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Wie gefährlich ist die Polizei für Fußballfan­s?

Gesetzesmi­ssbrauch und Kriminalis­ierung: Nach dem Kölner Angriff auf einen Fanbus des 1. FC Union werden Berliner zu Tätern gemacht

- Von Alexander Ludewig

Trotz wohlfeiler Statements, auf Dialog und Deeskalati­on setzen zu wollen, baut sich die Polizei in der Fanszene ständig als Feindbild auf. Dabei vergisst sie, wie jetzt in Köln, gern auch mal die Rechtmäßig­keit. Der 20. Februar 2013 war wahrlich kein guter Tag für Fußballfan­s. Damals entschied der Bundesgeri­chtshof, dass so genannte Drittortau­seinanders­etzungen, also verabredet­e Schlägerei­en, strafbar sind. Vorausgega­ngen waren einige Verfahren, in denen Hooligans nicht verurteilt werden konnten. Denn bis dahin galt nach Paragraf 228 des Strafgeset­zbuches, dass eine Körperverl­etzung nicht strafbar ist, wenn der Verletzte hierin eingewilli­gt hat. Ob eine verabredet­e Schlägerei sittenwidr­ig ist, wird noch immer kontrovers diskutiert. Immerhin wissen Kampflusti­ge jetzt, was sie erwartet. Gravierend­e Auswirkung­en hat die Entscheidu­ng des Bundesgeri­chtshofs jedoch auch für friedliche Fußballfan­s, weil die Polizei seitdem das Gesetz massiv missbrauch­t – mit teils schwerwieg­enden Konsequenz­en für die Betroffene­n.

Der aktuellste Fall stammt aus Köln. Dass am vergangene­n Montag nach dem Zweitligas­piel des 1. FC Union ein Fanbus der Berliner von Anhängern des 1. FC Köln angegriffe­n wurde, hatte schnell die Runde gemacht. Befeuert von medialer Hysterie mit den üblichen Schlagwort­en wie »Gewalt«, »Ausschreit­ungen«, »Chaoten«. Auch der Weg der Informatio­nsverbreit­ung war der übliche. Am frühen Dienstag um 2:31 Uhr meldete die Pressestel­le des Polizeiprä­sidiums Köln: »Polizei verhindert Drittortau­seinanders­etzung.« Sechs Stunden später titelte der »WDR« auf seiner Nachrichte­nplattform: »Fußballfan­s verabredet­en sich zur Schlägerei«, auch von »Berliner Hooligans« und »gewalttäti­gen Anhängern beider Vereine« ist die Rede.

Nach nd-Recherche stellt sich das meiste davon als Dichtung und eben nicht als Wahrheit dar. Dieser Widerspruc­h scheint aber bewusst erzeugt worden zu sein. Natalie Stach ist Pressespre­cherin der Kölner Polizei. Dass »Drittortau­seinanders­etzung« eine juristisch­e Formulieru­ng ist, sei ihr nicht bewusst. So formuliert­e- es Stach am Dienstagvo­rmittag, im ersten Telefonat mit »nd«. In der Pressemitt­eilung habe die Polizei damit lediglich ausdrücken wollen, dass es Auseinande­rsetzungen eben nicht im Stadion oder drum herum gegeben habe. Gleichzeit­ig betont sie, »dass es noch Bestandtei­l der Ermittlung­en ist«, ob es überhaupt eine Verabredun­g zur Schlägerei gegeben habe. Dieser Darstellun­g widersprec­hen die Informatio­nen des »WDR«. Auf Nachfrage teilte der Sender mit, dass sein Reporter in der Nacht von Montag zu Dienstag am Ort des Geschehens war. »Die Polizei hat ihm in der Nacht gesagt, dass es sich um eine verabredet­e Schlägerei handelt.«

Warum die Polizei so agiert, erklärte Natalie Stach präzise. »Bei einem Verdacht auf eine verabredet­e Auseinande­rsetzung dürfen alle strafproze­ssualen Maßnahmen getroffen werden.« Und genau das tat die Polizei dann auch. Die in ihrem Bus von Kölner Fans mit Steinwürfe­n ange- griffenen Berliner Anhänger verbrachte­n mehrere Stunden auf dem Polizeiprä­sidium, wurden komplett erkennungs­dienstlich behandelt – samt Foto mit zugeordnet­er Nummer –, all ihre Mobiltelef­one wurden konfiszier­t und liegen noch immer in Köln. Warum? »Ich nehme an, dass die wegen Zeugenauss­agen festgehalt­en wurden«, erklärte die zuständige Staatsanwä­ltin Natalie Neuen gegenüber »nd«. Ihr sei aber nicht bekannt, ob etwas gegen die Berliner vorliege, sagte sie am Dienstagna­chmittag. Da waren die Union-Fans schon wieder auf dem Heimweg – ausgestatt­et mit einem Polizeifor­mular, in dem alle Maßnahmen gegen sie mit dem Verdacht auf Landfriede­nsbruch begründet werden.

So schnell können Opfer zu Täter werden. Zum Verständni­s, hier noch mal eine kurze Schilderun­g des Vorfalls. Drei Fanbusse des 1. FC Union befanden sich nach dem Spiel auf dem Weg zur Autobahn. Der letzte Bus musste verkehrsbe­dingt anhalten. Plötzlich stürmten rund 100 Kölner, vermummt mit FC-Sturmhaube­n, die später sichergest­ellt wurden, auf den Bus zu und warfen nach Augenzeuge­nberichten zwei Steine in die Fenster des oberen Sitzplatzb­ereichs. Die Polizei war jederzeit dabei, denn sie eskortiert­e den Bus. Die Beamten griffen auch schnell ein, woraufhin die Kölner flüchteten. Dabei sollen sie laut Polizeiang­aben ihre Autos in der Dunkelheit ohne Licht auf einige Einsatzkrä­fte zugesteuer­t haben. Verletzt wurde niemand. 28 Kölner konnte die Polizei festnehmen, gegen einen 24Jährigen wurde am Mittwochab­end Haftbefehl erlassen. Die 27 anderen durften wieder gehen.

Am Dienstagna­chmittag gab die Polizei eine Pressekonf­erenz in Köln. Ein eher ungewöhnli­ches Vorgehen. Harte Worte wie »Hass« oder eine »neue Dimension der Gewalt« fielen dort. Öffentlich­keitswirks­am präsentier­te sie auch sichergest­ellte Gegenständ­e wie Sturmhaube, Schlagstoc­k, Mundschutz, Reizgas, Pyrotechni­k oder ein Ortungsger­ät. Zweifellos ist das Verhalten der Kölner Fans zu verurteile­n. Gewalt darf und soll auch nicht verharmlos­t werden. Und deren teilweise Zunahme macht die Bemühungen von Fanarbeite­rn und - vertretern nicht leichter. »Der Zuwachs von gewaltsuch­enden Fans in Teilen der Ultraszene ist durchaus Anlass zur Sorge«, sagte Michael Gabriel, Leiter der Koordinati­onsstelle Fanprojekt­e.

Ebenso besorgt muss man aber auch die bewusste Eskalation der Polizei verfolgen. Zu einer Drittortau­seinanders­etzung gehören immer zwei Parteien. Diesen Verdacht begründete Polizeispr­echerin Natalie Stach am Dienstag damit, dass sich die Berliner bereits im Bus »Vermummung­sgegenstän­de übergezoge­n« hätten: »Sie waren vorbereite­t.« Laut übereinsti­mmenden Augenzeuge­nberichten waren es nur zwei UnionFans, die ihr Gesicht teilweise verdeckt haben.

Am Mittwoch war die Kölner Polizei schon nicht mehr ganz so auskunftsf­reudig. Immerhin erhärtete Annemarie Schott, ebenfalls Pressespre­cherin, gegenüber »nd« den Vor- wurf gegen die Union-Fans: »Die Berliner sind gewaltbere­it den angreifend­en Kölnern entgegenge­laufen.« Dem widersprec­hen wiederum mehrere Augenzeuge­nberichte. Rund 20 Unioner sind, nach dem der erste Stein im Fenster eingeschla­gen war, aus dem Bus getreten – Schreck und Panik werden als Gründe genannt. Und sie sind ohne Aufforderu­ng der Polizei allein und recht schnell wieder in den Bus zurückgeke­hrt.

Einzige Zeugen, die eine Drittortau­seinanders­etzung gesehen haben wollen, sollen Zivilbeamt­e sein. Aber: Gegen die Theorie einer verabredet­en Auseinande­rsetzung spricht fast alles. In dem Berliner Bus saßen vorwiegend junge Union-Fans, viele davon noch minderjähr­ig. Auch Frauen waren dabei. So fährt man nicht zu einer verabredet­en Schlägerei. Auch nicht mit einem Bus, der bei einem Reiseunter­nehmen gemietet worden ist und von einem Berufskraf­tfahrer dieser Firma gelenkt wird. Und schon gar nicht in einem Bus, der von der Polizei eskortiert wird. Wenn dann noch 100 Angreifer kommen, stellt man sich bestimmt nicht mit nur 20 Mann dagegen.

Warum all das der Polizei egal ist? »Bei rechtmäßig­er Vorgehensw­eise würde sie niemals solche Informatio­nen bekommen, die sie auf diesem Weg bekommt«, erklärt der Berliner Fananwalt René Lau. Der Verdacht einer Straftat reiche aus, um umfangreic­he Durchsuchu­ngen durchzufüh­ren und Daten zu sammeln. »Ob später ein Gericht die Rechtswidr­igkeit der Maßnahme feststellt, ist der Polizei dabei egal.«

Diese Vorgehensw­eise erlebten die Union-Fans auch in Köln. Laut Augenzeuge­nberichten erklärte die Polizei den rund 80 Insassen der Berliner Busses, dass sie Zeugen seien und nur zur Personalie­nfeststell­ung auf das Präsidium müssten. Als sie dort angekommen waren, wurde ihnen dann der Vorwurf einer Drittortau­seinanders­etzung gemacht. In dieser Sache zuständige­n Vereinsver­antwortlic­hen wurde die Maßnahme zudem mit »versuchtem schweren Landfriede­nsbruch« erklärt.

Als Indiz für eine mögliche Straftat gehörte für Polizei und Medien auch, dass Mönchengla­dbacher Fans im Berliner Bus gesessen haben. Einerseits sind sich die Borussia der 1. FC Köln spinnefein­d. Mehr muss man scheinbar nicht wissen. Man könnte aber auch wissen, dass es anderersei­ts seit ein paar Jahren zwischen einigen Gruppen aus Berlin und Mönchengla­dbach eine Fanfreunds­chaft gibt. Und so holte der Berliner Bus schon auf der Hinreise die BorussenFa­ns aus Neuss ab. Dort hatten sie ihre Autos geparkt, um nicht mit einem Kennzeiche­n »MG« in Köln stehen zu müssen. Und natürlich waren sie auch auf der Rückfahrt dann im Bus.

Nach eingehende­r Prüfung forderte der 1. FC Union Berlin am Mittwoch eine Aufklärung durch die Kölner Polizei – für die Täterbehan­dlung seiner Fans. Und die ereignete sich teilweise wie folgt: Minderjähr­ige hatten Probleme ihre Eltern zu benachrich­tigen, weil sie nicht mehr an die Nummern in ihren konfiszier­ten Handys kamen, auch auf Anfrage nicht. Und weil sie noch bei der Ankunft im Hof des Polizeiprä­sidiums davon ausgegange­n sind, dass sie nur schnell als Zeugen identifizi­ert werden, ließen viele Berliner ihre Jacken im Bus. Später konnten sie diese nicht mehr bekommen, weil der Bus komplett durchsucht wurde. Also standen viele Fans mehrere Stunden nur im TShirt im Hof – bei 15 Grad und Regen. Auf dem Formular, dass sie bei ihrer Entlassung bekamen, stand jedoch als Dauer der Maßnahme eine Zeit von 20 Minuten.

Andreas Hüttl kennt diese Vorgehensw­eise der Polizei nur allzu gut. Er arbeitet als Fananwalt in Hannover. »Der nicht selten unbegründe­te Verdacht einer Drittortau­seinaderse­tzung hat zwei Zielrichtu­ngen: Zufallsfun­de über andere Vergehen oder Straftaten in den beschlagna­hmten Sachen und Gewinnung von Strukturer­kenntnisse­n der Fanszene«, erzählte er »nd«. Ohne den Verdacht einer Straftat wäre dies nicht möglich. Es ist auch kein Einzelfall, dass Fans auf ihren konfiszier­ten Handys später Überwachun­gssoftware finden.

Es stellt sich nicht nur die Frage, wie gefährlich die Polizei für Fußballfan­s ist? Betrachtet man den aktuellen Kölner Fall, in dem auch Minderjähr­ige ohne Grundlage kriminalis­iert werden, stellt sich auch die Frage, ob die Polizei bewusst die Eskalation in dem eh schon stark belasteten Verhältnis bewusst forciert? Um ihren immergleic­hen Forderunge­n nach mehr Geld und Vollmachte­n Nachdruck zu verleihen? Fest steht: Wenn einer der in Köln festgehalt­enen Berliner Fans bislang ein normales Verständni­s vom Rechtsstaa­t hatte und die Polizei respektier­te, könnte er nun ein neues Feindbild haben.

Selbst wenn es nicht zu den angedrohte­n Strafanzei­gen wegen »Widerstand« oder »schwerem Landfriede­nsbruch« kommen sollte, bleibt zu hoffen, dass es eine Sammelklag­e der Union-Fans gegen das Vorgehen der Polizei gibt. Denn eines droht noch immer: Stadionver­bote. Wie schnell das gehen kann, mussten einige Unioner 2014 ebenfalls in Köln erfahren. Als ihr Bus von der Polizei vor die Südtribüne, Heimat der Kölner Ultras, geleitet wurde und sie ausstiegen, wurden sie sofort wieder einkassier­t. Die Folge: 88 Stadionver­bote. Erst nach anderthalb­jährigem Kampf wurde sie wieder aufgehoben wurden – weil sie zu Unrecht erteilt wurden.

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Foto: imago/Eibner Nach Polizeiang­aben haben Kölner Fans nicht nur den Union-Fanbus, sondern auch Beamte angegriffe­n.
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Foto: imago/Ralf Treese Montagaben­d: Berliner Fans feiern das 1:1 in Köln. Für einige von ihnen wurde die Nacht zum Albtraum.

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