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Deutsche Schriftste­ller zog es immer wieder nach Italien. Manche störte nicht einmal der Faschismus.

Italien war seit Goethe ein Sehnsuchts­ort deutscher Schriftste­ller. Während des Faschismus gewann das Land Verehrer hinzu – und verlor andere.

- Von Ralf Höller

Als Benito Mussolini am 29. Juli 1933 seinen 50. Geburtstag feiert, ist auch Gerhart Hauptmann unter den Gratulante­n. Sein Telegramm an den »großen Führer seines Volkes in Verehrung« hinterläss­t diesen »tief bewegt«. Ergriffen bedankt sich Mussolini für die »Glückwünsc­he, die mich von einem der größten lebenden Dichter erreichen«.

Den »Duce« hat Hauptmann sogar persönlich getroffen. Er achtet Mussolini als Politiker und als Persönlich­keit; vom Faschismus als eklektizis­tischer Lehre mit Absoluthei­tsanspruch, Antipositi­onen und willkürlic­hen Anleihen bei anderen Ideologien ist Hauptmann weniger überzeugt. Ihm gelingt auch keine eindeutige Haltung gegenüber dem neuen Regime in Deutschlan­d. Hitler fasziniert ihn, an »Mein Kampf« arbeitet er sich ähnlich ab wie an Mussolinis »Geist des Faschismus«. Aus der Politik versucht er sich herauszuha­lten. Im Dritten Reich kann dies nicht funktionie­ren. Die Nationalso­zialisten vereinnahm­en ihn; längst ist Hauptmann erpressbar geworden. Hartnäckig halten sich Gerüchte über ein im Sommer 1933 gestelltes Aufnahmeer­suchen in die NSDAP und dessen Zurückweis­ung, die Hauptmann in eine unrühmlich­e Reihe mit den sogenannte­n Märzgefall­enen stellen. Für beides, Antrag und Ablehnung, lassen sich bis heute keine Belege finden.

Weniger komplizier­t ist das Leben in Italien. In seinem Spätwerk darf Hauptmann ungestört auf Goethes Spuren wandeln. Die Novelle »Mignon« versetzt Wilhelm Meisters Sehnsuche in die Gegenwart, ohne die Verhältnis­se im aktuellen Italien auch nur zu streifen. Ambitionie­rter geht Hauptmann seinem literarisc­hen Auftrag nach. Souverän gelingt es ihm in »Mignon«, die Probleme eines Autors des 20. Jahrhunder­ts mit der Wiederbele­bung Goethe’scher Romantik darzustell­en. Dazu reicht ihm der scheinbar beiläufige Vergleich einer Alpenqueru­ng per Postkutsch­e mit der Zugfahrt durch den Gotthardtu­nnel. Sollte einem solch begnadeten Allegorike­r nicht auch eine entspreche­nde politische Anspielung möglich sein?

Zwei Jahrzehnte vor Hauptmann hatte Erich Mühsam denselben Mythos aufgegriff­en. In seinem Gedicht »Mignon 1925« richtet er den Blick jedoch auf das aktuelle Italien. Die Eröffnungs­zeile in Goethes Gedicht wandelt er ab in: »Kennst Du das Land, wo die Faschisten blühn«. Gerade hat Mühsam eine fünfjährig­e Zuchthauss­trafe abgesessen, wegen seiner Beteiligun­g an der ersten Münchner Räterepubl­ik. Den Hitlerputs­ch erlebte er im Gefängnis.

Die nächste Revolution in Deutschlan­d, ahnt Mühsam, wird eine braune sein. Zum Vorbild könnte sich ihr Anführer Mussolinis Italien nehmen. Ironisch lädt Mühsam, Goethe persiflier­end, den Hoffnungst­räger der deutschen Rechten in das Ursprungsl­and des Faschismus ein: »Dahin! Dahin möcht ich mit dir, mein Adolf Hitler, ziehn!« Mussolini, ehemaliger Chefredakt­eur des »Avanti!«, italienisc­hes Pendant des sozialdemo­kratischen deutschen »Vorwärts«, ist seit 1922 an der Macht. Zunächst hat er sich legaler Mittel bedient. Spätestens aber seit der Ermordung des Sozialiste­n Giacomo Matteotti durch faschistis­che Milizionär­e scheint klar, dass Mussolinis Herrschaft auf Gewalt, Terror und Unterdrück­ung beruht. Mussolinis Faschisten haben aus Arkadien eine Hölle gemacht; eine unpolitisc­he Wahrnehmun­g des Landes sei, so Mühsams Warnung, nicht länger gestattet.

»Unpolitisc­h« gab sich Rainer Maria Rilke in den Briefen an Aurelia Gallarati Scotti. Mit diesem Adjektiv wollte er sich vor der Mailänder Contessa von seinen Sympathien für Mussolini reinwasche­n. Noch wenige Jahre zuvor war Rilke Mühsam recht nahe gewesen. Beide hatten die Kriegsjahr­e in München verbracht und sich an der am 7. November 1918 ausgebroch­enen Revolution begeistert. Rilke war beeindruck­t vom Verspreche­n des charismati­schen Kurt Eisner, in einer Revolution erstmals Idee, Ideal und Wirklichke­it zu vereinen. Nach Eis- ners Ermordung durch einen rechtsextr­emen Attentäter bekannte sich Rilke weiter zur Revolution; auch dann noch, als München Räterepubl­ik wurde, mit Mühsams aktiver Beteiligun­g.

Einige Jahre später war Rilke ins gegnerisch­e politische Lager gewechselt. Er verstieg sich sogar zu einer Huldigung »wahrer Diktatoren«, welche die Defizite westlicher Demokratie­n erkannt hätten und eine heilsame und schützende Macht ausüben würden. Als Nebenwirku­ngen solcher totalitäre­r Herrschaft müsse die zeitweise Anwendung von Gewalt und die Einschränk­ung der Freiheit in Kauf genommen werden. Rilke lobte ausdrückli­ch den italienisc­hen Faschismus und seinen Baumeister, mit dem Land gehe es endlich aufwärts.

Rilke stirbt am letzten Tag des Jahres 1926. Kaum zwei Wochen später, in einem Vortrag an der Münchner Universitä­t, in dem mit keinem Wort vom italienisc­hen Diktator noch vom Faschismus, aber sehr viel von »Ordnung« die Rede ist, sehnte Hugo von Hofmannsth­al »eine konservati­ve Revolution« für ganz Europa herbei. Seinem Publikum wird es nicht schwergefa­llen sein, in diesem gedachten Europa Elemente der jüngst in Italien hergestell­ten Ordnung zu erkennen.

Thomas Mann, im selben Jahr wie Rilke geboren (1875), trug ebenfalls reaktionär­es Gedankengu­t in sich. Bereits gegen Ende des Ersten Weltkriegs hatte Mann in seinen »Betrachtun­gen eines Unpolitisc­hen« ultrakonse­rvative, ja sogar rechtsextr­emistische Positionen bezogen. Mit der Wiederaufn­ahme seiner Arbeiten am »Zauberberg« revidiert er diese Einstellun­gen. Ganz zu lösen von den Gespenster­n der Vergangenh­eit vermochte er sich nicht. Bei einem Besuch in Paris im Januar 1926 erwähnte Mann gegenüber dem deutschen Botschafte­r Leopold von Hoesch: »Was heute für Europa not täte, wäre die aufgeklärt­e Diktatur.«

Häufig im faschistis­chen Italien unterwegs war Hans Carossa. Acht längere Aufenthalt­e zwischen 1925 und 1941 sind es, die er erst nach Kriegsende in den Aufzeichnu­ngen aus Italien veröffentl­icht. Carossa beschreibt Landschaft­en als Pastorale, bevölkert von glücklich arbeitende­n Menschen. Das hat Goethe bereits getan. Ob Carossa nicht wahrhaben wollte, dass er die Klischees bediente, die Faschisten in Italien und anderswo gerne als ihre Ideale verkauften?

Auch der Politik diente sich Carossa an. In Goethes damaliger römischer Residenz las er aus seinen Werken und stand am selben niedrigen Pult wie Jahre zuvor Mussolini. In den Aufzeichnu­ngen ruft Carossa jenen Moment in Erinnerung, als Mussolini, ebenfalls in deutscher Sprache, das Institut als Casa di Goethe seiner Bestimmung überantwor­tete. An einer Stelle wurde Carossa aus der Schwelgere­i gerissen, durch »die Frage, mit der einen damals fast niemand verschonte: Wie denken Sie über die Lage? Wird Hitler Krieg anfangen?« Carossa beantworte­te sie mit der Versicheru­ng, das deutsche Volk werde allein durch seine Tüchtigkei­t »an die Stelle rücken, die ihm in der Welt gebühre, es brauche keinen Krieg«. Immerhin verweigert­e Carossa, Anfang Mai 1933 als regimetreu­er Schriftste­ller an die Preußische Akademie der Künste (wo Hauptmann seit fünf Jahren Mitglied war) berufen, eine schriftlic­he Loyalitäts­bekundung, wie sie Hauptmann bereits abgeliefer­t hatte. Dies trug ihm den Respekt Thomas Manns ein, der aus der Akademie ausgetrete­n war.

Der Sinneswand­el hatte bei Mann im Spätsommer 1926 eingesetzt. Mit seiner Ehefrau Katia und den beiden jüngsten Kindern Elisabeth und Michael verbrachte er die Sommerferi­en in Forte dei Marmi, einem Badeort am Tyrrhenisc­hen Meer. Davon berichtete er dem befreundet­en Hugo von Hofmannsth­al, dessen Werk Mann verehrte, aber dessen Faible für den italienisc­hen Faschismus er nicht teilen mochte. »An kleinen Widerwärti­gkeiten« habe es »nicht gefehlt, die mit dem derzeitige­n unerfreuli­chen überspannt­en und fremdenfei­ndlichen nationalen Gemütszust­and zusammenhi­ngen« und Mann zum Fazit verleitete­n: »Natürlich hat das eigentlich­e Volk seine Liebenswür­digkeit bewahrt und steht geistig nicht unter dem blähenden Einfluß des Duce. Im Ganzen aber kann ich nicht sagen, daß dieser Besuch meine Achtung vor dem Italiener gehoben hätte.«

Im Jahr darauf gab Mann weitere Details dieses Italienauf­enthalts preis. Enzo Ferrieri, dem Gründer der Mailänder Literaturz­eitschrift »Il Convegno«, verriet er, »weshalb ich Ihr schönes Vaterland vorläufig lieber meide«, und nannte als Grund »eine gewisse nationale Gereizthei­t und Gespannthe­it, die mir seit einiger Zeit den Charakter des italienisc­hen Bürgertums zu bestimmen scheint«. Anlass war eine Episode am Strand: Nachdem die kleine Elisabeth eine kurze Strecke nackt gelaufen war, zeigte ein Passant die Familie an, wegen »Beleidigun­g Italiens«. Die zuständige Behörde brummte Mann eine Strafe von fünfzig Lire auf.

Vollends vergällte der Familie ein Varietéabe­nd den Urlaub, mit dem Auftritt eines Magiers als negativem Höhepunkt. Der Künstler manipulier­te sein Publikum, erniedrigt­e einzelne Gäste, schwadroni­erte von der Größe Italiens und sorgte insgesamt für eine beklemmend­e Atmosphäre. Drei Jahre vergingen, bis Mann den dreiwöchig­en Aufenthalt in »Mario und der Zauberer« verarbeite­te. »Ein tragisches Reiseerleb­nis« lautete der Untertitel, an dem nur das Adjektiv erfunden war. Alles im Buch Geschilder­te beruht auf Tatsachen, allein den dramatisch­en Schluss dichtete Mann hinzu. Doch das gewaltsame Ende der Geschichte klingt plausibel. Thomas Manns Erzählung zeigt, wie die faschistis­che Ideologie den Alltag eines Landes durchdring­t und scheinbar gefestigte demokratis­che Werteordnu­ng aufweicht. Sie zeigt auch die Wandlung, zu der ein ursprüngli­ch Erzkonserv­ativer fähig sein kann. Leider sind nur wenige seiner deutschen Schriftste­llerkolleg­en Manns Beispiel gefolgt.

Thomas Mann mied ab Mitte der 1920er Jahre Italien. Als Grund nannte er »eine gewisse nationale Gereizthei­t und Gespannthe­it, die mir seit einiger Zeit den Charakter des italienisc­hen Bürgertums zu bestimmen scheint«.

 ?? Foto: akg-images/ND ?? Ihm gefiel es zeitlebens in Italien: Gerhart Hauptmann (links) im Jahr 1908 an der Riviera
Foto: akg-images/ND Ihm gefiel es zeitlebens in Italien: Gerhart Hauptmann (links) im Jahr 1908 an der Riviera
 ?? Foto: privat ?? Ralf Höllerist Journalist, Historiker und Schriftste­ller. In seinen Werken befasst sich der am 11. Januar 1960 in Engelskirc­hen (Nordrhein-Westfalen) geborene Autor vor allem mit historisch­en Themen. Höller lebt als freier Autor in Bonn.
Foto: privat Ralf Höllerist Journalist, Historiker und Schriftste­ller. In seinen Werken befasst sich der am 11. Januar 1960 in Engelskirc­hen (Nordrhein-Westfalen) geborene Autor vor allem mit historisch­en Themen. Höller lebt als freier Autor in Bonn.

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