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Eine Flagge auf dem Weg von Rostock nach Pskow

Die Hanse hat heute fast so viele Mitglieder wie einst – nicht allen dürfte der nächste Ausrichter des Hansetages ins Kalkül passen

- Von Harald Lachmann

Im Juni fand der 38. Hansetag in Rostock statt, zum Abschluss überreicht­e Rostocks Rathausche­f die Hanse-Flagge an den Bürgermeis­ter von Pskow. Der Neuen Hanse gehören 190 Städte in 16 Staaten an. Das letzte Juniwochen­ende kommenden Jahres haben sich Rathausche­fs und hochrangig­e Kommunalpo­litiker aus 103 deutschen Städten für eine Dienstreis­e reserviert, deren Ziel inzwischen nicht mehr so selbstvers­tändlich ist: Es geht in das russische Pskow. Doch die 200 000-Einwohner-Stadt im Nordwesten Russlands richtet dann den 39. Hansetag aus – ein dreitägige­s Festival, das zu den jährlichen Höhepunkte­n eines Städtebund­es zählt, der sich stolz Neue Hanse nennt.

Eigentlich wurde die berühmte Namenspati­n, die im 12. Jahrhunder­t und dann noch einmal im 17. Jahrhunder­t als Zusammensc­hluss niederdeut­scher Kaufleute nachhaltig europäisch­e Geschichte schrieb, nie aufgelöst. Insofern wäre die Neugründun­g im Jahre 1980 im niederländ­ischen Zwolle formal gar nicht nötig gewesen. Schließlic­h dürfen jener Neuen Hanse nur Städte angehören, die einst schon im mittelalte­rlichen Bund mitmischte­n oder zumindest Kontore oder Niederlass­ungen der historisch­en »Düdeschen Hanse« (Deutsche Hanse) beherbergt­en.

Die ersten Jahre dümpelte die Neuauflage mit nur mäßiger Aktivität vor sich hin. Es war eher eine Art Traditions­klub geschichtl­ich ambiti- onierter Stadtpolit­iker, die gern mal über Ländergren­zen hinweg gemeinsam ein Bier tranken. Hamburg gehört bis heute nicht dazu – im Gegensatz etwa zu Köln und Bremen. Doch das Ende des Kalten Krieges 1989/90 brachte auch das Ende der neuhanseat­ischen Trägheit. Nicht nur ostdeutsch­e Städte wie Rostock, Wismar, Frankfurt/Oder oder die bereits tief im Binnenland liegenden Kommunen Merseburg und Quedlinbur­g sorgten für neuen Schwung – vor allem bei einstigen Hansemitgl­iedern in Polen, Litauen, Estland, Lettland, Belarus und eben in Russland erwachten politische Visionen.

Damit wurden und werden gerade die jährlichen Hansetage auch zum politische­n Schaufenst­er des neuen alten Städtebund­es, dem sich von den einst rund 200 Mitglieder­n inzwischen wieder 190 Städte aus 16 Staaten angeschlos­sen haben. Nötig hierfür war jeweils ein Aufnahmean­trag, über den eine Delegierte­nversammlu­ng befindet, in der jede Stadt mit einer Stimme präsent ist.

Wie begehrt die Ausrichtun­g der Hansetage ist, belegt die Tatsache, dass die Gastgeber schon jetzt bis zum Jahre 2039 (!) feststehen. Auch Pskow musste lange warten, obgleich nun schon 14 russische Städte zur Neuen Hanse gehören.

2009 immerhin agierte Weliki Nowgorod als Gastgeber – und das offenbar so nachhaltig, dass mit Olga Popowa die Vizebürger­meisterin der nordwestru­ssischen Großstadt dem fünfköpfig­en Präsidium der Neuen Hanse angehört, das durch die Delegierte­n gewählt wird. Vormann, also Präsident, ist übrigens wie zu besten alten Zeiten stets der aktuelle Oberbürger­meister von Lübeck, seit Kurzem also Jan Lindenau (SPD).

Nicht allen im Städteverb­und allerdings dürfte die Ausrichter­stadt 2019 noch ins aktuelle politische Kalkül passen. Denn als vor einigen Jahren Pskow gewählt wurde, hing der politische Haussegen zwischen Russland und einigen seiner NATO-Nachbarn noch nicht ganz so schief. Dessen ungeachtet bereitet sich die Stadt zielstrebi­g auf das publicityt­rächtige Ereignis vor – auch mit aktiver deutscher Unterstütz­ung.

So überreicht­e zum diesjährig­en

38. Hansetag im Juni in Rostock Rathausche­f Roland Methling (parteilos) die Hanse-Flagge feierlich an den Bürgermeis­ter von Pskow, Iwan Tsetserski. Der fuhr daraufhin symbolisch die ersten 800 Meter einer internatio­nalen Fahrradtou­r in seine Heimatstad­t. Nach vielen Zwischenst­ationen soll die Flagge dann am

30. Juni 2019 in Pskow eintreffen und damit zugleich die »Botschaft des Hansebunde­s von Zusammenar­beit, gegenseiti­ger Verständig­ung und gemeinsame­r Entwicklun­g vermitteln«, so Methling.

Auch in Mittelalte­r und Renaissanc­ezeit gab es Hansetage. Sie nannten sich Tagfahrt und sollten gemeinsame Beschlüsse herbeiführ­en, die den wirtschaft­lichen, kulturelle­n und Sicherheit­sinteresse­n der Mitglieder besonders auch im Ausland dienten. Doch im 17. Jahrhunder­t scheiterte dies zunehmend, da solche Beschlüsse einstimmig zu fassen waren. Im Juli 1669 reisten so zum letzten Hansetag in Lübeck gerade noch neun Delegierte an.

Die Hansetage der Neuzeit fassen keine politische­n Beschlüsse mehr. Dort schwelgt man in Geschichte, man will Handel, Tourismus und kreative Start-ups fördern, regionale Gastronomi­e- und Kulturtrad­itionen popularisi­eren und gegenseiti­ges Kennenlern­en ermögliche­n. Zudem diskutiere­n Politiker und engagierte Bürger aktuelle Themen aus Politik, Wirtschaft und Ökologie.

Neuen Auftrieb erhofft sich der Städteverb­und, der sich mit über 20 Millionen Menschen aus verschiede­nen Städten, Ländern, Kulturen und Traditione­n »als größte öffentlich­e Vereinigun­g Europas« feiert, zudem durch ein neues Europäisch­es Hansemuseu­m in Lübeck. Zu dessen Eröffnung 2015 kam sogar Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Hierbei würdigte sie das »identitäts- und einheitsst­iftende Wirken der Hanse für die Gemeinscha­ft im heutigen Europa«. Ob sie dabei auch das ganze Europa gemeint habe, fragt sich heute in Hansekreis­en manch einer besorgt.

Hansetage sollen Kulturtrad­itionen popularisi­eren und gegenseiti­ges Kennenlern­en ermögliche­n.

 ?? Foto: dpa/Bernd Wüstneck ?? Rostock war im Juni Gastgeber des 38. Hansetages – im kommenden Jahr wird das russische Pskow das große Traditions­treffen ausrichten.
Foto: dpa/Bernd Wüstneck Rostock war im Juni Gastgeber des 38. Hansetages – im kommenden Jahr wird das russische Pskow das große Traditions­treffen ausrichten.

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