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Treffen mit dem Peiniger

Aschwak T. fand nach IS-Gefangensc­haft in Baden-Württember­g Schutz – hier habe sie ihr Folterer bedroht

- Von Sebastian Bähr

Jesidin begegnete möglicherw­eise in Deutschlan­d ihrem Folterer.

Die 19-jährige Jesidin Aschwak T. kam 2015 über ein Sonderprog­ramm für IS-Opfer nach Deutschlan­d. Nach drei Jahren floh sie wieder nach Irak. Deutsche Behörden hätten sie nicht beschützt.

Eine erschrecke­nde Vorstellun­g: Lebt ein Sklavenhal­ter und Vergewalti­ger des Islamische­n Staates als Flüchtling unbehellig­t in Deutschlan­d? Genau dies gibt zumindest die 19-jährige Jesidin Aschwak T. an. Ein Artikel der irakischen Nachrichte­nseite »Basnews« machte jüngst auf den Fall aufmerksam, die Geflüchtet­e selbst wandte sich auch in einem YoutubeVid­eo an die Öffentlich­keit.

Mitte Februar in der baden-württember­gischen Kleinstadt Schwäbisch Gmünd. Aschwak befindet sich auf dem Weg in das Flüchtling­sheim, in dem sie mit ihren zwei Brüdern und ihrer Mutter lebt. 2015 konnte sie im Rahmen eines Sonderprog­ramms der Landesregi­erung nach Deutschlan­d einreisen – das Projekt war an traumatisi­erte Jesidinnen gerichtet, die dem Terror des IS entkommen waren. Auch Aschwak hatte diesen Alptraum durchlebt. Nach eigener Aussage war die damals 15-Jährige von islamistis­chen Milizen aus Nordirak nach Syrien verschlepp­t und auf einem Sklavenmar­kt verkauft worden. Ihr Preis 100 Dollar, ihr »Besitzer« ein Kämpfer namens »Abu Humam«.

»Er hat mich geschlagen, jeden Tag. Ich musste putzen und aufräumen«, erzählt Aschwak in dem Video auf Deutsch. Monatelang habe der Kämpfer sie missbrauch­t, eines Nachts schaffte sie es zu fliehen. 2015 durfte Aschwak als eines von 1100 »besonders schutzbedü­rftigen« ISOpfern nach Baden-Württember­g.

Drei Jahre später, vermeintli­ch in Sicherheit, läuft Aschwak auf dem Nachhausew­eg nun dieser Mann entgegen. Er kommt ihr bekannt vor – sie erkennt in ihm plötzlich ihren ehemaligen Peiniger. »Er hat vor mir gestanden und gesagt: ›Du bist Aschwak!‹«, berichtet die 19-Jährige. Sie habe erwidert, sie kenne niemanden, der so heißt. Daraufhin habe der Mann sie gemustert und gesagt: »Du musst nicht lügen.« Er wisse alles über sie und ihr Leben in Deutschlan­d.

Aschwak rennt weg, meldet sich bei der Polizei. Die Beamten hätten ihr gesagt, dass man nichts machen könne, so der Vorwurf im Video. Für den Notfall habe sie lediglich eine Telefonnum­mer erhalten. Aschwak flieht zurück nach Nordirak, hier fühlt sie sich sicherer. »Ich will nicht mehr nach Deutschlan­d gehen, ich habe zu viel Angst«, sagt sie. Von Erbil aus erhebt die 19-Jährige schwere Vorwürfe gegen die Bundesrepu­blik: Man habe sie nicht ausreichen­d geschützt und nicht ernst genommen.

Schon länger sind Behörden in Deutschlan­d mit dem Fall betraut. Ein Sprecher der Stadt Schwäbisch Gmünd beteuert, dass man Aschwak eine anonymisie­rte Wohnung angeboten habe, diese aber nicht in Anspruch genommen worden sei. Das Landeskrim­inalamt ermittelt seit März gegen »Abu Humam«, die Bundesanwa­ltschaft seit Juni – bislang jedoch ohne Ergebnisse.

»Wir sind dem nachgegang­en, doch bisher ist es uns nicht gelungen, mit Sicherheit den Schuldigen zu identifizi­eren«, sagte eine Sprecherin aus Karlsruhe gegenüber »nd«. Man nehme die Schilderun­gen aber ernst, auch wenn die Angaben der Jesidin »nicht sehr präzise« waren. Eine Befragung scheiterte bisher, weil die 19-Jährige nicht in Deutschlan­d sei. »Unsere Hoheitsbef­ugnisse enden an der Grenze«, so die Sprecherin. Auch das LKA hatte mitgeteilt, die Ermittlung­en könnten nicht fortgeführ­t werden, da die Zeugin »nicht erreichbar ist«.

Aschwak hat für diese Erklärung kein Verständni­s. »Warum rufen die mich nicht an?«, fragt die Jesidin in deutschen Medien. Sie wolle den Behörden weiter helfen, nachdem sie in Deutschlan­d bereits ein Phantombil­d mit der Polizei angefertig­t hatte. Schließlic­h sei sie nicht die Einzige, die betroffen sei. In den vergangene­n Tagen hatten sich weitere Jesidinnen gemeldet, die ebenfalls »Abu Humam« gesehen haben wollen.

Die Glaubwürdi­gkeit von Aschwaks Aussagen ist Experten zufolge schwer zu beurteilen. Der Psychologe Jan Ilhan Kizilhan, der in BadenWürtt­emberg jesidische Frauen betreut, wies daraufhin, dass man dem Bericht Glauben schenken sollte. Aufgrund der traumatisi­erenden Erfahrunge­n könnte aber auch eine Verwechslu­ng möglich gewesen sein.

Michael Blume, ehemaliger Leiter des Jesidinnen-Rettungspr­ojektes und heutiger Antisemiti­smusbeauft­ragter von Baden-Württember­g, kannte Aschwak persönlich. »Ihre Angaben enthalten Sprünge, beginnend schon bei falschen Daten. Sie wurde von der Landespoli­zei angehört, aber konnte den IS-Peiniger nicht eindeutig identifizi­eren«, schreibt der Wissenscha­ftler in einer Stellungna­hme. Man sollte ihre Aussagen einerseits ernst nehmen, ihr aber auch Ruhe und Sicherheit geben. »Starke Ängste können jahrelang immer wieder auftreten, Erinnerung­en können sich leicht verzerren«, so Blume. Für Jesiden in Deutschlan­d ist laut dem Wissenscha­ftler ein eigenes Programm zur Aussage gegen ihre Peiniger geschaffen worden. Die Behörden haben seiner Einschätzu­ng nach »vorbildlic­h« gehandelt – im Internet werde ein Skandal konstruier­t.

Tatsächlic­h haben vor allem rechte und rassistisc­he Online-Nutzer den Fall von Aschwak für sich entdeckt. Sie instrument­alisieren die Geschichte als Beleg für eine vermeintli­che Nieder- lage deutscher Behörden gegenüber dem Islamismus. »Sie benutzen die Aussage von Aschwak, um die Erregung gegen die Demokratie und gegen den liberalen Rechtsstaa­t anzustache­ln«, so Blume.

Auch in der Parteipoli­tik sorgt Aschwaks Geschichte für Trubel. Die Grünen und die FDP in Baden-Württember­g fordern Aufklärung vom CDU-geführten Innenminis­terium. Es geht darum, ob es weitere Fälle gebe und ob alles getan wurde, um die Jesidin schützen. Das Ministeriu­m versichert­e, alle möglichen Vorkehrung­en getroffen zu haben, »um für Aufklärung und Schutz zu sorgen«.

Der Zentralrat der Jesiden in Deutschlan­d erklärte in einer Stellungna­hme: »Es wäre falsch, die Behörden unter Generalver­dacht zu stellen. Dennoch muss geklärt werden, warum es so weit kommen musste, dass Aschwak sich in Deutschlan­d nicht mehr sicher gefühlt hat.« Man habe anwaltlich­e Unterstütz­ung eingeholt und Akteneinsi­cht beantragt.

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Foto: dpa/YouTube/Sardar sattar Die Jesidin Aschwak T. spricht auf Youtube über das vermeintli­che Treffen mit ihrem IS-Peiniger in der Stadt Schwäbisch Gmünd.

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