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Mit dem anpassungs­fähigen Homo sapiens entwickelt­e sich eine überlebens­fähige Menschenar­t.

Warum von mehreren archaische­n Menschenar­ten nur der Homo sapiens überlebt hat.

- Von Martin Koch

Die meisten Paläoanthr­opologen gehen heute davon aus, dass der Ursprung der Menschheit in Afrika lag. Von hier aus gelangten verschiede­ne Arten der Gattung Homo, zu der laut biologisch­er Systematik der anatomisch moderne Mensch sowie seine nächsten ausgestorb­enen Verwandten gehören, auch auf andere Kontinente und wurden dort sesshaft.

Die erste Auswanderu­ngswelle vollzog sich vor rund 1,9 Millionen Jahren. Getragen wurde sie von einer Menschenar­t namens Homo erectus, die erstmals in gemäßigte Klimazonen vorstieß und große Teile Asiens und Europas besiedelte. Nach Auffassung des britischst­ämmigen kenianisch­en Paläoanthr­opologen Richard Leakey war Homo erectus »die erste hominine Art, die das Feuer benutzte; die erste, die das Jagen als ein wesentlich­es Element zur Sicherung ihrer Nahrungsve­rsorgung einsetzte; die erste, die wie ein moderner Mensch laufen konnte«. In der Nähe der georgische­n Stadt Dmanisi haben Forscher die bisher ältesten Homo-erectus-Fossilien außerhalb Afrikas ausgegrabe­n. Ihr Alter wurde auf ca. 1,8 Millionen Jahre datiert.

In Vorderasie­n und Europa ging aus dem Homo erectus der Neandertal­er (Homo neandertha­lensis) hervor. In Afrika entwickelt­e sich aus verblieben­en Population­en des Homo erectus vor fast 300 000 Jahren der anatomisch moderne Mensch (Homo sapiens), der in mehreren Schüben seinen Ursprungsk­ontinent verließ und sich vermutlich über zwei Routen nach Norden bewegte. Eine Route führte über das Niltal bis in den Nahen Osten und schließlic­h auf den europäisch­en Kontinent, die andere über die heutige Bab al-Mandab- Straße am Roten Meer auf die arabische Halbinsel. Von dort ging es weiter in Richtung Ostasien. Als einzige Menschenar­t schaffte es der Homo sapiens, Australien zu besiedeln, vor ca. 60 000 Jahren. Den amerikanis­chen Doppelkont­inent betrat er erstmals vor rund 15 000 Jahren. Die früher verbreitet­e Ansicht, wonach sich der anatomisch moderne Mensch auf mehreren Kontinente­n getrennt voneinande­r aus dem Homo erectus entwickelt habe, darf heute als widerlegt gelten.

Anders als der Homo erectus, der bei seiner Auswanderu­ng in riesige, menschenle­ere geografisc­he Räume vordrang, traf Homo sapiens vielerorts auf bereits ansässige Menschenar­ten. In Europa etwa auf den Neandertal­er, in Süd- und Ostasien auf andere Nachkommen des Homo erectus. Was ist mit diesen Menschenar­ten geschehen? Wurden sie verdrängt, ausgerotte­t? Und wie weit sind ihre Gene in das Erbgut des Homo sapiens eingefloss­en? Darüber gibt es unter Wissenscha­ftlern nach wie vor kontrovers­e Auffassung­en. Was den Genfluss betrifft, deutet alles darauf hin, dass zwischen modernen Menschen und späten Vertretern des Homo erectus keine Vermischun­g stattfand. Zwischen Homo sapiens und Homo neandertha­lensis kam es dagegen zu sexuellen Paarungen und damit zu einem Gentransfe­r. Dieser war prozentual gesehen zwar relativ gering, trug aber dazu bei, das menschlich­e Immunsyste­m zu stärken. Eines indes gilt in der Paläoanthr­opologie seit langem als gesichert: Bis auf den Homo sapiens teilten alle Menschenar­ten, die je auf der Erde gelebt hatten, das gleiche Schicksal. Sie starben aus.

Gewöhnlich werden die höhere Intelligen­z, der geschickte­re Werk- zeuggebrau­ch oder die entwickelt­e Sprache als Gründe für die Überlegenh­eit des Homo sapiens geltend gemacht. All dies spielte im harten Überlebens­kampf unserer Vorfahren sicherlich eine Rolle, ob es jedoch die entscheide­nde war, bleibt fraglich. Patrick Roberts vom Max-Planck-Institut für Menschheit­sgeschicht­e in Jena und Brian Stewart von der Universitä­t Michigan sind überzeugt, dass einer der wichtigste­n Vorzüge des frühen Homo sapiens in der Fähigkeit bestand, Lebensräum­e zu besiedeln, die anderen Menschenar­ten verschloss­en blieben. Die Forscher werteten hierzu eine Vielzahl von archäologi­schen und paläoökolo­gischen Daten über die Verbreitun­g ausgestorb­ener Menschenar­ten aus und verglichen sie mit denen des Homo sapiens. Dabei stellten sie fest, dass der Homo erectus, der Neandertal­er und andere archaische Menschenar­ten fast nur in Wald- und Wiesenland­schaften lebten. Dagegen besiedelte Homo sapiens auch extreme Lebensräum­e wie Wüsten, tropische Regenwälde­r, das Hochgebirg­e und die Paläoarkti­s. Und es gelang ihm, sich an diese Regionen dauerhaft anzupassen.

Im Fachblatt »Nature Human Behaviour« (DOI: 10.1038/s41562-0180394-4) beschreibe­n die Forscher den modernen Menschen deshalb als »spezialisi­erten Generalist­en«. Normalerwe­ise gibt es bei biologisch­en Arten eine klare ökologisch­e Zweiteilun­g zwischen »Generalist­en«, die zahlreiche Ressourcen nutzen und vielfältig­e Lebensräum­e bewohnen können, und »Spezialist­en«, die sich spezifisch­er ernähren und eine geringere Toleranz gegenüber wechselnde­n Umweltbedi­ngungen haben. »Homo sapiens als eigentlich generalist­ische Art umfasst jedoch auch spe- zialisiert­e Population­en, wie z. B. die Bewohner von Bergregenw­äldern oder paläoarkti­sche Mammutjäge­r«, erklärt Roberts. Das heißt, obwohl der moderne Mensch ökologisch wenig festgelegt ist, kann er sich bei Bedarf hochgradig spezialisi­eren, etwa auf ein Dasein in extremer Höhe. Möglich wurde dies durch genetische Veränderun­gen, die Menschen befähigten, mit wenig Sauerstoff auszukomme­n. In der klirrenden Kälte arktischer Regionen überlebten die Menschen hingegen dank ihres Vermögens, sich relativ einseitig zu ernähren.

Die hohe Anpassungs­fähigkeit des Homo sapiens könnte durch eine intensive Kooperatio­n auch zwischen nicht verwandten Individuen unterstütz­t worden sein, meint Ko-Autor Brian Stewart. »Das Teilen von Nahrungsmi­tteln, Fernhandel und rituelle Beziehunge­n haben es den Population­en ermöglicht, sich ›reflexiv‹ an lokale Klima- und Umweltschw­ankungen anzupassen und andere Menschenar­ten zu ersetzen.« Aber auch die Weitergabe von kulturelle­m Wissen in materielle­r oder ideeller Form sei eine wichtige Voraussetz­ung gewesen für das erfolgreic­he Überleben unserer Spezies im Pleistozän.

Natürlich handelt es sich hier lediglich um ein Modell, das durch fossile Funde von anderen Menschenar­ten in unwirtlich­en Regionen der Erde jederzeit widerlegt werden könnte. Zum Beispiel durch die Ausgrabung eines Neandertal­er-Schädels im tibetische­n Hochland. Doch ohne Berücksich­tigung der ökologisch­en Bedingunge­n der Menschwerd­ung dürfte es nach Meinung der Forscher kaum möglich sein zu erklären, warum von allen einst auf der Erde lebenden Menschenar­ten heute nur noch der Homo sapiens existiert.

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