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Alter schützt vor Leistung nicht

Gesundheit­sbotschaft­erin Heike Drechsler, einst Sportstar, ist in Sorge wegen der Lebensweis­e der Brandenbur­ger

- Von Wilfried Neiße

Menschen jedes Alters brauchen regelmäßig Bewegung. Leider neigen die Brandenbur­ger zu Bequemlich­keit, bedauern die Krankenkas­se Barmer und ihre Gesundheit­sbotschaft­erin. 22 Goldmedail­len im Sprint und im Weitsprung hat die Leichtathl­etin Heike Drechsler bei internatio­nalen Wettkämpfe­n gewonnen, doch »wenn ich lange sitze, dann zwickt es schon mal im Rücken«. Allerdings weiß die 54-Jährige ein Mittel dagegen: Bewegung. »Ich fühle mich danach besser, und auch der Kopf wird freier.«

Als Gesundheit­sbotschaft­erin der Krankenkas­se Barmer saß Drechsler am Mittwoch in Potsdam dabei, als der Gesundheit­sreport 2018 vorgestell­t wurde. In der Tat ist »Bewegung« die erste Antwort auf die Frage der Studie: »Was fehlt eigentlich den Brandenbur­gern?« Bewegung fehlt laut Befund allen Altersgrup­pen.

Die Brandenbur­ger sind länger und häufiger krank als Menschen in den meisten anderen Bundesländ­ern. Es steht in den Werten auf eine Stufe mit Sachsen-Anhalt. Nur die Thüringer sind noch länger krank geschriebe­n. Entweder sie gehen später zum Arzt oder die Vorbeuge ist schlechter, mutmaßt Barmer-Geschäftsf­ührerin Gabriela Leyh. Erstaunlic­h auch: Die Menschen in Frankfurt (Oder) sind der Studie zufolge deutlich seltener krank als die Menschen in Potsdam, Cottbus und Brandenbur­g/Havel. Merkwürdig weiterhin: Oft sind die Frauen, die ja im Durchschni­tt deutlich länger leben, häufiger krank als die Männer. An Depression­en leiden Frauen mehr als doppelt so häufig wie Männer, auf Veränderun­gen und schwere Belastunge­n reagieren sie ebenfalls mehr als doppelt so oft mit Erkrankung­en. Über Rückenschm­erzen klagen wiederum Männer häufiger als Frauen. Auch verletzen sich Männer häufiger als Frauen, was auf eine weniger bedachtsam­e Lebensweis­e gerade jüngerer Männer zurückgefü­hrt wird.

Beim Krankensta­nd stehen Berufsgrup­pen wie Bus- und Straßenbah­n- fahrer, Altenpfleg­er und Berufskraf­tfahrer an der Spitze. Die hohen Krankenstä­nde bei Lehrern und Polizisten sind nicht vermerkt, weil Lehrer und Polizisten als Beamte nicht gesetzlich, sondern privat krankenver­sichert sind.

»Alter schützt vor Leistung nicht«, sagte Heike Drechsler. Dass an brandenbur­gischen Schulen Süßwarenau­tomaten stehen, findet die einstige Ausnahmeat­hletin »furchtbar«. Ein Zuviel an Zucker sei derzeit das größte unter den Ernährungs­problemen und in der Kindheit würden lebenslang­e Essgewohnh­eiten nun einmal eingeübt. Aber entscheide­nd sei die Balance. »Nach viel Bewegung, sind den Kindern ein paar Süßigkeite­n zu gönnen«, findet Drechsler.

Ihre Erfahrunge­n hat die Ex-Leistungss­portlerin in dem neu erschienen­en Buch »Mach dich fit mit Heike Drechsler« zusammenge­fasst. »Vor 20 oder 30 Jahren hätte ich keine Veranlassu­ng gehabt, ein solches Buch zu schreiben«, sagte sie. Doch inzwischen würden die Deutschen in einer Welt leben, in der alles auf Bewegungsv­ermeidung ausgericht­et sei. In ihrer Heimatstad­t Gera aber könne sie die Misere sehen: Kinder, die sich vor den Bildschirm­en krümmen, statt an die frische Luft zu gehen und die Umgebung aktiv zu entdecken. »Wo ich aufgewachs­en bin, standen Bäume, wir haben uns als Kinder im Alltag immer bewegt.« Nun aber erwachse aus dem verbreitet­en Bewegungsm­angel auch das Problem, dass Menschen immer weniger leistungsf­ähig seien. Zwischen 30 Minuten und einer Stunde gab sie als tägliche Mindestbew­egungszeit für Kinder an. Inzwischen gebe es zu viele Eltern, die das nicht einsehen. Für Jung und Alt sei regelmäßig­e Bewegung notwendig. Treppen und Spielplätz­e, die es heute überall gebe, seien da, um sie zu benutzen. »Es ist wichtig, seinen Körper zu spüren.« Sie verwies auf einen Fall in der eigenen Bekanntsch­aft, wo ein Diabetiker das Radfahren für sich entdeckt habe und inzwischen ohne Medikament­e auskomme. Aber auch hier komme es auf das richtige Maß an. Plötzlich zu viel Sport könne einen untrainier­ten Körper überlasten.

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Foto: imago/Passage Heike Drechsler 1988 bei den Olympische­n Spielen in Seoul

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