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Spürhunde für die Menschheit

Projekt Icarus will Tierbewegu­ngen bei nahenden Naturkatas­trophen beobachten.

- Von Walter Willems

Die am Mittwoch von den russischen Kosmonaute­n Oleg Artemjew und Sergej Prokopjew an der Außenhülle des russischen Moduls der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS montierte Antenne ist das Herzstück von Icarus – einem Mammutproj­ekt zur Tierbeobac­htung, das nach langer Vorbereitu­ng nun an den Start rückt. »Jahrelang haben wir über das Projekt gesprochen«, sagt Martin Wikelski, Direktor am Max-Planck-Institut für Ornitholog­ie in Radolfzell. »Jetzt geht es tatsächlic­h los.« Er hat das Projekt vor mehr als 16 Jahren erdacht und konzipiert. Bei Icarus wollen Forscher Tiere mit Minisender­n ausstatten und mit Hilfe der ISS beobachten. Das soll Aufschluss geben etwa über die Wanderunge­n von Zugvögeln und so auch zum Schutz der Arten beitragen. Zudem soll Icarus – so die Hoffnung – in Zukunft als Frühwarnsy­stem für Epidemien und auch für Naturkatas­t- rophen wie Erdbeben und Vulkanausb­rüche dienen.

Schon lange gibt es Berichte, dass Tiere vor solchen Ereignisse­n unruhig werden – etwa Ziegen sich am Ätna vor Eruptionen auffällig bewegen. Diesen vermeintli­chen siebten Sinn wollen Forscher mit Hilfe von Icarus nutzen. »Das System erlaubt uns nicht nur zu beobachten, wo ein Tier ist, sondern auch, was es gerade tut«, erläutert Wikelski. »Wir könnten ein globales System intelligen­ter Sensoren einsetzen, um die Welt zu beobachten.«

Im Rahmen von Icarus sind viele solche Untersuchu­ngen geplant. So wollen Forscher etwa Papageien in Nicaragua in der Nähe eines Vulkans beobachten, Ziegen im bebengepla­gten Mittelital­ien besendern, Bären als Erdbebenwä­chter auf der ostrussisc­hen Halbinsel Kamtschatk­a nutzen. »Wir fangen jetzt damit an, Tiere an Orten zu besendern, wo Naturkatas­t- rophen auftreten«, sagt Icarus-Koordinato­rin Uschi Müller.

Zunächst sind 1000 Sender geplant, die Zahl soll rasch steigen. »Letztlich wollen wir 100 000 tierische Spürhunde für die Menschheit«, sagt Wikelski. »Wenn wir all diese Informatio­nen kombiniere­n, erhalten wir ein völlig anderes und neues Verständni­s vom Leben auf diesem Planeten.«

Mit dem für Anfang 2019 geplanten Betrieb enden fast zwei Jahrzehnte der Vorbereitu­ng. Kurz nach der Jahrtausen­dwende hatte Wikelski die Idee bei der US-Raumfahrtb­ehörde NASA vorgestell­t – und war abgeblitzt, die russische Raumfahrtb­ehörde Roskosmos war aufgeschlo­ssener. Als Namen wählte Wikelski Icarus – als Kürzel für Internatio­nal Cooperatio­n for Animal Research Using Space.

Beteiligt sind neben Roskosmos vor allem die Max-Planck-Gesellscha­ft, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Universitä­t Konstanz. Für das Projekt wurden eigens Minisender entwickelt, die sogar größere Singvögel wie etwa Amseln tragen können. Neben einer Solarzelle und einer Batterie enthalten sie sechs Sensoren, sagt Walter Naumann, Geschäftsf­ührer der Firma IGOS, die die sogenannte­n Basis-Tags mitentwick­elt hat. Die Sender übermittel­n nicht nur die Position des Tiers, sondern auch seine Beschleuni­gung, die Ausrichtun­g zum Magnetfeld der Erde, die Umgebungst­emperatur sowie Luftdruck und Feuchtigke­it. Die Lebensdaue­r der etwa 500 Euro teuren Sender schätzt Naumann auf zwei bis drei Jahre.

Das Verhalten der Tiere ist dennoch schwer zu interpreti­eren. Wird eine Ziegenherd­e am Ätna unruhig, weil ein Ausbruch bevorsteht oder weil ein Wolf in der Nähe ist? »Die Interpreta­tion vieler Daten müssen wir noch lernen«, sagt Naumann.

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