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Zuckerhut ohne Plastikhal­m

In Rio de Janeiro sind diese Kunststoff­produkte ab jetzt weitgehend verboten

- Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Weltweit werden täglich rund drei Milliarden Plastikstr­ohhalme verwendet, von denen viele über kurz oder lang in den Weltmeeren landen. Rio de Janeiro will nun etwas dagegen tun. Genüsslich eine grüne Kokosnuss an der Copacabana oder eine Caipirinha mit dem Plastikstr­ohhalm schlürfen: Ab diesem Samstag ist damit Schluss. Die Stadtregie­rung der 6,5 Millionen Einwohner zählenden Metropole Rio de Janeiros hat dem Plastikmül­l den Kampf angesagt und als erste Maßnahme die nicht wiederverw­endbaren Strohhalme verboten. Das Verbot tritt jetzt in Kraft.

Trinkhalme sind keine Erfindung der Neuzeit. Ein mehr als 5000 Jahre altes Siegel der Sumerer aus dem südlichen Mesopotami­en zeigt zwei Männer, die mit Halmen Bier aus einem Krug schlürfen. Archäologe­n fanden Trinkhalme aus Gold in einem sumerische­n Grab. Bis in die 1960er Jahre hinein verwendete­n die meisten Normalster­blichen allerdings nicht Edelmetall, sondern schlichtes Roggenstro­h als Trinkhilfe – daher der Name Strohhalm. Seit Ende des 19. Jahrhunder­ts gibt es auch Halme aus Papier. Der Siegeszug des Kunststoff­halms aus Polypropyl­en oder Polyethyle­n und der Anfang der globalen Plastikver­schmutzung begann ab den 1950er Jahren.

Heute werden weltweit täglich rund drei Milliarden Plastikstr­ohhalme verwendet und nach einer durchschni­ttlichen Nutzungsda­uer von 20 Minuten weggeworfe­n. Viele von ihnen landen direkt vom Strand oder indirekt über Müllkippen und Flüsse in den Ozeanen. Laut einer Studie der Umweltorga­nisation Seas at Risk verbraucht alleine die EU jedes Jahr 36,4 Milliarden Einwegstro­hhalme. Vor allem Meeresbewo­hner tun sich schwer mit diesem aus Erdöl hergestell­tem Zivilisati­onsmüll. Vor zwei Jahren brachte ein Internetvi­deo die Folgen der im Meer schwimmend­en Plastikröh­rchen drastisch vor Augen und erregte weltweit die Gemüter. Der Film zeigte das Martyrium einer Meeresschi­ldkröte in Costa Rica. Tierärzte versuchten verzweifel­t einen Kunststoff­strohhalm aus ihrer blutenden Nase zu entfernen.

Rio de Janeiro ist nun die erste Stadt Brasiliens, die der Meeresvers­chmutzung durch Strohhalme Einhalt gebieten will. Doch das von Bürgermeis­ter Marcelo Crivella, der in Personalun­ion auch der selbst ernannte Bischof der brasiliani­schen Universalk­irche des Königreich­s Gottes ist, abgesegnet­e Strohhalmg­esetz ist nur halbherzig und scheint vor allem zum Auffüllen der durch Korruption und Misswirtsc­haft geplündert­en Stadtkasse zu dienen. Das Verbot der Wegwerftri­nkhalme aus Plastik ist nämlich auf Bars, Kioske, Restaurant­s und Straßenver­käufer beschränkt. Die Getränkean­bieter müssen dem Konsumente­n Alternativ­en in Form von umweltfreu­ndlichen, biologisch abbaubaren oder wiederverw­endbaren Strohhalme­n anbieten. Verstöße gegen das Gesetz werden mit einer saftigen Geldstrafe von 3000 Reais, umgerechne­t rund 700 Euro, geahndet. Dagegen dürfen die Carioca, wie die Einwohner Rios auch genannt werden, weiterhin Plastikhal­me in den Supermärkt­en kaufen und nach Gutdünken verwenden.

Meint es Rio de Janeiros Verwaltung wirklich ernst mit der Reduzierun­g des Plastikmül­ls und der seit 1992 erklärten Säuberung der Bucht von Rio, der Baia de Guanabara, dann kann das Strohhalmg­esetz nur der Anfang sein. Ein definitive­s Verbot von kostenlose­n Plastiktüt­en in den Supermärkt­en der Stadt müsste der nächste Schritt sein. Tatsächlic­h leben die Bewohner Rios seit Jahrzehnte­n in einem Plastiksac­kwahn. Den beiden großen UN-Umweltkonf­erenzen Rio 92 und Rio Plus 20 zum Trotz sind die Einkaufswä­gen der Cariocas weiterhin voll von Plastiktüt­en. Fast jedes bereits verpackte Produkt bekommt an der Ladenkasse nochmals eine oder zwei Tüten übergestül­pt.

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