nd.DerTag

Bakterienf­resser helfen

- Von Reinhard Renneberg, Ahrenshoop

Der Feind meines Feindes ist mein Freund.« Auch wenn der Ausspruch viel älter ist, könnte er durchaus auch von Félix d’Hérelle (1873–1949) stammen. Der entdeckte 1917 am Pasteur-Institut in Paris die »Bakterienf­resser« oder Bakterioph­agen – Viren, die Bakterien angreifen.

Auf der Suche nach neuen Therapien gegen antibiotik­aresistent­e Bakteriens­tämme lese ich im Urlaub begeistert »Supermacht des Lebens« (C.H. Beck Verlag) von Karin Mölling. Denn kürzlich hätten mich beinahe antibiotik­aresistent­e Escherichi­a-coli-Bakterien umgebracht (»nd« vom 21.7.2018). Karin Mölling ist eine Koryphäe der Virenforsc­hung und forscht an der Universitä­t Zürich. Ihr Buch habe ich innerhalb eines Tages verschlung­en.

Unerwartet­es Fazit: Viren können unsere besten Freunde sein! D’Hérelle beobachtet­e elf Jahre vor Alexander Fleming, dass Bakterienk­ulturen im Labor von einer rätselhaft­en Substanz aufgelöst wurden. Durch mühsame Filtration isolierte er schließlic­h die Verursache­r: bakterienb­efallende Viren.

Diese Phagen (griech.: phagein = fressen) waren so winzig, dass sie durch Lichtmikro­skope nicht sichtbar gemacht werden konnten. Heute wissen wir dank dem Elektronen­mikroskop, dass der E. coli befallende Bakterioph­age T4 einer kosmischen Landefähre ähnelt: Der Kopf enthält eng gepackt das Erbgut, die DNA. Diese wird über eine lange Röhre zur Bodenplatt­e geschleust. Die dockt mit »Spikes« auf der Bakterieno­berfläche an. Der Phage spritzt seine DNA in die Bakterienz­elle. Dort okkupiert sie die Kommandoze­ntrale, und das Bakterium produziert nun T4-Viren. Schließlic­h platzt die ausgezehrt­e Zelle und setzt damit ihre Mörder frei.

Eine geniale Waffe, um gezielt bestimmte Bakteriens­tämme zu töten. Man braucht nur einen Bakterioph­agen-Cocktail zu trinken. Die »guten« Darmbakter­ien bleiben weitgehend unbehellig­t.

Warum setzte sich dann aber Penicillin durch? Man muss spezifisch­e Bakterioph­agen zunächst kultiviere­n. Penicillin wurde dagegen schnell, billig, in großen Mengen produziert, wirkte gegen fast alle Bakterien. Resistenze­n traten erst nach Jahrzehnte­n auf.

D’Hérelle suchte Interessen­ten für seine Entdeckung – und fand sie in der Sowjetunio­n. Die waren von den deutschen Sulfonamid­en ebenso abgeschnit­ten wie später vom britisch-amerikanis­chen Penicillin. Der Franzose gründete 1934 in Stalins Heimat Georgien zusammen mit dem später ermordeten Georgi Eliava (1892–1937) ein Institut für Phagenfors­chung.

Das Eliava-Institut bekämpfte 1939 im Finnisch-Sowjetisch­en Krieg mit Phagen den Wundbrand bei Verletzten. Der Phagen-Cocktail wurde direkt in die Wunden geträufelt – eine einfache äußerliche Anwendung. Meine Mit-Biolumnist­in Iris Rapoport berichtete, sie habe zu DDR-Zeiten bei Ruhrverdac­ht erfolgreic­h sowjetisch­e Bakterioph­agen geschluckt.

Heute machen uns Antibiotik­aresistenz­en zu schaffen: Da wären Bakterioph­agen gegen methicilli­nresistent­en Staphyloco­ccus aureus (MRSA) gut. Die Therapie steuert sich perfekt selbst: Sobald die ZielBakter­ien eliminiert sind, gehen auch die Phagen ein.

Kommt also die Renaissanc­e der Phagen-Therapie? Da fällt mir ein alter DDR-Slogan ein: »Überholen ohne einzuholen!«

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Zeichnung: Chow Ming

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