Streicht das P-Wort!
Der Kampf gegen den Rechtsruck braucht eine kritische Erwachsenensprache statt entmündigender Warnschildausdrücke
Kapitalismuskritik ist immer auch Sprachkritik. Diese Tradition reicht von Marx’ Dekonstruktion des bürgerlichen Freiheitsbegriffs bis in die Gegenwart, und ein besonders beeindruckendes Beispiel dafür bietet das im letzten Jahr erschienene Sachbuch »Erwachsenensprache« des linken Kulturwissenschaftlers Robert Pfaller. Er legt offen, wie marktradikale und militaristische Politiker auf der Einführung und Einhaltung einer politisch korrekten Sprache bestehen. Nach Pfaller existieren diese Phänomene nicht zufällig nebeneinander, sondern bedingen sich: Mit dem Deckmantel der Liberalität werde eine Politik der Spaltung und Entsolidarisierung getarnt. Er plädiert für eine »Erwachsenensprache« und mündige Subjekte, die nicht ihre Kommunikation politisch regulieren lassen, sondern eine Politik einfordern, die handelt, wo das Individuum nichts bewirken kann, etwa bei der Regulierung von Finanzmärkten oder bei der Steuerflucht.
In Widerspruch gerät Pfaller nur an einer Stelle: Er bedient sich mehrfach eines Begriffs, der selbst nicht der Erwachsenensprache zuzurechnen ist – nämlich des »Rechtspopulismus«. Sicherlich gibt es diskursive Eigenheiten der Neuen Rechten, die man als extrem plakativ und verächtlich brandmarken sollte. Dennoch ist in dem Wort »Populismus« selbst etwas Erzieherisches. Denn neben der offenkundigen Aussage – »Sehr her, diese Politiker argumentieren unsachlich und vereinfachend!« – gibt es noch eine implizitere Aussage, die da lautet: »Diese Politiker halten euch für dumm genug, darauf hereinzufallen!« Die Botschaft lautet also, die Wähler der sogenannten Populisten seien unmündig und dumm.
Misslaunige Zuschauerbeschwerden auf diese offensichtliche Belehrung sorgten dafür, dass man zumindest bei der »Tagesschau« versprach, das Attribut »rechtspopulistisch« nicht mehr auf die AfD anwenden zu wollen. Lange hat dieser Vorsatz jedoch nicht gehalten, und in großen Teilen der deutschen Presse hat man sich noch nicht einmal zu einem kurzen Moment der Selbstkritik durchringen können. Eher umgekehrt: Das P-Wort hat weiterhin Hochkonjunktur in den deutschen Leitmedien, und in einem großen Teil der deutschen Presselandschaft wird lieber mit Kampfbegriffen als mit einem scharfen Blick gearbeitet.
Es soll hier selbstredend nicht darum gehen, die Diskursformen der Neuen Rechten zu legitimieren – aber um zu verstehen, dass die Aussagen eines Björn Höcke zum Holocaustmahnmal oder die Hasstiraden einer Alice Weidel widerwärtig sind, bedarf es beim mündigen Bürger keiner wertenden Attribute: Ihre Perfidität spricht für sich. Letzteres zumindest gilt jedoch ebenso für die Aussagen so einiger Regierungspolitiker – und deren Sprüche werden nicht durch beigefügte Warnschildworte er- oder besser: verklärt. Im Gegenteil: Durch die plakative Dämonisierung der sogenannten Populisten erfolgt eine Legitimierung der als nicht populistisch ausgeflaggten Parteien und Politiker, selbst wenn diese ebenso alberne Antworten auf komplexe Fragen geben. Kaum jemand käme auf die Idee, Angela Merkel für ihre unterkomplexen Vorschläge im Pflegebereich als Populistin zu bezeichnen, auch wenn sich diese leicht in der Luft zerreißen lassen.
Nun ist es das eine, wenn eher dem bürgerlichen Spektrum zugehörige Medien diese Form der Belehrung für redlichen Journalismus halten. Erschreckend ist jedoch, dass mittlerweile auch linke Zeitungen und Publizisten sich dieser Sprache anzupassen beginnen. Nicht nur das PWort taucht dabei immer wieder auf. Neulich war etwa auch in dieser Zeitung zu lesen, dass die Linkspartei und die CDU in Brandenburg ab 2019 womöglich aus »Verantwortung für die Demokratie« koalieren müssten. Damit wurde die Formel von den »demokratischen Parteien« gegenüber der undemokratischen AfD übernommen, die von bürgerlichen Politikern und Medienhäusern immer wieder aufgegriffen wird.
Wieso nun aber die AfD weniger demokratisch sein soll als andere Parteien, bleibt dabei im Dunkeln. Und sind denn Parteien wie CDU/CSU oder SPD die demokratischen Musterknaben schlechthin? Immerhin war es die CDU, die in den letzten Jahren mehrfach gerichtlich zur Offenlegung von Lobbykontakten gezwungen werden musste – und das defizitäre Rechtsstaatsverständnis so mancher CSU-Politiker wurde in den letzten Wochen zum Beispiel durch den »Fall Sami A.« offenbar. Die SPD ernennt ihre Parteispitze in Hinterzimmern, um die Basis die vorgegebenen Entscheidungen dann abnicken zu lassen. Lässt sich angesichts dessen die kategorische Unterteilung in Gute und Böse, in Demokraten und Undemokraten, die mit dem P-Wort einhergeht, tatsächlich aufrechterhalten? Ist nicht umgekehrt die Auf- klärung gerade darüber, dass sich die AfD in vielen Punkten eben nicht von den Etablierten unterscheidet, ein wichtiger Ansatzpunkt zu ihrer Demontage?
Die AfD ist lange keine »Alternative« mehr, im Gegenteil regiert sie aus der Opposition: In dem einzigen Thema, das sie ernsthaft umtreibt, folgt die Regierung seit Längerem ihrer Linie. Das hat der »Unionsstreit« um die Flüchtlingspolitik unlängst noch einmal vorgeführt – es ging nur noch um die Frage, wer sich am schärfsten auf Kosten Hilfsbedürftiger profilieren kann und überhaupt nicht mehr um deren Not. Die AfD bietet auch keine Alternative zum neoliberalen Konsens, sondern treibt diesen auf die Spitze – etwa mit den rentenpolitischen Forderungen Jörg Meuthens auf dem letzten Bundesparteitag.
Durch diese Unterteilung in angeblich demokratische und nicht demokratische Parteien wird ein Scheinkonflikt entworfen, der den Bürgern vorgaukelt, sie hätten eine ernsthafte Wahl zwischen zwei Lagern. In Wirklichkeit besteht diese Wahl aber nur in der Frage, ob Horst Seehofer oder Alexander Gauland die Grenzen schließt oder ob Olaf Scholz oder Alice Weidel marktradikale Finanzpolitik betreibt. Schließt sich die Linke einem solchen Gebrauch des Demokratiebegriffs an, läuft sie Gefahr, selbst keine Alternative mehr zu bieten und stattdessen das kleinere Übel zu propagieren.
Die Rhetorik von den »demokratischen Parteien«, von der »Verantwortung« und vom »Populismus« ist eine Sprache der Belehrung, die nicht zur Information mündiger Erwachsener taugt und die scheinbare Alternativlosigkeit in der Politik noch unterstreicht. Genau dadurch erstarkt jedoch die Neue Rechte, denn so kann sie über eine feindliche Einheitsfront des »Establishments« klagen. Zudem wird diese Ausdrucksweise bis heute auch zur Diskreditierung der Linken benutzt – und sollte schon daher nicht in die Sprache linker Redakteure eingehen, die Gegenöffentlichkeit erschaffen wollen.
Nun ist es wohlfeil, nur darüber zu sprechen, wie man es nicht machen sollte. Welche Möglichkeiten gibt es für linken Journalismus also, eine Sprache zu finden, die weder affirmativ noch agitatorisch-abstoßend wirkt? Hier bieten sich vor allem zwei Wege an. Der erste besteht darin, die Sprache der Herrschenden auseinanderzunehmen und anders zu besetzen. Wenn Bombenabwürfe mit dem Begriff »Verteidigung« verhüllt oder die fortwährende Schwächung von Arbeitnehmerrechten als »Reformen« verkauft werden, sollten diese Euphemismen gnadenlos offengelegt werden. Zugleich ist dann auf anderen Begriffen zu bestehen. Ein großartiges Beispiel dafür gab es neulich im französischen Fernsehen, als der forsche Staatspräsident Emmanuel Macron von dem Moderator JeanJacques Bourdin mehrfach dergestalt korrigiert wurde, dass »Steueroptimierung« richtigerweise als »Steuervermeidung« zu bezeichnen sei. Durch sein fortgesetztes Bestehen auf dieser Korrektur provozierte der Journalist seinen Gast so sehr, dass dieser verärgert darauf hinwies, sein Gastgeber sei kein Richter, er selbst jedoch der »Präsident der Republik« – womit er sich selbst öffentlich bloßstellte. Die Konsequenz, mit der Bourdin dem Mächtigen ins Wort fiel und ihn reizte, ist in deutschen Medien undenkbar. Ein solches Verhalten würde als unsachlich erachtet werden, was viel über die Debattenkultur in unserem Land aussagt.
Eine solche pointierte Impertinenz ist eine der beiden Möglichkeiten, eine Diskursverschiebung zu erwirken. Eine zweite regte neulich ein Bekannter an: Man könnte die mitunter lächerlichen und intellektuell wenig redlichen Begriffe auf die politischen Gegner zurückwerfen, um die Hohlheit mancher Debatten offenzulegen. Wenn die Linke gerne als »ewiggestrig« bezeichnet wird, wieso nicht das Spiel einfach umkehren? Wieso nicht einmal Liberale in ihrem Glauben an den Markt als populistische Ideologen bezeichnen? Eine satirische Auseinandersetzung mit bürgerlicher Sprache könnte dabei helfen, eine neue linke Sprachkritik zu eröffnen und darauf aufmerksam zu machen, wie billig die Methode des Dauereinsatzes leerer Kampfbegriffe eigentlich ist.
Wenn die Linke sich also der Diskursverschiebung nach rechts entgegenstellen will, kann sie nicht selbst die Sprache rechts von ihr lokalisierter Organisationen und Medien übernehmen. Eine politische »Erwachsenensprache« bestünde in einer Ausdrucksweise, die sich bestimmten belehrenden Worten verweigert und sie zu ersetzen weiß oder diese Begriffe durch ironische Distanz zu diskreditieren vermag. Eine denkfaule Dämonisierung sollte man nicht mitmachen, sondern stattdessen sowohl die Neue Rechte als auch den neoliberalen Block kritisch und differenziert ins Auge zu fassen.
Nachdem den Bürgern von Letzterem jahrzehntelang erklärt wurde, dass sie keine Utopien mehr wollten, ist es wenig verwunderlich, dass sie stattdessen gleich die Dystopie wählen. Um diesen Rückfall zu verhindern, bedarf es eben mehr als einer Symptomkur.
Ist nicht die Aufklärung gerade darüber, dass sich die AfD in vielen Punkten eben nicht von den Etablierten unterscheidet, ein wichtiger Ansatzpunkt zu ihrer Demontage?