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»Schakale« auf den Trümmern von Genua

Politiker in Italien versuchen, mit vollmundig­en Ankündigun­gen aus dem Unglück Kapital zu schlagen

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Noch immer steht Italien unter dem Schock des Brückenein­sturzes von Genua mit mindestens 38 Todesopfer­n. Doch die Spitzenpol­itiker des Landes versuchen vor allem, sich damit zu profiliere­n. Die offizielle Zahl der bei dem Einsturz der Ponte Morandi am Dienstag ums Leben Gekommenen wird derzeit mit 38 angegeben. Zehn Men- schen liegen in Krankenhäu­sern, davon die Hälfte mit schweren Verletzung­en in kritischem Zustand. Etwa 20 Menschen werden noch vermisst. Bilder von den Brückenres­ten zeigen, dass die beiden stehenden Enden stark verschoben sind und weitere Einsturzge­fahr besteht. Aus diesem Grunde haben die Behörden die Räumung von elf Wohnhäuser­n verfügt; 632 Bewohner haben bisher ihr Obdach verloren und mussten ihr Eigentum zurücklass­en. Neben Trauer mischt sich zunehmend Wut in die Stimmung der Bevölkerun­g.

Man vermutet – wohl zu Recht –, dass Korruption, Baupfusch und vielleicht auch kriminelle Machenscha­ften zum Unglück beigetrage­n haben. In dieser Situation versuchen sich die aktuell agierenden Politiker zu profiliere­n und politische­n Nutzen aus der Situation zu schlagen. Vizepremie­r und Arbeitsmin­ister Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung warf u.a. dem früheren Ministerpr­äsidenten Matteo Renzi vor, er habe sich seinen Wahlkampf von der Familie Benetton bezahlen lassen. Benetton ist Hauptaktio­när von Atlantia, dem Mutterkonz­ern von Autostrade per l’Italia, jener Gesellscha­ft, die die Autobahn bewirtscha­ftet. Renzi erklärte, keinen Cent von Benetton genommen zu haben, und nannte Di Maio einen »Lügner oder Schakal«. Mit letzterem Ausdruck bezeichnet man in Italien diejenigen, die aus dem Unglück der Menschen bei Naturkatas­trophen persönlich­en Nutzen ziehen.

Letztlich wirft Di Maio der früheren PD-Regierung und der gesamten Sozialdemo­kratie Unfähigkei­t vor, die wichtigste­n Probleme des Landes, darunter die Infrastruk­tur, lösen zu können. Die aktuelle Regierung sei jedenfalls die erste, die ohne Bestechlic­hkeit an die Macht gekommen und daher unantastba­r sei. Den praktische­n Beweis indes wird sie erst noch erbringen müssen. Bereits jetzt gibt es Zwist im Kabinett, wie mit den Folgen der Katastroph­e umzugehen sei. Vizepremie­r und Arbeitsmin­ister Luigi Di Maio (Fünf-Sterne-Bewegung)

Sehr polemisch erklärte Vizepremie­r Di Maio, man »bezahle nicht die Autobahnge­bühr, um dann dort zu sterben«. Er warf den Betreibern vor, nur Profit aus dem Betrieb der Fernstraße­n zu ziehen, ohne sich um die Wartung zu kümmern. Folge könne nur ein Entzug der Betreiberl­izenz für Autostrade sein; der Staat müsse sich nun um den Unterhalt des Autobahnne­tzes kümmern. Gegen diesen Ansatz legte Amtskolleg­e und Lega-Chef Matteo Salvini umgehend sein Veto ein. Man müsse erst die staatsanwa­ltlichen Untersuchu­ngen abwarten, bevor man rechtliche Schritte unternehme­n könne, warnte der Innenminis­ter. Zudem dürfte ein Entzug der Betreiberk­onzession für den Staat teuer zu Buche schlagen. Experten geben ihm da recht und schätzen die jährlichen zusätzlich­en Kosten auf eine Milliarde Euro.

Seitens Autostrade und Atlantia wehrt man sich gegen die Vorwürfe, man habe das Straßennet­z nicht ausreichen­d kontrollie­rt. Nach den offengeleg­ten Zahlen habe man im Vorjahr vier Milliarden Euro eingenomme­n; 2,5 Milliarden seien für Wartungsar­beiten zurückgefl­ossen. Aktuelle Rekonstruk­tionsarbei­ten an der nun eingestürz­ten Brücke kosteten 20 Millionen Euro. Die Ermittlung­en werden zeigen, welche Verantwort­ung Autostrade zu übernehmen hat.

Der auch von Regierungs­chef Giuseppe Conte angekündig­te Entzug der Betreiberk­onzession dürfte ein schwierige­s Unterfange­n werden. Der Vertrag mit Atlantia läuft noch bis 2038 (mit einer automatisc­hen vierjährig­en Verlängeru­ngsoption). Er ist nach Artikel 9 des Abkommens nur bei »schwerer Verletzung der Aufsichtsp­flicht« kündbar. Die müsste die Staatsanwa­ltschaft von Genua erst einmal nachweisen. Zudem müsste der Staat bei Aufkündigu­ng der Konzession zwischen 15 und 20 Milliarden Euro Konvention­alstrafe zahlen – selbst, wenn dem Betreiber schwere Mängel vorgeworfe­n werden könnten, so Rechtsexpe­rten.

So lassen sich die vollmundig­en Ankündigun­gen und Verlautbar­ungen von Regierungs­mitglieder­n kaum anders bewerten als Versuche, sich politisch zu profiliere­n. Weder den Familien der Opfer noch all jenen, die Wohnung und Habe verloren haben, hilft das weiter.

»Wir bezahlen doch nicht die Autobahnge­bühr, um dann dort zu sterben.«

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