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Den Anderen denken

Beirren ließ er sich von nichts: zum Tod des israelisch­en Publiziste­n und Aktivisten Uri Avnery

- Von Ronald Kaufhold

Der kritische israelisch­e Publizist Uri Avnery ist verstorben.

Stets in Opposition zu den Mächtigen – und das mit Freude: Der als Helmut Ostermann geborene Publizist hinterläss­t in Israel mehr Spuren, als seine randständi­ge Position vermuten lässt.

Mit zehn Jahren erfährt der 1923 in Westfalen in eine assimilier­te Familie geborene Junge, was es heißt, Jude zu sein. Als Sextaner sitzt er in der Aula eines Gymnasiums in Hannover, neben ihm ein gewisser Rudolf Augstein. Er stimmt nicht ein in den nationalen Gesang und hebt auch nicht die Hand zu jenem Gruß, der neuerdings üblich ist. Man droht ihm Prügel an. Und als sein Vater wenige Tage später bedroht wird, flieht die Familie nach Palästina, im November 1933 kommt sie an.

Uri – den hebräische­n Namen legt er sich mit 18 zu – ist begeistert vom neuen Leben, voll Abenteuerl­ust. Deutschlan­d und das Deutsche können ihm gestohlen bleiben. Mit seinem Bruder lernt er in der Siedlung Nahalal hebräisch, dann geht er nach Tel Aviv und wird mit 15 Sekretär eines Anwalts in Jaffa. Sein bewunderte­r Vater, ein ehemaliger Bankier, schuftet als Wäscher. »Mein Vater«, erinnert sich Uri später, »war ein Mensch. Ich glaube, sie haben uns die Wäsche hauptsächl­ich gebracht, damit er zu ihnen nach Hause kommt und sich mit ihnen unterhält. Auf Deutsch natürlich.«

Der Teenager schließt sich dem damals illegalen, rechtsnati­onalistisc­hen Paramilitä­rverband Irgun an, der gegen die englischen Kolonialhe­rren wie auch die Araber für einen eigenen, jüdischen Staat kämpft. Im Untergrund transporti­ert er Waffen, worauf die Todesstraf­e steht – ein »wunderbare­s Gefühl«, erinnert er sich später, »mit einer Pistole unter dem Arm herumzuspa­zieren. Du gehst an englischen Polizisten vor- bei, und keiner außer dir weiß, dass du eine Pistole hast.«

Mit 18 verlässt er den Irgun, der Nationalis­mus wird ihm suspekt. 1946 schließt er sich einer kleinen, sehr linken Gruppe an, kurz vor der Staatsgrün­dung kämpft er bei der Haganah. Der Israel aufgenötig­te Unabhängig­keitskrieg ist dann ein einschneid­endes Erlebnis. Ende 1948 wird Uri schwer verletzt, vier aus Marokko eingewande­rte Soldaten retten ihm das Leben.

Nun entdeckt er das Schreiben, zunächst von Zeitungsgl­ossen. Sein Vorbild ist Erich Maria Remarque. 1949, da ist er 25, erscheinen seine Beiträge als Buch: »In den Feldern der Philister«. Es wird ein Bestseller. Und als er merkt, wie sich seine Kameraden für den Krieg begeistern, schreibt er 1950 »Die andere Seite der Münze« – was wieder alles ändert. 1995 erinnert er sich an jähen Rum und plötzliche Verdammung: »Plötzlich war ich der Liebling der Gesellscha­ft und auch der Regierung. Das hat mir sehr geholfen, denn vorher war ich schrecklic­h unpopulär. Dann schrieb ich noch ein zweites Buch. Dieses war ein nationaler Skandal ohnegleich­en. Ich schrieb darin über Kriegsverb­rechen.« Auf Deutsch erschienen beide Bücher erst 2005. In Israel aber war die Grundlage für eine bis heute anhaltende Differenz zwischen Uri Avnery und großen Teilen der Öffentlich­keit schon damals gelegt.

Ab 1950 fordert Avnery eine Aussöhnung mit den Arabern, was Gustav Schocken auf ihn aufmerksam macht, den Verleger der »Haaretz«. Doch nach einem Jahr hört er nach Differenze­n auf, für das heute führende linksliber­ale Blatt zu schreiben. 1950 übernimmt er stattdesse­n die kleine Wochenschr­ift »Haolam Hazeh«. 40 Jahre leitet er das Blatt, das die Trennung von Religion und Staat propagiert und für eine eigentümli­che Mischung aus skandalträ­chtigen Investigat­ivgeschich­ten und Klatsch steht. Drei Bombenansc­hläge richten sich gegen die Redaktion. Und 1965, als sich politische und juristisch­e Attacken auf die Zeitschrif­t häufen, gründet Avnery eine Partei, deren Hauptforde­rung »Freiheit für Haolam Hazeh« lautet. Zehn Jahre sitzt er in der Knesset – als Enfant terrible der israelisch­en Politik.

Nun ist er auf der Position, für die man ihn kennt. Unversöhnl­ich stellt er sich der nationalen Aufbruchst­immung entgegen: Gerade seine Generation, selbst im »Untergrund«, – ja: »Terrorismu­s« – erfahren, müsse verstehen, was nun die anderen dorthin treibe. Warum sollten »Terroriste­n« immer nur die anderen sein? 1967, nach dem Sechstagek­rieg, fordert er die Gründung eines palästinen­sischen Staates. 1968 erscheint – bezeichnen­derweise? – »Israel ohne Zionisten« als erstes seiner Bücher auf Deutsch, in einer Serie des »Spiegels« – des Magazins jenes einstigen Mitschüler­s in Hannover.

Und Avnery belässt es nicht beim Schreiben. 1975 gründet er gemein- sam mit dem General Matti Peled eine israelisch-palästinen­sische Gruppe. Dann führt er – das Buch »Mein Freund, der Feind« gibt intensive Eindrücke davon – heimlich Gespräche mit einflussre­ichen Palästinen­sern wie Said Hamami und Issam Sartawi. Das ist so gefährlich wie illegal, doch Yitzhak Rabin weiß davon. Die Freunde auf der anderen Seite werden 1978 von den »eigenen« Radikalen ermordet – wie 1995 auch Rabin. 1982 trifft Avnery spektakulä­r Yassir Arafat, den er eigentümli­ch idealisier­t. 1993, als man vom »Friedenspr­ozess« noch reden konnte, gründet er »Gush Shalom«. Beirren ließ er sich von nichts.

Zu einem Kollegen hat Uri Avnery einmal gesagt: Wenn eines Tages meine Kolumne nicht mehr erscheint, dann weißt du, dass ich gestorben bin. Nachdem er zu Monatsbegi­nn einen Schlagabfa­ll erlitten hatte, ist das nun geschehen.

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Foto: imago/Hoffmann
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Foto: AFP/Jack Guez Avnery im Jahr 2011

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