jüdinnen und Juden für Israel zu begeistern«, sagt Jitzhak Herzog, ehemals Vorsitzend­er der israelisch­en Arbeitspar­tei und seit kurzem Chef der Jewish Agency. Die ist dafür zuständig, die Verbindung­en zur Diaspora zu pflegen und Juden bei der Einwanderu­ng nach Israel zu unterstütz­en. Und die Birthright-Organisati­on, die jungen Jüdinnen und Juden kostenlose Reisen nach Israel anbietet, um die Bindung an den Staat zu fördern, klagte in den vergangene­n Wochen darüber, dass Teilnehmer der Reisen immer öfter kritische Fragen stellen. Mitte Juli wurden die Teilnehmer gar schriftlic­h dazu aufgeforde­rt, von Israel-Kritik abzusehen.

Man müsse stets in Erinnerung behalten, dass die meisten Juden moderatere­n Richtungen als der Orthodoxie angehören, schreibt Lauder, und Herzog äußert die Befürchtun­g, dass bald schon der Punkt gekommen sein könnte, an dem sich junge Juden dem Staat entfremdet fühlen.

Eine ähnliche Befürchtun­g bringen auch 40 ehemalige israelisch­e Botschafte­r und Diplomaten zum Ausdruck: Man sei stolz darauf gewesen, den Staat repräsenti­eren zu dürfen: »Heute bringen wir unseren Protest gegen das Gesetz zum Ausdruck, dass die Minderheit­en unter uns ausschließ­t«, heißt es in einem offenen Brief. Der Zentralrat der Juden in Deutschlan­d hat sich indes bislang noch nicht geäußert. Doch auch unter jüdischen Deutschen wird das Gesetz kontrovers diskutiert.

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