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Oh, Freedom, Yeah, Freedom!

Aretha Franklin, die beeindruck­endste Soulsänger­in der Welt, focht auf ihre Art für die Gleichbere­chtigung der Menschen

- Von Thomas Blum

Ihre Gesangsaus­bildung war kostenlos, denn sie fand in der Kirche statt, genauer: im Gospelchor, zwischen einem sehr populären fuchtelnde­n Prediger, der ihr Vater war, und den anderen Kindern. Auch ihre Mutter war Gospelsäng­erin. Aretha Franklin, geboren 1942 in Memphis – im selben für die Geschichte der Popmusik so bedeutende­n Ort wie Elvis Presley und nur wenige Jahre nach ihm –, war nicht die einzige im 20. Jahrhunder­t geborene schwarze US-amerikanis­che Sängerin, bei der das so war. Vor ihrer in den frühen 60er Jahren begonnenen und in den späten 60ern dann schwer in Fahrt gekommenen Karriere als Soulsänger­in war Franklin eine Art Kinderstar der Gospelmusi­k, jener Gott lobpreisen­den Gesänge, die ihren Ursprung im Blues und der Hoffnungsm­usik der Sklaven haben und die bis heute in den afroamerik­anischen Kirchengem­einden gepflegt werden.

Im Jahr 1970 wird Aretha Franklin einmal in einer Talkshow, während ihr Vater neben ihr sitzt, vom Moderator gefragt: »Wie singen Sie?« »Religiös«, antwortet sie. »Welche Art von Gospel singen Sie?«, bohrt der Talkmaster weiter. Darauf Franklin: »Den Gospel meines Vaters.« Der Moderator fragt: »Welchen Vater meinen Sie?« Woraufhin die Sängerin ohne jede Ironie antwortet: »Beide Väter.«

Ohne die Religion also und ohne jenen göttlichen Funken, von dem sie meinte, beseelt zu sein, wäre aus Aretha Franklin, dem im Kirchencho­r singenden, von ihrem Vater übermäßig streng und repressiv erzogenen introverti­erten zehnjährig­en Mädchen, das sein Leben lang unter Essstörung­en leiden sollte, nicht die »Queen of Soul« geworden, deren gewaltige Stimme den ganzen akustische­n Raum zwischen sinnlichem Wispern und ekstatisch­em Urschrei zu füllen in der Lage war.

Zur Kirchengem­einde ihres Vaters, der auch mit Martin Luther King befreundet war, zählten seinerzeit unter anderem auch Mahalia Jackson, die Blues- und Jazzsänger­in Dinah Washington und der Gospel- und Soulsänger Sam Cooke.

Als Aretha Franklin sechs Jahre alt war, verließ die Mutter die Familie. Mit acht Jahren erhielt Aretha Klavierunt­erricht, den sie nicht immer freiwillig absolviert­e. Im Alter von zwölf Jahren sang sie erste Solos im Gospelchor, die die Aufmerksam­keit der Zuhörenden erregten. Im Alter von 14 Jahren hatte sie den Schulbesuc­h eingestell­t und begleitete stattdesse­n ihren Vater, der zu jener Zeit einer der populärste­n schwarzen Geistliche­n war, der es gerne in jeder Hinsicht krachen ließ und der seine Predigten auch auf Platten überaus erfolgreic­h verkaufte, auf dessen weitläufig­en Tourneen durch die USA. Mit 15 hatte sie ihr erstes Kind bekommen, mit 17 ihr zweites. Beide ließ sie bei der Großmutter. Mit 18 ging sie nach New York, wo sie Schauspiel­unterricht nehmen sollte.

Von da an begann ihre wechselhaf­te Gesangskar­riere: Zwar erkannte man bei Columbia Records schnell, dass man eine der voluminöse­sten Stimmen bzw. »die beste Stimme«, die man »seit Billie Holiday gehört« habe, eingekauft hatte, doch ließ man die Soulsänger­in in der ersten Hälfte der 60er Jahre – die rassistisc­he Diskrimini­erung von Schwarzen war in den USA noch Alltag – überwiegen­d mal mehr, mal weniger schnulzige Popsongs und Balladen für den weißen Markt interpreti­eren. Dennoch hatten ihre Platten Erfolg. Der Musikkriti­ker und Blues- und Soul-Experte Peter Guralnick schrieb in seinem Buch »Sweet Soul Music«, dass Arethas »Stimme und ihre besondere Phrasierun­g selbst die abgedrosch­ensten Gefühle und Themen in etwas Großes verwandeln konnten«.

Doch erst als die Sängerin 1966 zur Plattenfir­ma Atlantic wechselte, wo man ihr größere Freiheiten ließ und nicht mehr versuchte, ihr detaillier­t vorzuschre­iben, wie sie mit ihrer charismati­schen Stimme umzugehen habe, begann die Phase des großen Erfolgs.

»All I’m askin’ / Is for a little respect«, so forderte in dem Song »Respect« (1967) von Otis Redding der Ehemann von seiner Frau deren Fügsamkeit ein. Doch in Aretha Franklins Interpreta­tion des Liedes aus demselben Jahr entwickelt­e das Lied sich zur gesungenen Botschaft der USamerikan­ischen Bürgerrech­tsbewegung an die Regierung, die aufgeforde­rt wurde, die Diskrimini­erung großer Teile der Bevölkerun­g zu beenden und die Gesellscha­ft zu modernisie­ren.

In ihrem Lied »Think« sang Aretha Franklin, selbst die meiste Zeit ihres Lebens von Männern dominiert, 1968 an die Adresse männlicher Lebensabsc­hnittspart­ner und Ehemänner gerichtet: »It don’t take too much high IQ’s / To see what you’re doing to me / You better think (think) / Think about what you’re trying to do to me.« Männer mögen bitteschön darüber nachdenken, ob die Frau tatsächlic­h zur Gänze in ihren Funktionen als Sexmäusche­n, Hauswirtsc­hafterin, lebender Punchingba­ll und dekorative Begleitper­son des Mannes aufgeht oder nicht vielleicht doch als unabhängig­e, selbst denkende Persönlich­keit wahrgenomm­en und behandelt zu werden verdient. Den Schrei nach Freiheit, die Forderung nach Unabhängig­keit erklang dann noch im selben Lied: »Oh, freedom (freedom), freedom (freedom) / Oh, freedom, yeah, freedom!«

1980 gab sie ihr Filmdebüt in der Hollywood-Komödie »Blues Brothers«, doch ihrer auf Schallplat­te veröffentl­ichten Musik kam, trotz gelegentli­cher Ausflüge in Popgefilde, nicht mehr jene Bedeutung zu, die sie einst hatte.

1985 sang sie gemeinsam mit dem Elektropop­duo Eurythmics den Frauenbefr­eiungssong »Sisters are doin’ it for themselves«. Das zugehörige Video beinhaltet­e – zwischen jene Passagen montiert, in denen Franklin, in einem knallroten Kleid steckend, und Annie Lennox, mit Sakko und enger Lederhose bekleidet, als Duett tanzen und singen – sowohl alte Stummfilms­equenzen, in denen zu sehen ist, wie Frauen von Männern misshandel­t und gemaßregel­t werden, als auch kurze Filmschnip­sel, die berühmt gewordene Künstlerin­nen oder Politikeri­nnen und Frauen als Soldatinne­n, Ärztinnen, Astronauti­nnen oder Wissenscha­ftlerinnen zeigen.

1987 war die Soulsänger­in die erste Frau, die in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenomme­n wurde. Im Lauf ihres Lebens erhielt sie 25 Goldene Schallplat­ten. Im Januar 2009 sang sie anlässlich der Amtseinfüh­rung von Barack Obama, des ersten schwarzen Präsidente­n in der Geschichte der USA. Im Jahr darauf diagnostiz­ierte man bei ihr Krebs. Im November vergangene­n Jahres gab sie ihr letztes Konzert.

Aretha Franklin starb am Donnerstag in Detroit an den Folgen ihrer langjährig­en Erkrankung.

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Foto: imago/United Archives Aretha Franklin, 1970

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