Lautstark gegen Nazis
Trotz Widerstands können Rechte durch Berlin marschieren.
Während in Spandau Proteste den Aufmarsch von Neonazis am Sonnabendmittag erfolgreich verhindern, weichen die Rechtsextremisten in die Innenstadt aus, wo sie kaum behelligt durchmarschieren.
Nix zu holen gab es zunächst für all die Nazis, die am Sonnabend in Spandau Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß ehren wollten. Nur versprengte Grüppchen von wenigen Dutzend Rechtsextremen fanden sich gegen 12 Uhr auf der Schmidt-KnobelsdorfStraße unweit des Bahnhofs Spandau ein. Nachdem sie in einem Wohngebiet durch Gegendemonstranten am Abmarsch gehindert worden waren, zogen sie ab und sammelten sich später in Friedrichshain am Platz der Vereinten Nationen.
Von dort aus marschierten rund 700 Neonazis Personen unter Protest bis zum Bahnhof Lichtenberg. Insgesamt nahm die Polizei im Tagesverlauf bei verschiedenen Kundgebungen und Protesten in der Stadt 29 Personen vorübergehend fest und leitete 45 Ermittlungsverfahren ein. Sechs Polizisten seien verletzt worden, teilte die Behörde am Sonntag mit.
2017 – zum 30. Todestag von Heß – war es gelungen, den Neonazi-Aufmarsch schon in Spandau mit Sitzblockaden zu stoppen. »Mich ärgert die Entscheidung der Versammlungsbehörde, die Demo durch die halbe Stadt zu lassen und dann in Lichtenberg abzuladen«, kritisierte Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst (LINKE) im Kurznachrichtendienst Twitter. Viele Gruppen beteiligten sich auch dieses Jahr an den zahlreichen Gegenkundgebungen.
Bereits am Samstagmorgen fand eine Kundgebung der Grünen statt. Um 10.30 Uhr führte das »Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin«, in dem sich Kirchen, Gewerkschaften und Parteien zusammengeschlossen hatten, eine Auftaktkundgebung durch. An zwei weiteren Orten harrten Menschen bei Mahnwachen gegen Rechts aus.
Der Berliner Bischof Marcus Dröge erinnerte auf der Auftaktkundgebung daran, dass jeder Mensch die gleiche Würde habe. Er sagte: »Wo diese Würde gilt, ist unsere Heimat. Und wir lassen es nicht zu, dass diese demokratische Heimat von Rechten zerstört wird.«
Als um 12 Uhr die Gegendemonstration »Keine Verehrung von Naziverbrechen« des Bündnisses gegen Rechts begann, war noch nicht klar, dass es keinen Nazi-Aufmarsch in Spandau geben würde. Rund 2500 Menschen protestierten fröhlich, aber bestimmt gegen rechtes Gedankengut in der Gesellschaft und dessen Auswirkungen.
Marion Geisler, die mit einem Schild »Omas gegen Rechts« demonstrierte, erklärte, dass man trotzdem auch mit Rechten reden müsse:
»Jeder kennt doch Rechte. Im Verein, in der Nachbarschaft oder in der Kneipe. Wir müssen in Dialog treten. Bei den Rechten gibt es doch auch Mütter und Väter, Omas und Opas. Hass ist kein Weg.«
Während der Demonstration übten mehrere Redner scharfe Kritik am Verhalten von Innensenator Andreas Geisel (SPD) und der Polizei. Geisel hätte gar nicht versucht, den Aufmarsch zu verbieten, und die Polizei habe die Rechten auch noch zum Aufmarschort eskortiert. Als um 12.37 Uhr die Durchsage kam, dass die rechte Demonstration in Spandau offiziell abgesagt sei, brandete Jubel auf. Der Pfarrer der nahe gelegenen Melanchthonkirche läutete die Glocken aus Freude über den Erfolg.
Frank Renken von »Aufstehen gegen Rassismus« sagte: »Es ist ein fantastischer Erfolg, dass Spandau nicht zum Wallfahrtsort von Rechten wird.« Er erklärte, dass Hitler der Meinung war, dass nur frühe und entschlossene Gegenwehr seiner Gegner ihn hätte stoppen können. »Diese Gegenwehr müssten wir heute leisten«, so Renken. Schließlich beendeten die Veranstalter die Demo vorzeitig und riefen dazu auf, sich nach Friedrichshain zu begeben.
Auf dem nicht weit von der Melanchtonkirche gelegenen »Fest der Demokratie« freute sich auch Spandaus Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank (SPD) über den Erfolg. »Ihr habt Wahnsinniges geleistet«, rief er den verbliebenen wenigen Hundert Demonstranten zu, die sich bei Bratwurst und Mineralwasser stärkten. Kleebank kündigte an: »Wenn die Rechten im nächsten Jahr wieder hier aufmarschieren wollen, werden wir im nächsten Jahr auch wieder hier stehen. Wir werden keinen Millimeter zurückweichen.«
Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der jüdischen Gemeinde, sah allerdings keinen Grund zur Entwarnung: »Wie kann man noch von ›wehret den Anfängen‹ reden. Wir sind doch schon mittendrin.« Außerdem sei er stolz darauf, von Rechten verunglimpft zu werden. »Und wenn wir ›Gutmensch‹ genannt werden – ja, wir sind Gutmenschen. Und das ist gut so.«
Nachdem sich die Neonazis aus Spandau in die Innenstadt begeben hatten, formierte sich dort gegen 15 Uhr am Platz der Vereinten Nationen in Friedrichshain der HeßMarsch mit rund 700 Neonazis Teilnehmern. Geschützt durch ein Aufgebot von 2300 Polizisten zogen die Rechtsextremisten in Marschformation durch den als alternativ geltenden Bezirk Friedrichshain in Richtung Lichtenberg. Gegenproteste waren laut, fanden aber nur am Rande statt. Vereinzelt sollen Flaschen und Steine auf die Neonazis geflogen sein.
Nach Angaben der Initiative »Ein Cent gegen die Nazis«, die für jeden am Heß-Marsch teilnehmenden Rechtsextremen eine durch Spender finanzierte Summe an die Organisation Sea Watch zukommen lassen will, kamen schließlich 14 640 Euro für die Seenotretter zustande.
»Wie kann man noch von ›wehret den Anfängen‹ reden. Wir sind doch schon mitten drin.« Sigmount Königsberg, Jüdische Gemeinde