Die ideale Sportart für Inklusion
Bei der Rollstuhlbasketball-WM in Hamburg spielen Menschen mit und ohne Behinderung zusammen
Mehr als 330 Rollstuhlbasketballer aus 18 Nationen bestreiten vom 16. bis zum 26. August in Hamburg ihre Weltmeisterschaft. Mit dem Turnier wollen sie auch Berührungsängste abbauen. Die Basketballerin Mareike Miller debütierte schon mit 14 Jahren in der Regionalliga der Frauen. Gleich im ersten Spiel zog sie sich einen Kreuzbandriss zu. Fortan musste sie im Sportunterricht zuschauen, monatelang. Sie kämpfte sich zurück – und verletzte sich wieder. Drei Kreuzbandrisse folgten. Mit 17 war Mareike Miller Sportinvalidin. Einer ihrer wichtigsten Lebensinhalte war abhandengekommen. Doch ihr Sportlehrer munterte sie auf, nahm sie mit zum Rollstuhlbasketball. »Obwohl ich zehn Jahre Basketball gespielt habe, konnte ich nur zehn Minuten mithalten«, sagt Miller. »Es dauerte, bis ich ein Gefühl für den Rollstuhl bekam. Man muss alles mit den Armen erledigen, ich war sehr schnell erschöpft.«
Doch Mareike Miller erging es wie vielen: Wenn sie einmal mit Rollstuhlbasketball beginnen, können sie es nicht mehr sein lassen. Mehr als 330 Spielerinnen und Spieler aus 18 Nationen bestreiten ab Donnerstag in Hamburg ihre Weltmeisterschaft. Rund 50 000 Zuschauer werden erwartet. Und Miller unterstreicht noch etwas: Diese Sportart eignet sich wie kaum eine andere für Inklusion, denn es können Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam spielen.
Mareike Miller trainierte fast jeden Tag. Dribbeln, Werfen, mit dem Rollstuhl blitzschnell drehen. Die Arme wurden kräftiger, an ihren Händen wuchs Hornhaut. Sie wurde besser, von Jahr zu Jahr. 2012 gewann sie in London paralympisches Gold, als beste Werferin im Finale. 2016 in Rio reichte es für Silber. Als Teamführerin hört sie immer wieder die gleiche Frage: Worin bestehen die Unterschiede zum »normalen« Basketball? »Für uns ist die Normalität eine andere«, sagt sie. »Wir betrachten den Rollstuhl als Sportgerät, genauso wie Ball und Korb. Durch die WM wollen wir Berührungsängste abbauen.«
Auf dem Parkett gleicht ein Klassifizierungssystem unterschiedliche Behinderungen aus: Spieler mit der höchsten Stufe wie einer Querschnittslähmung werden mit einem Punkt bewertet, Spieler ohne Behinderung mit 4,5. Insgesamt dürfen die fünf Spieler eines Teams 14 Punkte nicht überschreiten.
Während der WM in Hamburg können sich nun rund 10 000 Jugendliche mit der Sportart vertraut machen. Die Organisatoren haben für das Kulturprogramm eng mit Stadtteilzentren zusammengearbeitet und waren in 100 Schulprojekten zu Gast, sagt WM-Geschäftsführer Anthony Kahlfeldt. »Das soll ein gesellschaftlicher Anstoß sein. Zudem wird gerade in einer Studie geprüft, ob Rollstuhlbasketball auch als Teil des Sportunterrichts etabliert werden kann.«
Das Thema Inklusion wird in der Bildung seit Jahren intensiv diskutiert. Gerade der Sport steht vor großen Herausforderungen, wenn er behinderte Kinder und Jugendliche in den Regelunterricht inkludieren möchte. Wenige Teamsportarten können dabei helfen: Sitzvolleyball, Goalball, Blindenfußball oder eben Rollstuhlbasketball. Aber gibt es dafür ausreichend barrierefreie Hallen? Können sich Schulen Rollstühle und eine Fortbildung ihrer Sportlehrer leisten?
Deutschland gehört zu den erfolgreichen und gut entwickelten Nationen im Rollstuhlbasketball. In einer Sportart, die 1946 von amerikanischen Kriegsveteranen gegründet wurde. Folgt man dem Ziel der Inklusion, so müssten behinderte und nicht behinderte Sportler in denselben Verbandsstrukturen aufgehen. Im Stadtteil Wilhelmsburg der WM-Gastgeberstadt Hamburg kooperieren die Vereine aus Fußgänger- und Rollstuhlbasketball: die »Towers« und die »BG Baskets«. Darüber hinaus hält sich die Zusammenarbeit der höchsten Ligen in Grenzen. Die Rollstuhlbasketballer haben meist eigenständige Vereine, fernab der großen Klubs.
Auch die Rollstuhl-Nationalteams sind nicht im Deutschen BasketballBund (DBB) organisiert, sondern im Deutschen Behindertensportverband (DBS). »Wir sind eigenständig, dadurch können wir schnell Entschei- dungen treffen«, sagt Nicolai Zeltinger, DBS-Bundestrainer für die Rollstuhl-Männer. Und erwähnt gemeinsame Werbeaktionen zwischen DBB und DBS, zum Beispiel Grußbotschaften von Dirk Nowitzki für die WM.
Andere Sportarten wie Triathlon oder Kanurennsport zeigen jedoch, dass nicht behinderte und behinderte Athleten intensiver zusammenarbeiten können, etwa in Trainingslagern oder regionalen Wettbewerben. Nicolai Zeltinger ist da skeptisch: »Ich glaube, in einem gemeinsamen Basketballverband würden wir als kleinere Einheit vielleicht auch ein bisschen untergehen.«
Rollstuhlbasketball gilt als Zuschauermagnet der Paralympics, wo im Gegensatz zur Bundesliga nur behinderte Spieler aufs Feld dürfen. Es gab bereits zaghafte Diskussionen, diesen Sport ins Programm von Olympia aufzunehmen. Beide Ereignisse, Olympia und Paralympics, werden auf absehbare Zeit nicht in Deutschland stattfinden. Die Rollstuhlbasketballer möchten ihre Sportart in Deutschland trotzdem auf ein neues Niveau heben. Nicht nur in Hamburg.