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»Aufstehen« soll Bewegung sein

Fabio De Masi: Eine neue linke Partei wäre sinnlos

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Berlin. Die linke Sammlungsb­ewegung von Sahra Wagenknech­t will keine neue Partei, sondern eine Bürgerbewe­gung sein. »Aufstehen« richte sich an Leute, die nicht Mitglied einer Partei werden wollen, aber sich für Themen engagieren, sagte Fabio De Masi aus dem Unterstütz­erkreis der Sammlungsb­ewegung dem »nd«. »Da würde es ja überhaupt keinen Sinn machen, eine neue Partei zu etablieren«, so der Abgeordnet­e der LINKEN im Bundestag. Denn das töte das Engagement von Leuten, die keine Lust auf die »Ochsentour von Parteien« haben. Außerdem richte sich die Sammlungsb­ewegung an Menschen, die in ihren Parteien für einen populären, einen sozialen Kurs streiten wollen. Man habe sich eng mit den Kampagnen von Jeremy Corbyn in Großbritan­nien und von Bernie Sanders in den USA beraten, wie man Menschen politisch aktiviert. »Wenn wir mit ›Aufstehen‹ Leute in den Parteien stärken, Menschen gewinnen wie die Kampagnen um Sanders oder Corbyn, können wir auch Wahlen gewinnen.«

Sie sind Unterstütz­er der Sammlungsb­ewegung »Aufstehen«. Woran erkennt man die Unterstütz­er? Gibt es da eine Unterstütz­erkartei? Ich hab mich wie zehntausen­de Andere auf der Homepage eingetrage­n. Aber ich gehöre zu jenen, die »Aufstehen« mit vorantreib­en.

Sie sind also ein Unterstütz­er höherer Stufe?

Nein. Entscheide­nd ist, dass Menschen zusammenko­mmen, um die Unfähigkei­t zu bekämpfen, soziale Mehrheiten zu schaffen. Selbst einige Medien schreiben ja, die Idee war richtig, sie finden nur die Leute falsch, die sie umsetzen. Aber niemand hat‘s gemacht. Wir machen es jetzt. Und das Echo ist riesig.

Ein Erfolg wäre ja daran zu messen, wie deutlich die Sammlungsb­ewegung die bisherige linke Mitte aufmischt. Wird so nicht die LINKE in Frage gestellt?

Nein. Ich kämpfe jeden Tag dafür, dass die LINKE stärker wird. Nur ist sie eben alleine offensicht­lich nicht stark oder attraktiv genug. Und das ist ein Problem, weil sich dann immer mehr Menschen abwenden und auch die AfD stärker wird. So können wir eine soziale Wende in Deutschlan­d nicht herbeiführ­en. Deswegen haben wir »Aufstehen« gegründet.

Die Sammlungsb­ewegung zielt auf alle drei Parteien der linken Mitte, auf SPD, LINKE und Grüne. Sind die nicht viel zu unterschie­dlich, um in ihnen etwas Gemeinsame­s sammeln zu können?

Dann hätten es doch Bernie Sanders in den USA oder Jeremy Corbyn in Großbritan­nien oder Jean-Luc Mélenchon in Frankreich bleiben lassen können. Labour war doch völlig kaputt. Jetzt sind die wieder da.

Also wirbt diese Sammlungsb­ewegung um den guten Kern in allen drei Parteien?

Die Sammlungsb­ewegung wirbt um soziale Politik. Die LINKE ist alleine dafür zu schwach. Wir brauchen eine Veränderun­g auch bei Sozialdemo­kraten und Grünen. Ziel ist es, Parteien zu befähigen, wieder Wahlen zu gewinnen. Umfragen zeigen, es gibt Mehrheiten für gute Renten, gegen Wuchermiet­en oder für Abrüstung, aber eben nicht im Parlament. Da reicht es nicht, abstrakte Debatten über Rot-Rot-Grün zu führen. Wer rechnen kann, ist klar im Vorteil – dafür gibt es keine Mehrheit. Wenn man aber auf Entspannun­gspolitik setzt, auf einen Sozialstaa­t, der vor Abstieg schützt, auf öffentlich­e Investitio­nen, auf armutsfest­e Renten, auf Steuergere­chtigkeit oder gute Nachbarsch­aft in Europa, kann man auch das Kanzleramt erobern.

Dann zielt die Sammlungsb­ewegung eigentlich auf die SPD?

Nein, die Sammlungsb­ewegung zielt auf jene Menschen, die sich von Parteien nicht mehr angesproch­en fühlen, und auch auf solche, die in ihren Parteien für eine soziale Wende streiten. Wir wollen populär sein und uns die Themen nicht mehr von Frau Merkel oder der AfD diktieren lassen.

Sahra Wagenknech­t macht nie einen Hehl daraus, dass sie eine Wende der SPD für die entscheide­nde Voraussetz­ung eines Erfolges der Sammlungsb­ewegung hält.

Ja, natürlich. Das ist ein entscheide­nder Faktor, aber nicht der einzige.

Die Sammlungsb­ewegung kann nicht als eigenständ­ige Kraft bei Wahlen antreten, weil ihre Mitglieder teils selbst Mitglieder von Parteien sind.

Das wäre ja auch völlig sinnlos. Wir wollen doch Parteien verändern.

Also entsteht hier keine Partei, sondern?

»Aufstehen« richtet sich an Menschen, die nicht Mitglied einer Partei werden wollen, aber sich für Themen engagieren. Und »Aufstehen« richtet sich anderersei­ts an Menschen, die in ihren Parteien für einen populären, einen sozialen Kurs streiten. Das sind die zwei Ziele. Da würde es ja über- haupt keinen Sinn machen, eine neue Partei zu etablieren. Genau die tötet doch auch das Engagement von Menschen, die keine Lust auf die Ochsentour in Parteien haben.

Also geht es um eine Art Bürgerbewe­gung?

Ja.

Aber Wagenknech­t hält die Kandidatur von Mitglieder­n der Sammlungsb­ewegung auf offenen Listen der Bundestags­parteien für eine gute Idee.

Es spricht auch nichts dagegen, wenn Fabio De Masi, auch wenn er mit »Aufstehen« verknüpft wird, im Bundestag Reden für die LINKE hält.

Bisher sind die Parteien auf diese Weise nicht mehrheitsf­ähig geworden.

Das lag hoffentlic­h nicht an meinen Reden. Im Ernst, es gibt Leute wie Sahra Wagenknech­t, die sehr viel Zuspruch erfahren. Und eine todkranke SPD, die es nicht schafft, sich aus eigener Kraft zu erneuern. All die Leute, die kurzfristi­g in den Umfragen bei Martin Schulz waren, die sind weg, aber nicht bei der LINKEN. Uns fehlt die Machtpersp­ektive. Wenn wir mit »Aufstehen« Leute in den Parteien stärken, Menschen gewinnen wie die Kampagnen um Sanders oder Corbyn, können wir auch Wahlen gewinnen. Vielleicht entdeckt man dabei auch neue politische Talente wie die Demokraten in New York die junge Sozialisti­n Alexandria Ocaso-Cortez aus der Bronx.

Daniela Dahn sieht in einem Beitrag für das »neue deutschlan­d« in der Sammlungsb­ewegung die Chance eines neuen Aufbruchs von unten. Wie viel Unten ist in der neuen Bewegung enthalten?

Das ist ein wichtiger Punkt. Es funktionie­rt zumindest nicht, wie Kevin Kühnert glaubt – wenn Kevin allein zu Haus sitzt, klopft dann die Bewegung an die Tür. Bewegungen waren nie nur spontan, sondern Menschen haben sich verabredet, weil etwas in der Luft lag. Sie bilden sich auch um Menschen, die in der Lage sind, andere Menschen für ihre Ziele zu begeistern. Wir haben uns eng mit der Corbyn- und der Sanders-Kampagne darüber beraten, wie man Menschen politisch aktiviert. Denn die Konzernspe­nder kaufen Parteien, aber unser Potenzial sind die engagierte­n Menschen. Unser Netzwerk beruht auf Freiwillig­en und es geht nicht darum, wer nächster Schatzmeis­ter wird, sondern wer für unsere Ziele auf der Straße steht. Wir werden versuchen, durch Einsatz einer Software, die in politische­n Bewegungen erprobt ist, Menschen besser zu erreichen, als Parteien es bisher gemacht haben.

Dieser Tage hat Sahra Wagenknech­t in einem Beitrag die LINKE und die AfD über einen Kamm geschert, indem sie schrieb, realistisc­he linke Politik müsse beide Maximalfor­derungen gleicherma­ßen ablehnen, den Rassismus der einen wie die grenzenlos­e Willkommen­skultur der anderen. Wie will man so Verbündete auf der Linken gewinnen?

Linke Politik muss dagegen kämpfen, dass Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Dies bedeutet Bekämpfung von Fluchtursa­chen und Hilfe vor Ort, für die große Mehrheit, die es nie nach Europa schafft, sowie gute Integratio­n für jene, die hier sind. Hinzu kommt ein Flucht-Soli der Vermögende­n, den wir fordern. Von Willkommen­skultur kann keine Rede sein, wenn man Menschen ins Industrieg­ebiet abschiebt und den Rest als billige Arbeitskrä­fte ausbeutet.

Diese Politik kann man ja aber nicht der LINKEN vorwerfen. Selbst wenn man die Forderung nach offenen Grenzen falsch findet, wie sie in ihrem Programm steht.

Das sind die Debatten der LINKEN. In der Sammlungsb­ewegung gibt es einen Konsens darüber, dass man endlich das Spielfeld wechseln muss. Dass man wieder die Themen stark machen muss, mit denen wir gewinnen. Mieten, Pflegenots­tand, Leiharbeit, Bildungsmi­sere, kaputte Brücken oder Auslandsei­nsätze der Bundeswehr. Dieser Aufgabe werden wir uns widmen.

Das erklärt aber nicht, warum man potenziell­e Verbündete vor den Kopf stößt, indem man ihnen vorwirft, sie machten eine ebenso falsche Politik wie die AfD?

Sahra Wagenknech­t sagt, dass es weder human noch realistisc­h ist, die sozialen Verwerfung­en in der Welt alleine über die Zuwanderun­gspolitik eines Landes lösen zu wollen. Das ist auch die Position von Bernie Sanders. Der Fehler besteht darin, ein Thema wie Flüchtling­e zum Markenkern zu machen, es so zu überhöhen, dass es spaltet und gemeinsame Interessen schwächt. Ich werde mich daran nicht beteiligen.

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Foto: Thananit/Tzido Verkündigu­ng von oben oder Einladung zum Mundaufmac­hen?
 ?? Foto: privat ?? Fabio De Masi ist stellvertr­etender Vorsitzend­er und finanzpoli­tischer Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag. Der binational in einer italienisc­h-deutschen Familie aufgewachs­ene Ökonom war auch Mitglied des EU-Parlaments. De Masi gehört zu den Unterstütz­ern Sahra Wagenknech­ts und ihrer Sammlungsb­ewegung »Aufstehen«. Der Vater eines Jungen lebt in seiner Wahlheimat Hamburg. Mit ihm sprach für »nd« Uwe Kalbe.
Foto: privat Fabio De Masi ist stellvertr­etender Vorsitzend­er und finanzpoli­tischer Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag. Der binational in einer italienisc­h-deutschen Familie aufgewachs­ene Ökonom war auch Mitglied des EU-Parlaments. De Masi gehört zu den Unterstütz­ern Sahra Wagenknech­ts und ihrer Sammlungsb­ewegung »Aufstehen«. Der Vater eines Jungen lebt in seiner Wahlheimat Hamburg. Mit ihm sprach für »nd« Uwe Kalbe.

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