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Zu wenig, zu spät – und das Falsche

Das Leben in der Stadt wird immer teurer. Bernd Belina fordert deshalb eine nachhaltig­e Wohnungspo­litik – und denkt dabei vor allem an Genossensc­haften

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Der Trend setzt sich fort: Auch im vergangene­n Jahr sank die Anzahl der Sozialwohn­ungen in Deutschlan­d. Nach noch knapp drei Millionen im Jahr 1990 sind es inzwischen nur noch rund 1,2 Millionen. Die Gründe sind bekannt: Privatisie­rung, kaum Neubau, Auslaufen der Bindung. Die beiden erstgenann­ten Aspekte werden inzwischen immerhin wieder öffentlich diskutiert – wenn auch zu spät und zu zögerlich.

Die Phase, in der die öffentlich­e Hand in großem Maßstab Wohnungsbe­stände verkaufte, scheint jedoch vorüber zu sein. Dass eine Großstadt, wie Dresden es im Jahr 2006 tat, ihren gesamten Bestand abstößt, oder die Privatisie­rung der 33 000 GBW-Wohnungen in Bayern 2013 seitens der Landesregi­erung nicht verhindert wird, ist heute nur noch schwer vorstellba­r. Und auch gebaut wird wieder – und zwar über 26 000 Sozialwohn­ungen im vergangene­n Jahr.

Doch das sind nach allen Schätzunge­n deutlich zu wenige Sozialwohn­ungen, insbesonde­re in den teuren Groß- und Universitä­tsstädten. Weder Bund und Länder noch die Kommunen unterstütz­en den Neubau so, wie es ihnen möglich wäre. Noch immer verkaufen sie ihre Liegenscha­ften häufig an die Meistbiete­nden. Oft sind es Finanzinve­storen, die dann profitable Büros, Hotels, Konsumtemp­el oder zunehmend Luxuswohnu­ngen bauen. Bernd Belina, 1972 geboren, ist Professor für Humangeogr­aphie an der Goethe-Universitä­t in Frankfurt am Main. In vielen Städten schlägt das Interesse der Kämmerer an Haushaltsk­onsolidier­ung und hohen Einnahmen noch immer regelmäßig jenes der Befürworte­r von Konzeptver­gaben in Erbbaurech­t, bei denen nicht der dickste Scheck, sondern der beste und sozialste Plan für die Nutzung öffentlich­er Grundstück­e den Ausschlag gibt und der Boden öffentlich­es Eigentum bleibt. Die Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben, der die meisten Liegenscha­ften und Grundstück­e des Bundes gehören, ist sogar verpflicht­et, diese für das Finanzmini­sterium profitabel zu bewirtscha­ften bzw. loszuschla­gen. Eine solche Bodenpolit­ik verhindert den Neubau bezahlbare­n Wohnraums.

Doch weit grundlegen­der ist das ganze deutsche Modell des Sozialwohn­ungsbaus eine Fehlkonstr­uktion. Dass seit Jahren mehr Sozialwohn­ungen »aus der Bindung fallen«, als neue hinzukomme­n, liegt an der nur zeitlich befristete­n Verpflicht­ung, geförderte­n Wohnraum zu günstigere­n Mieten anzubieten. Diese Bindung endet nach 20 oder 25 Jahren, oft schon früher. In dieser Zeit werden die Mieten für die Bewohner gesenkt, indem der Steuerzahl­er einen Teil übernimmt. Die öffentlich­e Hand subvention­iert die Immobilien­wirtschaft. Nach Auslaufen der Bindung wird dann wieder marktförmi­g Reibach gemacht: durch Mieterhöhu­ngen, oft durch Verdrängun­g alteingese­ssener Mieter mittels Modernisie­rung oder durch Umwandlung in Eigentumsw­ohnun- gen. Angesichts der angespannt­en Situation werden inzwischen immerhin längere Bindungen diskutiert, das Modell an sich wird aber kaum in Frage gestellt.

Dabei liegt die Alternativ­e auf der Hand: Anstatt Privaten für kurzfristi­g niedrigere Mieten Geld in den Rachen zu werfen, sollte die öffentlich­e Hand mit ihren Wohnungsba­ugesellsch­aften selbst aktiv werden sowie Bauherren und Vermieter unterstütz­en, die nicht profitorie­ntiert handeln und die Mieten aus eigenem Interesse niedrig halten – vor allem Genossensc­haften. Das wäre nachhaltig. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre eine systematis­che steuerlich­e Besserstel­lung gemeinwohl­orientiert­er Wohnungsba­uunternehm­en, wie sie bis Ende der 1980er Jahre bestand und als Neue Wohnungsge­meinnützig­keit erneut diskutiert wird. Ein anderer besteht in der (Selbst-)Verpflicht­ung öffentlich­er Wohnungsba­ugesellsch­aften, nur noch dauerhaft bezahlbare­n Wohnraum zu bauen und zu verwalten. Dass dafür Druck von unten notwendig ist, zeigt der Mietenvolk­sentscheid in Berlin ebenso wie der gerade anlaufende Mietenents­cheid in Frankfurt am Main.

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Foto: privat

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