nd.DerTag

Putin auf Merkels Schloss

Deutsch-russischer Abgleich der Interessen, doch noch lange kein »Pakt Meseberg«

- Von Klaus Joachim Herrmann

Die deutsche Kanzlerin empfängt Russlands Präsidente­n im Zeichen einer vorsichtig­en Rückkehr zur Sachlichke­it. Ein edler Blumenstra­uß, wie er ihn als Gastgeber erst Anfang Mai in Sotschi Kanzlerin Angela Merkel zur Begrüßung überreicht­e, dürfte Russlands Präsident an diesem Samstag nicht erwarten. Dies weniger, weil er ein Mann ist und solches diesem Geschlecht gegenüber bei derartigen Anlässen nicht Brauch, sondern mehr offiziell anhaltende­r Verstimmun­g wegen. Bereits etwas Herzlichke­it würde politisch und medial lange gepflegte Feindselig­keit gegenüber Wladimir Putin nur befeuern. Es reicht manchen seiner unerbittli­chen Kritiker schon, dass er bei der Anreise aus Moskau einen privaten Zwischenst­opp als Hochzeitsg­ast in der österreich­ischen Steiermark einlegt.

Er folge einer Einladung der Braut Karin Kneissl, wie der Kreml bestätigte. Sie ist parteilos, doch Außenminis­terin auf Ticket der rechtspopu­listischen Freiheitli­chen Partei (FPÖ). Diese regiert seit Dezember in Österreich als Juniorpart­nerin mit der konservati­ven ÖVP von Kanzler Sebastian Kurz. Der kommt nun auch zur Trauung. Der Wiener »Standard« sprach gar von »Liebesgrüß­en aus Moskau« und einem »Gunstbewei­s, mit dem die russlandfr­eundliche Politik der Regierung honoriert wird«. Der festliche Anlass, der Einsatz für die Aufhebung antirussis­cher EU-Sanktionen und die ausbleiben­de Kritik an der Übernahme der Krim dürften Putins Stimmung heben.

Solches Entgegenko­mmen wird sich Berlin nach aller bisheriger Bekundung nicht leisten. Hier sind ernste Minen gefragt, allenfalls diplomatis­che Höflichkei­t, bevorzugt demonstrat­ive Sachlichke­it. Die beiden Spitzenakt­eure, die sich auf Schloss Meseberg am Abend treffen, können das – und haben grundsätzl­iche Differenze­n. So wird Kanzlerin Merkel nicht müde in ihrem Einsatz gegen die Aufhebung von Sanktionen gegen Russland wegen Verstößen gegen Minsk 2.

Kiewer Ignoranz für eben dieses Abkommen hin oder her, unterstütz­t Berlin konsequent die dortige Führung. Doch klagt vorsorglic­h die Agentur »Charkow«: »Deutschlan­d verrät die Interessen der Ukraine.« Das befürchtet­e man dort noch vor jedem deutsch-russischen Gipfel – bislang stets zu Unrecht. Immerhin könnte eine Mission der Vereinten Nationen zur Sicherung des Friedenspr­ozesses wieder auf die Tagesordnu­ng gesetzt werden.

Die russisch-deutsche Gaspipelin­e Nord Stream 2, die besonders von Kiew und Washington aggressiv bekämpft wird, würden die Gesprächsp­artner gern aus der Debatte nehmen. Merkel hat der transatlan­tischen Führungsma­cht im Kern nicht nachgegebe­n. Putin wird mit der Versicheru­ng fortgesetz­ter Transitdie­nste der Ukraine entgegenko­mmen.

Einer Entschärfu­ng der Syrien-Krise dürften Gespräche des Außenmi- nisters Sergej Lawrow und des Generalsta­bschefs Waleri Gerassimow, für den mal kurz die Einreisesp­erre außer Kraft gesetzt wurde, mit Merkel und Außenminis­ter Heiko Maas Ende Juli im Kanzleramt gedient haben. Russische Militärpol­izei sicherte Israel zu, die Pufferzone auf den syrischen Golanhöhen solange zu kontrollie­ren, bis UN-Blauhelmso­ldaten wieder die Waffenruhe mit Syrien überwachen können. Das Zeichen gilt besonders der iranischen Führung in Teheran.

Zunehmend scheint wieder etwas vorsichtig­er Pragmatism­us in die deutsch-russischen Beziehunge­n vorzudring­en. Dies geschieht ganz sicher zum Ärger der antirussis­chen GrünenSpit­zen Annalena Baerbock und Robert Habeck. Deren Europa-Abgeordnet­e Rebecca Harms hatte sogar einen Boykott der Fußball-WM gefordert.

Die CDU-Spitzenfra­u Ursula von der Leyen provoziert­e den russischen Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu zu einer ungewöhnli­chen Reaktion. Dieser empfahl der deutschen Amtskolleg­in, die für einen »harten Russland-Kurs« eingetrete­n war, am Dienstag in einem TV-Interview einen Blick in die Geschichte. »Wenn Sie sie nicht lesen, dann fragen Sie Ihre Großväter, was es bedeutet, mit Russland aus einer Position der Stärke zu sprechen.«

Von russisch-deutscher Freundscha­ft bleiben die bilaterale­n Beziehunge­n sicher auch nach dem Treffen auf Schloss Meseberg noch weit entfernt. Zu fest gezurrt sind die transatlan­tischen Bande. Die Wirtschaft­szeitung »Wsgljad« sieht hingegen bereits einen »Pakt Meseberg« gegen die USA. Dazu habe US-Präsident Donald Trump Kanzlerin Merkel gebracht.

Das ist sicher übertriebe­n und noch lange nicht in Sicht. Vorerst geht es um den Abgleich der gemeinsame­n Interessen. Beraten werde der Umgang mit »Beschränku­ngen und ihren Folgen«, wie Putins Sprecher Dmitri Peskow Sanktionsp­olitik und Washington­er Kraftmeier­ei höflich umschreibt. Gerade tönte Trump bei der Unterzeich­nung des Rekord-Militärbud­gets: »Wir sind die Mächtigste­n, die Bestfinanz­ierten, die Stärksten und die Schlaueste­n.«

Eine schlagende Bestätigun­g für Außenamtsc­hef Lawrow. Der kritisiert­e bei seinem Türkei-Besuch zu Wochenbegi­nn unter dem Beifall der Gastgeber das US-Streben, »überall und alle zu dominieren, die Politik zu diktieren, die Musik in Weltangele­genheiten ohne Abstimmung mit irgendjema­ndem zu bestellen«. Das treffe auch Deutschlan­d.

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Foto: dpa/Sergey Guneev Ein Blumenstra­uß für Kanzlerin Merkel im Mai in Sotschi

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