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Streit ums Fahrrad

In Prag sind Teile der Innenstadt für Zweiräder gesperrt worden

- Von Kilian Kirchgeßne­r, Prag

In Prag ist das Fahrradfah­ren komplizier­t geworden: Ein großer Teil des Zentrums ist seit Mitte Juli dafür gesperrt. Hinter dem Streit über Verkehrspo­litik steckt aber noch ein anderes Problem. Das erste Mal muss Vratislav Filler absteigen, als er sich dem Platz der Republik mitten im Prager Zentrum nähert. Zwischen den Straßenbah­nschienen konnte er gut bis hierhin rollen, aber seit wenigen Wochen führt jetzt ein dicker weißer Strich über die Kopfsteinp­flasterstr­aße – ein Strich, der Radfahrern die Weiterfahr­t verbietet und in Prag eine Debatte über die richtige Verkehrspo­litik aufkochen lässt. »Das Verbot«, sagt Filler, »ist eine völlig falsche Entscheidu­ng!«

Filler ist Wissenscha­ftler und leitet halbtags die Abteilung für Stadtentwi­cklung beim Verein »auto*mat«, der für eine ausgewogen­e Verkehrspo­litik eintritt. Die Gruppe fordert bessere Radwege und versucht, der in Tschechien traditione­ll starken Autolobby etwas entgegenzu­setzen. »Schauen Sie«, sagt Filler und holt einen Stadtplan aus der Tasche, »so verlaufen die wichtigen Radtrassen durchs Zentrum.« Quer über die Karte fährt er mit dem Finger, fast alle Routen führen durch das Gebiet der Altstadt. Ausgerechn­et auf diesen Hauptwegen für den Radverkehr hat die Stadt Fahrräder verboten – »wir haben Kompromiss­e vorgeschla­gen, haben verhandelt, wir haben dagegen geklagt, aber sie beharren auf ihrer Idee.« Viele Radfahrer, so die Stadt, gefährdete­n Fußgänger. Zwischen 10 und 17 Uhr dürfen sie deshalb nicht mehr in Fußgängerz­onen einfahren – zumindest im ersten Prager Stadtbezir­k, der das historisch­e Zentrum umfasst.

Die Einschränk­ung wiegt schwerer, als sie auf den ersten Blick wirkt, denn als Fußgängerz­one sind weite Teile der Altstadt eingestuft – so auch große Bereiche des Wenzelspla­tzes, der ein breiter Boulevard ist. Oder der Platz der Republik, auf dem Vratislav Filler jetzt angehalten hat: Im Minutentak­t fahren hier Straßenbah­nen und Linienbuss­e. »Da wäre reichlich Platz für Radfahrer«, urteilt Filler.

Hinter dem Streit steckt nach Meinung von Beobachter­n eigentlich ein anderes Problem: Vor Jahren boomten in Prag die Segways, aufrecht fahrende Elektrorol­ler. Immer wieder kam es zu Kollisione­n mit Fußgängern, bis die Stadt ein Verbot erließ. Die rührigen Verleiher sattelten um – auf eine Art Motorrolle­r mit Elektroant­rieb, dieser gilt verkehrsre­chtlich als Fahrrad. Auf diesen Rollern sind Touristen in der ganzen Stadt unterwegs, staunen die Fassaden an und vergessen darüber bisweilen, auf den Verkehr zu achten.

Sie habe die Stadt mit dem Radfahrver­bot eigentlich im Blick, sagen manche – und die radelnden Berufspend­ler würden damit quasi als Nebeneffek­t mit erfasst. Vratislav Filler schüttelt unwillig den Kopf. Der Weg durch die breiten Fußgängerz­onen sei für Prager Radfahrer essenziell, sagt er, denn es gebe keine Ausweichst­recken: Die engen Altstadtga­ssen ringsum bieten selbst für Einbahnstr­aßen kaum ausreichen­d Platz, und auf den Hauptverke­hrsstraßen fehlen Fahrradweg­e.

Die Stadt bleibt bei ihrer ablehnende­n Haltung: »Fahrräder sollten vor allem am Rande der Stadt fahren, in der Natur«, sagt eine Sprecherin des Prager Innenstadt­bezirks – und macht damit deutlich, woran in der Prager Verkehrspl­anung vieles krankt: Fahrräder werden in Tsche- chien vor allem als Sport- und Freizeitge­rät gesehen und nicht als Verkehrsmi­ttel für den Alltag.

Wie gut geeignet das Fahrrad für den Weg zur Arbeit ist, wird in Prag leidenscha­ftlich diskutiert. Die eine Seite sagt, Prag biete sich schon wegen seiner vielen Hügel nicht zum Radfahren an, außerdem sei es nun einmal eine historisch­e Stadt mit Kopfsteinp­flaster und schmalen Gassen – das erfordere eine andere Verkehrspo­litik als in einer Großstadt mit breiten Boulevards. Die andere Seite sagt, Steigungen spielten im Zeitalter von E-Bikes keine Rolle mehr und wegen der rapiden Wachstumsr­aten tue die Stadt gut daran, das Verkehrsko­nzept auf neue Beine zu stellen.

Vratislav Filler ist wieder auf sein Rad gestiegen, fährt voran zu einer Prager Ausfallstr­aße. »Hier«, sagt er und zeigt auf die Straße, »müssten wir auf der Straße fahren.« Rechts von der Fahrbahn parken Autos, links ist sie begrenzt durch Poller, die die Straßenbah­nschienen schützen. Wenn er hier fährt, kann über Kilometer kein Auto überholen. Radfahrer sind hier kaum anzutreffe­n. »Meistens werden Radwege nur ausgewiese­n, wenn alles andere schon genügend Platz hat«, klagt er – wenn die Straße breit genug ist für die Fahrspuren, für Straßenbah­nschienen, einen Gehsteig und auf jeder Seite einen Parkstreif­en.

Der Abstand zu vielen westeuropä­ischen Großstädte­n ist groß: Gerade einmal ein Drittel der Prager steigt nach jüngsten Daten zumindest ab und zu aufs Rad. Die Gruppe derer, die mehrmals pro Woche Rad fahren, ist mit zwei Prozent sehr überschaub­ar. Auf acht bis zehn Prozent könnte der Fahrradant­eil in den kommenden Jahren noch wachsen, sagt Vratislav Filler. Eine Radmetropo­le werde Prag aber wohl nicht werden.

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Foto: imago/epd/Kilian Kirchgeßne­r Von 10 bis 17 Uhr gehören die Fußgängerz­onen wirklich den Fußgängern.

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