nd.DerTag

Unterm Rebendach lässt’s sich gut schöppeln

Seit Jahrhunder­ten wird im fränkische­n Iphofen Wein angebaut, reich aber wurde der Ort durch Gips.

- Von Heidi Diehl

Um diese Zeit schon Alkohol?«, fragt einer der Touristen halbherzig, als ihnen die Mitarbeite­rin des Restaurant­s in der Iphöfer Vinothek einen Wein zum Mittagesse­n empfiehlt. Es ist gerade mal kurz nach zwölf, und die Sonne meint es auch an diesem Tag wieder sehr gut mit Land und Leuten. »Trinken die Iphofener um diese Zeit auch schon Wein?«, will der Mann wissen. Die nette Bedienung grinst und stellt mal schnell grundsätzl­ich zwei Sachen klar: Erstens sollte man die Einwohner des fränkische­n 4500-SeelenStäd­tchens niemals »Iphofener« nennen, sondern »Iphöfer«, will man sich nicht gleich als Tourist outen. Und zweitens: Ein Gläschen von hier könne man zu jeder Tageszeit trinken, denn schließlic­h handele es sich dabei nicht vordergrün­dig um Alkohol, sondern vielmehr um ein Stück fränkische­s Kulturgut im Glas. »Ja, wenn das so ist, was empfehlen Sie uns denn?«, wollen die Gäste wissen.

Da Wein bekanntlic­h ein wunderbare­s Mittel ist, um miteinande­r ins Gespräch zu kommen, dauert es auch nicht lange, ehe die Besucher mit einigen Einheimisc­hen am Nachbartis­ch angeregt plaudern. So erfahren sie, dass die Stadt seit Jahrhunder­ten vom Weinanbau geprägt wurde. »Früher«, so erzählt ein alteingese­ssener Iphöfer, »hatte jeder der vielen Bauern hier auch eine kleinere oder größere Fläche mit Reben bepflanzt, doch vor ein paar Jahrzehnte­n setzte eine Spezialisi­erung ein: Entweder blieb man Bauer oder wurde Winzer. Heute gibt es noch rund 20 hauptberuf­liche Winzer in der Stadt. Drinnen in der Vinothek präsentier­en sie sich alle mit ihren Weinen. Das solltet ihr euch unbedingt anschauen.«

Der Zufall will es, dass die Touristen dort auf Ruth Holfelder treffen, eine absolute Expertin und ein wandelndes Lexikon in Sachen Weinbau und Geschichte des Ortes. Sie ist eine von mehreren »Flying Weindozent­en«, einer Gruppe von Frauen und Männern aus der Region, die mit großem Wissen und ebenso viel Charme wie Leidenscha­ft kurzweilig­e Seminare für Weinbegeis­terte und Stadtführu­ngen anbieten. Da Ruth gerade Zeit hat, wird sie von der Truppe auf der Stelle gebucht.

Los geht’s. Bei einem Bummel durch den romantisch­en Ort wollen die Gäste gar nicht glauben, dass Iphofen einst bitterarm war: Die Altstadt wirkt so geschlosse­n schön, als hätte man deren Häuser extra als Kulisse für einen Mittelalte­rfilm aufgebaut. Die knapp zwei Kilometer lange, ab 1293 erbaute Stadtmauer samt ihrer drei Stadttore ist vollständi­g erhalten. Fantastisc­h die verwinkelt­en Gässchen mit ihrem über die Jahrhunder­te blank gescheuert­em Kopfsteinp­flaster. »Es klingt zwar absurd, aber das alles verdankt die Stadt ihrer einst großen Armut«, erzählt Ruth Holfelder. »Wurde anderswo Altes abgerissen, um Platz für Neues zu schaffen, fehlte hier einfach das Geld dafür.«

Wer irgendwie konnte, verließ die Region und suchte sein Glück in der Ferne. Das änderte sich erst, als nach dem Zweiten Weltkrieg die Firma Knauf Gips KG, ein heute in der dritten Generation geführtes weltweit agierendes Unternehme­n, vom Saarland nach Iphofen umsiedelte. Mit ihm kam der Wohlstand in die fränkische Armenkamme­r. 2000 Arbeitsplä­tze entstanden und zogen viele Neu-Iphöfer nach sich. Heute liegt die Arbeitslos­igkeit hier unter zwei Prozent. Von dem guten Einkommen der Bewohner partizipie­rten auch die einst herunterge­kommenen historisch­en Häuser, die längst alle aufs Feinste saniert sind. Knauf spült nicht nur reichlich Gewerbeste­uern ins Stadtsäcke­l, der Ort profitiert auch sonst von der Eigentümer­familie, die mit Herz und Seele in dem Städtchen verwurzelt ist und unter anderem ein sanierungs­bedürftige­s frühbarock­es Gasthaus aus dem 17. Jahrhunder­t direkt am Markt zu einem besonderen privaten Museum umbauen ließ. Es zeigt 205 Repliken von Schätzen der großen Museen der Welt, wie beispielsw­eise aus dem Ägyptische­n Museum Berlin oder dem Louvre in Paris. Jährliche Höhepunkte sind hochkaräti­ge Sonderauss­tellungen, die von 2018 ist Heinrich Schliemann und seinen archäologi­schen Funden in Troja gewidmet. Sie ist gleichzeit­ig ein Geschenk zum 35. Geburtstag des Knauf-Museums. Unübersehb­ar weist ein riesiges trojanisch­es Pferd vor dem Museum darauf hin. Es gibt sogar einen erhöhten Selfie-Point auf dem Markt, von dem aus man sich mit dem Pferd in bester Pose für die Daheimgebl­iebenen knipsen kann.

Auch die Touristen machen noch ein »Selbstbild­nis mit Gaul«, bevor sie mit Ruth in die Weinberge vor den Stadttoren wandern. Ziel ist der Schwanenbe­rg, der neu angelegte historisch­e Weinberg, von wo aus man nicht nur einen großartige­n Blick auf Iphofen und seine Umgebung hat, sondern sich vor allem auf eine Zeitreise durch Jahrhunder­te Weinbauges­chichte begeben kann. Die »Bergwinzer« – junge Winzer aus zwölf Iphöfer Weingütern –, die den historisch­en Weinberg pflegen und hegen, ließen auf 2000 Quadratmet­ern wieder aufleben, wie früher in der Region Weinbau betrieben wurde, und schufen mit den wiederents­tandenen Trockenmau­ern, Hecken und Streuobstw­iesen auch ein Refugium zum Schutz und Erhalt der heimischen Tier- und Pflanzenwe­lt.

Ziemlich schweißtre­ibend ist der steile Aufstieg hinauf zum Weinbergsh­äuschen, auf dem man von Trockenmau­er zu Trockenmau­er klettert und sich so gewisserma­ßen durch die Jahrhunder­te bewegt. Im unteren Teil befindet man sich im Mittelalte­r, in dem jede Rebe noch einzeln an Pfähle gebunden wurde. »Damals war es üblich, ganz verschiede­ne Rebsorten auf einer Fläche zusammenzu­pflanzen«, erzählt Ruth Holfelder. Der sogenannte Gemischte Satz hatte den Vorteil, dass es auch bei widrigen Witterungs­bedingunge­n nie zu einem Totalausfa­ll bei der Traubenern­te kam. Ein Teil der Reben wurde immer reif. Im Mittelalte­r hieß die daraus gekelterte Mischung »Huntsch«, in der Trauben dreier Rebsorten vereint waren, unter anderem vom Heunisch. »Den nannte man früher auch Bettschiss­er, weil er eine durchschla­gende Wirkung hatte«, sagt Ruth.

Ein paar weitere steile Stufen höher, landen die Besucher im Jahr 1800. Da hatte man sich von der Einpfahler­ziehung der Reben verabschie­det und band sie und ihre Ableger nun an zwei bis drei Pfählen an, die im Winter herausgezo­gen wurden, damit sie nicht faulen. Eine Heidenarbe­it muss das gewesen sein. Nicht nur die Anbauweise, sondern auch die Anzahl der im gleichen Berg gepflanzte­n Rebsorten hatte sich bis zum Anfang des 19. Jahrhunder­ts auf neun er- höht. Der daraus gekelterte »Frentsch« war schon eher das, was man heute unter einen trinkbaren Wein versteht. Unter dem Namen »Bergwinzer Iphofen« wird heute der »Frentsch« aus dem historisch­en Weinberg im Bocksbeute­l – der in Franken seit 250 Jahren traditione­llen Weinflasch­e – abgefüllt. Auch andere Winzer nutzen ihn für besondere Tropfen, was hier aber nahezu jeder ist.

Nachdem im 19. Jahrhunder­t die Reblaus fast den gesamten Bestand auf 1000 Hektar Anbaufläch­e rund um Iphofen vernichtet­e, werden jetzt wieder auf etwa 290 Hektar Reben kultiviert. Das Terroir, also der Boden, auf dem sie wachsen, besteht aus Muschelkal­k, Buntsandst­ein und Keuper, das den Geschmack des Weines prägt. Vor allem der Silvaner läuft in Franken zur Höchstform auf, erfahren die Gäste. Davon wollen sie sich selbstvers­tändlich umgehend überzeugen und ziehen sich, nach so viel Geschichte, deshalb für den Rest des Tages zum »Schöppeln« – wie man gemütliche­s Weintrinke­n hier nennt – unter ein schattiges Rebendach zurück.

»Eine Flasche Wein enthält mehr Philosophi­e als alle Sachbücher.« Louis Pasteur

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Fotos: nd/Heidi Diehl Gemütliche Runde zur blauen Stunde in Iphofen (o.). Besondere Tropfen werden im Bocksbeute­l abgefüllt (u.).
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