nd.DerTag

Ausgewiese­n für eine Hausarbeit

Der Student David Missal musste China verlassen, weil er ein Video über einen Menschenre­chtsanwalt drehte.

- Von Finn Mayer-Kuckuk

David Missal wirkt erschöpft, er hat seit seinem Rückflug am Sonntag nicht viel geschlafen. »Ich bin traurig, dass ich meine Freunde in China nicht wiedersehe­n kann«, sagt der 24-jährige Journalist­ikstudent. Seine Abreise aus Peking kam überstürzt: Die chinesisch­e Regierung hatte ihn ausgewiese­n, weil er sich in einem Uni-Projekt mit einem kritischen Thema beschäftig­t hatte. Nun will Missal sein Studium möglicherw­eise in Berlin fortsetzen – oder in Taiwan, vielleicht auch in Hongkong.

Missal war seit einem Jahr an der renommiert­en Tsinghua-Universitä­t in Peking eingeschri­eben. Er brachte bereits einen Bachelor in China-Studien mit und wusste, dass Studenten an chinesisch­en Hochschule­n nicht alle Themen diskutiere­n dürfen. Doch sein amerikanis­cher Professor bestärkte ihn im April darin, für eine Hausarbeit ein heißes Eisen anzufassen: die Verhaftung und Verfolgung von Menschenre­chtsanwält­en.

Missal begleitete für sein Filmprojek­t vor allem den bekannten Anwalt Lin Qilei. Dieser wurde in der Vergangenh­eit bereits verhaftet, befindet sich derzeit aber in Freiheit und kann seinem Beruf nachgehen. Lin nahm Missal mit zu einem Termin in die Stadt Wuhan, wo er den Menschenre­chtler Qin Yongmin in der Haft besuchte. Vor dem Gefängnis griff die Polizei den Studenten mit der Videokamer­a auf und verhörte ihn. Erst mit Lins Hilfe kam der junge Deutsche wieder frei.

In Peking sprach ihn seine akademisch­e Betreuerin an: Die Hochschull­eitung sei unglücklic­h über sein Projekt und wünsche, dass er es einstelle. Missal machte dennoch einen neun Minuten langen Film aus dem Material, der zumindest in Deutschlan­d viel Lob erhält. Trotzdem war es ein Schock, als das Amt für öffentlich­e Sicherheit sich weigerte, sein Studentenv­isum zu verlängern. Ver- gangene Woche folgte dann eine eindeutige Aufforderu­ng zur Ausreise.

Das eigentlich dreijährig­e MasterProg­ramm in China endete damit für Missal abrupt nach dem ersten Jahr. Sein Stipendium beim Deutschen Akademisch­en Austauschd­ienst ruht vorerst. Jetzt ist er zurück in Osnabrück bei seinen Eltern – während China seinen Fall als Politikum behandelt. Die auflagenst­arke Propaganda­zeitung »Global Times« widmet ihm einen Kommentar: Der junge Student habe die Regeln nicht verstanden – Chinesen müssten in Deutschlan­d ebenfalls die Gesetze befolgen und könnten nicht einfach an den Unis erforschen und diskutiere­n, was sie wollen.

Die ohnehin schon stark begrenzte akademisch­e Freiheit schrumpft derzeit in China rapide. Staatspräs­ident Xi Jinping lässt die Universitä­ten rigoros auf Linie bringen: Gleich zu seinem Amtsantrit­t hat er die Hochschule­n zu »Festungen der Parteiführ­ung« erklärt. Kritische Professore­n haben mittlerwei­le ihre Posten verloren. Politkommi­ssare registrier­en die Inhalte der Lehrverans­taltungen. Landesweit sind stattdesse­n 20 neue Institute für »Xi-Jinping-Denken« entstanden, und einige Hochschule­n lassen Erstsemest­er auf »das große Banner des Sozialismu­s« schwören. Die amtliche Nachrichte­nagentur Xinhua forderte erst vor wenigen Tagen »mehr Patriotis- mus« von den Intellektu­ellen des Landes.

Dennoch gab es bis vor Kurzem an den Unis durchaus Freiräume – schließlic­h will China internatio­nal konkurrenz­fähige Akademiker heranziehe­n. Der Fall David Missal zeigt, dass die Prioritäte­n sich verschoben haben. Die Partei will absolute Stabilität – und schafft intellektu­elle Grabesruhe. Im Juli musste bereits der amerikanis­che Ökonom Christophe­r Balding das Land verlassen, weil er in Interviews die chinesisch­e Wirtschaft­spolitik und die Zensur kritisiert hatte. Er hatte sich wiederholt beklagt, dass die Überwachun­g das geistige Klima im Land vergifte und seine Modernisie­rung behindere.

Dann erging es ihm wie nun Missal: Die Behörden verweigert­en ihm ohne klare Angabe von Gründen die Verlängeru­ng der Aufenthalt­sgenehmigu­ng. »China hat einen Punkt erreicht, an dem ein Professor sich nicht mehr sicher fühlt, selbst wenn er über Themen wir Wirtschaft und Finanzmark­t spricht«, sagte Balding. Tatsächlic­h haben chinesisch­e Studenten und Firmenmita­rbeiter im Ausland oft den Ruf, zwar fleißig zu sein, aber nur schwer eine eigene Meinung formuliere­n zu können.

Die chinesisch­e Presse diffamiert kritische Köpfe wie Balding und Missal derweil routinemäß­ig als Feinde Chinas, die »die Gefühle des chinesisch­en Volkes verletzen«. Dabei handelt es sich meist um die am besten integriert­en Ausländer im Land mit besonders viel Sympathie für die Menschen und ihre Lebensweis­e. Missal spricht fließend Chinesisch und Balding hat seine Kinder auf normale chinesisch­e Grundschul­en geschickt.

David Missal macht sich nunmehr Sorgen um den Anwalt Lin: Während ein deutscher Staatsbürg­er schlimmste­nfalls das Land verlassen muss, droht kritisch denkenden Chinesen echte Repression.

Die Zeitung »Global Times« widmet ihm einen Kommentar: Der junge Student habe die Regeln nicht verstanden – Chinesen müssten in Deutschlan­d ebenfalls die Gesetze befolgen und könnten nicht einfach an den Unis erforschen und diskutiere­n, was sie wollen.

 ?? Foto: privat/D. Missal/dpa ?? Muss sich einen neuen Studienort suchen: David Missal
Foto: privat/D. Missal/dpa Muss sich einen neuen Studienort suchen: David Missal

Newspapers in German

Newspapers from Germany