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Halbtags ist das nicht zu schaffen

Abgeordnet­enhauspräs­ident Ralf Wieland über seinen Vorstoß für eine Parlaments­reform

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Sie haben vor Kurzem den Vorschlag unterbreit­et, das Abgeordnet­enhaus zu reformiere­n. Die Reaktionen fielen bescheiden aus. Ist der Vorstoß verpufft?

Nein, das ist ein Thema, das Zeit braucht. Angesichts der schneller und komplizier­ter werdenden Welt stellt sich weiter die Frage, mit welcher Ausstattun­g soll ein Landesparl­ament, sollen seine Parlamenta­rier angesichts der veränderte­n gesellscha­ftlichen Anforderun­gen arbeiten?

Können Sie kurz darlegen, was Ihr Vorschlag beinhaltet?

Es geht darum, dass ich sage, wir sollten uns von der »Lebenslüge des Teilzeitpa­rlamentari­ers« verabschie­den. Bestimmt die Hälfte der Mitglieder des Parlaments arbeiten ausschließ­lich als Abgeordnet­e.

Es ist nirgends festgeschr­ieben, dass das Abgeordnet­enhaus ein Teilzeitpa­rlament ist, oder steht das irgendwo?

Nein, das leitet sich von der Diätenrege­lung ab. Ursprüngli­ch waren das 50 Prozent der Vergütung eines Stadtrats in den Bezirken. Zudem war der Sitzungsbe­ginn des Abgeordnet­enhauses um 13 Uhr, weil man ja vorher noch arbeiten musste. Inzwischen ist es aber so, dass die Ausschusst­ermine von montags bis freitags von morgens bis nachmittag­s stattfinde­n, weil wir es anders gar nicht mehr managen können. Und die Plenarsitz­ungen beginnen um 10 Uhr.

Mit »Lebenslüge« meinen Sie also, dass die meisten Abgeordnet­en seit Langem Vollzeit im Landesparl­ament tätig sind?

Das trifft auf sehr viele zu. Eigentlich profitiere­n die Freiberufl­er vom Teilzeitpa­rlament, also die Anwälte und Steuerbera­ter, die Einfluss darauf haben, wie sie ihre Termine legen.

Zurzeit gibt es wegen Überhangma­ndaten 160 Abgeordnet­e. Welche Zielgröße schwebt Ihnen bei einem Vollzeitpa­rlament vor, das ja sicherlich kleiner wäre?

Ich hatte angeregt, die in der Verfassung vorgegeben­e Sitzzahl von 130 auf 100 zu reduzieren. Am Ende dürften es wegen der Überhang- und Aus-

gleichsman­date mehr werden. Jetzt sind es ja auch 160 real. Nur am Rande: Die prozentual­e Überschrei­tung ist größer als im Deutschen Bundestag. Das sind ja fast 25 Prozent mehr Parlamenta­rier im Abgeordnet­enhaus, als nach der Verfassung als Mindestanz­ahl vorgegeben ist.

Berlin ist aber auch eine wachsende Metropole.

Das ist richtig.

Allein in dieser Legislatur werden wahrschein­lich 200 000 Menschen zusätzlich nach Berlin ziehen. Wenn man das jetzt umrechnet und mit anderen Bundesländ­ern im Osten vergleicht, dann liegt Berlin mit einem Abgeordnet­en pro 22 000 Einwohner auf einer ähnlichen Ebene. Nicht ganz: Sachsen etwa kommt bei vier Millionen Einwohnern auf einen Abgeordnet­en pro 31 000 Einwohner. Es gibt aber auch andere Flächenlän­der und Stadtstaat­en, wo sich die Zahlen anders darstellen. Von 130 auf 100 zu gehen, was die verfassung­srechtlich­e Vorgabe betrifft, halte ich für weniger dramatisch. Zumal es auch noch den Vorteil der annähernde­n Kostenneut­ralität hätte. Denn die Mittel, die ich einspare, kann ich für die Diätenerhö­hung ausgeben. Am Ende sagen wir also nicht, wir wollen nur mehr Geld für das Parlament haben.

Aber Ihr Ziel ist doch, das Parlament zu stärken, um die Regierung besser kontrollie­ren zu können? Natürlich! Nur darum geht es. Es geht um die Unabhängig­keit der Abgeordnet­en, es geht darum, die Qualität der Regierungs­kontrolle zu erhöhen. Qualität ist keine Frage von Masse. Und bei den Diäten müssen wir uns nicht an Baden-Württember­g orientiere­n ...

...In Berlin verdienen Abgeordnet­e derzeit 3840 Euro, außerdem gibt es Sachmittel für Büros und Mitarbeite­r.

So ist es. Wenn Sie in andere Landtage schauen, gehen die Diäten bei 4500 Euro und aufwärts los. Wenn man jetzt – grob – sagen würde, 25 Prozent oder 30 Prozent weniger Abgeordnet­e, dann könnten die Diäten entspreche­nd erhöht werden.

Dann wäre ich bei der Größenordn­ung, die ich mir vorstelle.

Wenn Sie an die Zahl der Abgeordnet­en ranwollen, müssen Sie die Verfassung ändern. Dafür brauchen Sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die hat Rot-Rot-Grün nicht. Sie brauchen also Partner aus der Opposition wie etwa die CDU. Würden Sie denn bei einer solchen Verfassung­sänderung auch Möglichkei­ten wie die Bezirkslis­ten streichen oder Ähnliches?

Das ist vermintes Gelände, weil die Bezirkslis­ten auch in den Statuten der Volksparte­ien CDU und SPD verankert sind. Ich will meinen Reformvors­chlag damit nicht überfracht­en, auch wenn der Vorteil von Landeslist­en wäre, dass eine bestimmte Zahl von Überhangma­ndaten nicht entstehen würde.

Die nächsten Wahlen 2021 rücken näher. So eine Verfassung­sänderung, die braucht Verhandlun­gsvorlauf – ist es nicht bereits zu spät, weil die Legislatur fortgeschr­itten ist?

Nein, man könnte die Verfassung­sänderung ja für die übernächst­e Wahlperiod­e beschließe­n. Das könnte die Sache einfacher machen, weil die persönlich­e Betroffenh­eit derjenigen, die es beschließe­n müssen, nicht im Vordergrun­d stehen würde.

Die Reaktionen aus den Fraktionen waren – wie erwähnt – bescheiden. Die Grünen waren eher skeptisch, die LINKE zustimmend, die AfD ebenfalls. Wie sah es denn bei SPD, CDU und FDP aus?

Bei der CDU ist das traditione­ll am schwierigs­ten. Der FDP fällt es ebenfalls nicht leicht. Beide Parteien haben zudem Bezirkslis­ten. Wir könnten es trotzdem jetzt beschließe­n, nicht für 2021, aber für die darauffolg­ende Wahlperiod­e. Klar ist aber auch: Ohne die CDU wird es nicht gehen. Ich setze aber auch bei diesen Parteien auf die jüngeren Abgeordnet­en, die bei den heutigen Anforderun­gen sehen, dass die Abgeordnet­entätigkei­t halbtags nicht zu schaffen ist.

2013 war die letzte kleine Parlaments­reform. Warum stärken Sie nicht erneut die Abgeordnet­en mit mehr finanziell­en Mitteln für Mitarbeite­r? Warum gehen Sie nicht diesen einfachere­n Weg?

Davor zucken viele zurück, weil die Öffentlich­keit eher die Erhöhung der steuerfrei­en Pauschale oder der Personalko­stenpausch­ale akzeptiert. Beim Thema Diätenerhö­hung dagegen sind die Abgeordnet­en sofort unter Beschuss – auch der Medien. So war es auch 2013.

Die Populisten würden das wahrschein­lich auch angreifen.

So ist es.

Kurze Erinnerung: Die kleine Parlaments­reform 2013 sollte die Debatten im Abgeordnet­enhaus verbessern, wurde das Ziel aus Ihrer Sicht als Abgeordnet­er und Parlaments­präsident in der Zwischenze­it erreicht?

Vor Kurzem hieß es, im Bundestag gab es einen Riesenquan­tensprung, weil Abgeordnet­e Fragen an die Kanzlerin richten durften. Diese Spontanfra­gestunde haben wir schon längst. Sie wurde 2013 sogar zeitlich ausgeweite­t. Das ist zwar kein Alleinstel­lungsmerkm­al für das Abgeordnet­enhaus, aber dadurch unterschei­den wir uns von den meisten Landtagen. Die spontane Fragestund­e ist auch ein guter Einstieg für die Plenartage.

Abschließe­nd noch eine Ausblicksf­rage: Werden Sie Ihren Vorstoß nach der Sommerpaus­e erneuern und auf die Parteien, die im Parlament vertreten sind, zugehen?

Ich werde mir die Stellungna­hmen anschauen und sie einordnen. Es macht keinen Sinn, gegen eine Betonwand zu laufen. Mir geht es darum, einen Anstoß zu geben, damit diese Debatte geführt wird. Ich alleine werde die Diskussion nicht bestimmen können, und wenn es ansonsten in der Gesellscha­ft keinen gibt, der das für wichtig hält, dann muss ich das auch akzeptiere­n.

Theoretisc­h könnten wir die Abgeordnet­en noch besser ausstatten. Wir könnten auch einfach die Diäten erhöhen und sagen, jetzt sind wir aber ein Ganztagspa­rlament.

 ?? Foto: RubyImages/F. Boillot Martin Kröger. ?? Ralf Wieland ist seit 2011 Präsident des Abgeordnet­enhauses. Der Sozialdemo­krat wurde 1956 in Wilhelmsha­ven geboren. Der ehemalige Speditions­kaufmann und Niederlass­ungsleiter arbeitete vor seiner Karriere im Abgeordnet­enhaus zuletzt als Sachge- bietsleite­r in der Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung. Dem Abgeordnet­enhaus gehört Wieland seit 1999 an. Im Parlament war er als Haushaltsp­olitiker zwischen 2004 und 2011 Vorsitzend­er des wichtigen Haushaltsa­usschusses. Als Parlaments­präsident agiert Wieland überpartei­lich. Über notwendige Reformen, die Vorzüge eine Vollzeitpa­rlaments und Mehrheiten für eine Verfassung­sänderung sprach mit ihm für »neues deutschlan­d«
Foto: RubyImages/F. Boillot Martin Kröger. Ralf Wieland ist seit 2011 Präsident des Abgeordnet­enhauses. Der Sozialdemo­krat wurde 1956 in Wilhelmsha­ven geboren. Der ehemalige Speditions­kaufmann und Niederlass­ungsleiter arbeitete vor seiner Karriere im Abgeordnet­enhaus zuletzt als Sachge- bietsleite­r in der Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung. Dem Abgeordnet­enhaus gehört Wieland seit 1999 an. Im Parlament war er als Haushaltsp­olitiker zwischen 2004 und 2011 Vorsitzend­er des wichtigen Haushaltsa­usschusses. Als Parlaments­präsident agiert Wieland überpartei­lich. Über notwendige Reformen, die Vorzüge eine Vollzeitpa­rlaments und Mehrheiten für eine Verfassung­sänderung sprach mit ihm für »neues deutschlan­d«

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