Unerwarteter Gegenwind für Netanjahu
Der World Jewish Congress kann am Nationalstaatsgesetz in Israel nichts Gutes finden
Nach den Massenprotesten gegen das Nationalstaatsgesetz in Israel, gibt es nun auch scharfe Kritik vom World Jewish Congress. Für Regierungschef Benjamin Netanjahu wird der Streit zum Problem. Auf dem Rathausplatz in Tel Aviv räumten Arbeiter noch die Überreste der vergangenen Demonstration weg, des dritten Großprotests gegen die israelische Regierung und ihre Gesetze innerhalb von nur vier Wochen, als in den politischen Kreisen ein Beitrag in der »New York Times« für Aufsehen sorgte: Darin übt Ronald S. Lauder scharfe Kritik am Nationalstaatsgesetz und an Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu. Überraschend ist das vor allem, weil Lauder, 74, nicht nur Unternehmer und Präsident des World Jewish Congress (WJC) ist, sondern auch ein enger Freund Netanjahus und ein wichtiger Geldgeber der israelischen Konservativen. Kritische Worte, gar in aller Öffentlichkeit – das hatte man bis vor Kurzem als allerletztes von ihm erwartet; vor allem in Israels Likud, der Partei Netanjahus, hielt man seine bedingungslose Unterstützung stets für in Stein gemeißelt.
Lauders Kritik ist deutlich: Israel werde zur Geisel der Ultra-Orthodo- xie: »Wir müssen die Orthodoxie respektieren, aber wir können es einer radikalen Minderheit nicht gestatten, Millionen Juden in aller Welt zu entfremden.« Dabei verweist er nicht nur auf das ausgesprochen umstrittene Nationalstaatsgesetz, sondern auch auf das Leihmutterschaftsgesetz, das homosexuelle Männer benachteiligt. Auch die Verschärfung der Regeln für Öffnung von Läden an Schabbat, die ebenfalls auf Druck der Ultraorthodoxen zu Stande kam, ist dem WJC ein Dorn im Auge. »Wenn Mitglieder der Regierung unbeabsichtigt den Bund zwischen Judentum und Erleuchtung untergraben, zerstören sie den Kern der jüdischen Existenz.« Der Nachhall der jüngsten Gesetzgebung drohe dazu zu führen, dass sich Israel »mit einem gestörten Wertesystem und fragwürdigen Freunden wiederfinde«. Auch wenn Lauder Netanjahu dabei nicht erwähnt, werteten viele Likud-Abgeordnete dies als direkten Angriff: Zuletzt hatte der Premier den ungarischen Regierungschef Victor Orban in Israel begrüßt und damit für Kritik gesorgt.
Mit seiner Kritik steht Lauder nicht allein: Vor allem in den jüdischen Gemeinschaften in den USA, Großbritannien und in Frankreich werden die neuesten Gesetze aus dem Hause Netanjahu auch bei vehementen Unterstützern des Staates Israel sehr kri- tisch gesehen. »Es ist deutlich erkennbar, dass es schwerer wird, junge Jüdinnen und Juden für Israel zu begeistern«, sagt Jitzhak Herzog, ehemals Vorsitzender der israelischen Arbeitspartei und seit kurzem Chef der Jewish Agency. Die ist dafür zuständig, die Verbindungen zur Diaspora zu pflegen und Juden bei der Einwanderung nach Israel zu unterstützen. Und die Birthright-Organisation, die jungen Jüdinnen und Juden kostenlose Reisen nach Israel anbietet, um die Bindung an den Staat zu fördern, klagte in den vergangenen Wochen darüber, dass Teilnehmer der Reisen immer öfter kritische Fragen stellen. Mitte Juli wurden die Teilnehmer gar schriftlich dazu aufgefordert, von Israel-Kritik abzusehen.
Man müsse stets in Erinnerung behalten, dass die meisten Juden moderateren Richtungen als der Orthodoxie angehören, schreibt Lauder, und Herzog äußert die Befürchtung, dass bald schon der Punkt gekommen sein könnte, an dem sich junge Juden dem Staat entfremdet fühlen.
Eine ähnliche Befürchtung bringen auch 40 ehemalige israelische Botschafter und Diplomaten zum Ausdruck: Man sei stolz darauf gewesen, den Staat repräsentieren zu dürfen: »Heute bringen wir unseren Protest gegen das Gesetz zum Ausdruck, dass die Minderheiten unter uns ausschließt«, heißt es in einem offenen Brief. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat sich indes bislang noch nicht geäußert. Doch auch unter jüdischen Deutschen wird das Gesetz kontrovers diskutiert.