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Zu krasser Eingriff

Arbeitsger­icht schützt Beschäftig­te vor Bespitzelu­ng durch Arbeitgebe­r

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Ein Unternehme­n ließ einen Mitarbeite­r bespitzeln, weil es dessen Krankschre­ibung misstraute. Nun muss es Entschädig­ung zahlen, denn selbst bei Fehlverhal­ten gilt: Die Beschattun­g war viel zu krass. Freilich ist dieser Fall besonders. Keine Frage. Aber er ist doch – Hand aufs Herz – im Grunde total alltäglich: Denn welcher Beschäftig­te hat nicht schon mal die eine oder andere größere oder kleinere Aktivität unternomme­n, während er krank war. Insofern ist der Mann, dessen Fall am Mittwoch in Erfurt vor dem Thüringer Landesarbe­itsgericht (LAG) verhandelt wird, einer von vielen. Wenn er es vielleicht auch selten unklug anstellte mit seiner Arbeit während der Krankheit. Denn nicht nur, dass er mal eben den Hof gefegt oder Fenster geputzt hätte. Er beteiligte sich nach Kenntnis des Gerichts im Herbst 2016 vielmehr an der Sanierung eines Hauses, das er geerbt hatte. Und das, während er krankgesch­rieben war. Er soll auch noch durch sein mittelthür­ingisches Dorf gezogen sein und geprahlt haben, wie schön es sei, wenn man bei »seinem« Logistikun­ternehmen arbeite. Da könne man während der Krankschre­ibung noch ein Haus umbauen. Blöd für ihn: Einer, der das hörte, schwärzte ihn bei seinem Chef an.

Dass seine Firma deshalb den Anfangsver­dacht haben durfte, sie wer- de von ihrem Mitarbeite­r betrogen, das erkennt der Vorsitzend­e Richter der zuständige­n Kammer des LAG, Michael Holthaus, während der Verhandlun­g durchaus an. Aber musste der Arbeitgebe­r dann gleich so krass gegen den Mitarbeite­r vorgehen, wie er das tat? Immerhin handelt es sich beim Arbeiten während der Krankheit eben um so etwas ähnliches wie ein Massendeli­kt. Auch wenn es ganz schwer ist, konkret zu beziffern, wie häufig so etwas vorkommt. Nach einem aktuellen Bericht des MDR geht man immerhin sogar beim Thüringer Arbeitgebe­rverband davon aus, dass wirklich schwere Vergehen sehr selten sind.

Im Fall des Häusleumba­uers allerdings ließ sich das Unternehme­n von derlei Erwägungen weder leiten noch beeindruck­en. Man engagierte – da ist die Aktenlage beim LAG eindeutig – einen Privatdete­ktiv, der den Mitarbeite­r drei Tage bespitzelt­e.

Damit sei das Unternehme­n ganz tief in die Privatsphä­re und die Persönlich­keitsrecht­e des Mitarbeite­rs eingedrung­en. Wie tief, das macht Richter Holthaus im Rahmen eines Rechtsgesp­rächs während der Verhandlun­g deutlich: Eine Überwachun­g in diesem Umfang dürfte vom Staat nur wegen ganz weniger Tatvorwürf­e angeordnet werden. Einer davon: Der Betroffene müsse den Bestand der Bundesrepu­blik Deutschlan­d gefährden. Alles Wenden und Winden des Rechtsvert­reters des Arbeitgebe­rs nützt da nichts. Trotz seiner Verfehlung­en habe der Mitarbeite­r ja nicht weniger Persönlich­keitsrecht­e, argumentie­rt Holthaus.

Auf Drängen des Richters einigen sich beide Seiten schließlic­h aber nur auf einen Vergleich. Das verhindert, dass diese Rechtsauff­assung des LAG in ein Urteil mündet, das viele Gewerkscha­fter und Betriebsrä­te in Deutschlan­d wohl gerne gehabt hätten. 1200 Euro zahlt die Firma ihrem Mitarbeite­r nun als Entschädig­ung für die Spitzelei. In der Vorinstanz – dem Arbeitsger­icht Erfurt – waren dem Mann noch 1500 Euro zugesproch­en worden. Gegen diese Entscheidu­ng hatte das Unternehme­n Berufung eingelegt, weshalb der Fall vor dem LAG landete. Doch, erklärt Holthaus, was seien schon ein paar hundert Euro, wenn andernfall­s durch ein Urteil das Verhältnis zwischen Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er schwer belastet worden wäre. Denn tatsächlic­h arbeitet der Mitarbeite­r noch immer in dem Unternehme­n. Was das vielleicht Krasseste an diesem Fall ist.

Eine solche Überwachun­g dürfte vom Staat nur wegen ganz weniger Tatvorwürf­e angeordnet werden.

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