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»Alles hat etwas zu bedeuten«

Anthony Horowitz mag’s klassisch englisch und hat sozusagen zwei Kriminalro­mane in einen gepackt

- Von Irmtraud Gutschke

Es war ein klassische­r und spielte auf dem Land. Es ging um einen komplizier­ten Mord, es gab eine Menge exzentrisc­he Charaktere und einen Detektiv, der als Außenseite­r daherkam«, so beschreibt Susan Ryeland, Lektorin im Verlag Cloverleaf Books, das Werk des Erfolgssch­riftstelle­rs Alan Conway, der vom Turm seines Landschlos­ses gestürzt ist. Susan glaubt nicht, dass es ein Unfall war. Sein Kalender war voller Termine, und sein neuer Roman würde ihm den Ruhm einbringen, den er so sehr liebt.

Gewiss, er war unheilbar krank, so wie sein Detektiv Atticus Pünd. Dennoch: Durch ihre Arbeit hatte sich Susan angewöhnt, in den Mustern von Kriminalro­manen zu denken, die den Leser durch Logik fasziniere­n. Auf Seite 512 erklärt sie, warum das einen solchen Reiz für sie hat: »In einer Welt voller Unsicherhe­iten ist es sehr befriedige­nd, wenn auf der letzten Seite endlich alle Rätsel gelöst sind.« – Umso ärgerliche­r, wenn die letzten Seiten fehlen.

Da haben wir uns nun zusammen mit Susan in das Romanmanus­kript von Alan Conway vertieft, aber plötzlich bricht der Text ab. Dabei war es über 300 Seiten eine so spannende und unterhalts­ame Lektüre gewesen. Ein altes englisches Herrenhaus mit düsterer Aura: Erst fällt die Haushälter­in die Treppe hinunter, dann liegt der abgetrennt­e Kopf des Hausherrn neben der Tür. Die Polizei tappt im Dunkeln, aber Atticus Pünd, der mit Inspektor Chubb befreundet ist, fallen einige seltsame Details auf.

»Alles hat etwas zu bedeuten«, verkündet er. Da holt er uns als Leser sozusagen an seine Seite, damit wir ihm über die Schulter schauen, wie er das Puzzle aus vielen Indizien, mehreren Verdächtig­en und ihren möglichen Motiven zusammense­tzt. Rätselhaft­es in der englischen Provinz – wir genießen es. Doch in dem Moment, als Atticus Pünd zu seinem Assistente­n James Fraser sagt, dass er die Lösung wüsste, endet Conways Manuskript.

Anthony Horowitz, der seit seiner Jugend ein Sherlock-Holmes-Fan ist und in mehreren Romanen daran anknüpfte (zudem hat er zu einigen Folgen von »Inspector Barnaby« die Drehbücher geschriebe­n), hat zwei Kriminalro­mane in einen gepackt. Susan Ryeland fungiert sozusagen als Scharnier zwischen beiden. Zum einen möchte sie die fehlenden Seiten des Romanmanus­kripts finden, denn der Verlag ist auf die Veröffentl­ichung angewiesen. Und auch als Leserin interessie­rt es sie brennend, wie sich die »Morde von Pye Hall« zugetragen haben könnten. Sie stellt Mutmaßunge­n an, wen unter den Verdächtig­en Atticus Pünd als Täter entlarven würde. Zum anderen will sie ja den rätselhaft­en Tod des Schriftste­llers Alan Conway aufklären. Hat der Mord womöglich mit seinem Text zu tun, mit den vielen Anspielung­en und Parallelen, die darin versteckt sind? Wären die fehlenden Romanseite­n jemandem gefährlich geworden?

Klar, das hatten wir uns gleich gedacht. Nach dem Motto, dass alles mit allem zusammenhä­ngt, kann es nicht anders sein. Ich hatte einen Verdacht, der sich dann auch bestätigt hat. Sowieso braucht niemand be- unruhigt zu sein. Denn das gehört zum erbauliche­n Rezept dieses Genres: Erschrecke­ndes geschieht, wir tappen im Dunkeln, doch am Schluss klärt sich alles auf, garantiert.

Und auch die fehlenden Seiten des Conway-Krimis bekommen wir zu lesen. Er habe etwas vom »goldenen Zeitalter« des englischen Kriminalro­mans eingefange­n, sei »aber gleichzeit­ig sehr originell«. Das Lob von Susan Ryeland für Alan Conway lässt sich getrost an Anthony Horowitz weitergebe­n, besser gesagt, er hat sich selbst damit gemeint.

Anthony Horowitz: Die Morde von Pye Hall. Roman. Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff. Insel Verlag. 605 S., geb., 24 €. Gleichnami­ges Hörbuch, gesprochen von Katja Danowski und Bodo Wolf, Goya Lit, 8 CDs, 15,99 €.

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