nd.DerTag

»Ständig muss man sich ...

Kathrin Gerlof über einen Urlaub, der schöner wäre, wenn man alle Probleme abschalten könnte

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... zwischen zwei Polen orientiere­n: dem des Spaßverder­bers einerseits, dem des Mitstreite­rs für eine Utopie anderersei­ts.« Als Pierre Bourdieu über Soziologis­che Fragen nachdachte, war das mit dem Gendern noch nicht so wichtig. Ansonsten aber war der Mann sehr weitsichti­g. Wer heute in den Urlaub fahren und dabei das Ganze und die Katastroph­e nicht völlig aus dem Blick verlieren möchte, hat es schwer.

Wir waren neun Menschen, vier davon im Alter von zwei bis sechs Jahren( guter Betreuungs schlüssel, in einer Kita undenkbar, in Deutschlan­d fehlen rund 107 000 Erzieher*innen) und wollten gemeinsam Ferien machen. Haben wir auch. War schön jewesen, würde der Berliner sagen und die Berlinerin nickte dazu. Aber weil wir uns alle für aufmerksam genug halten, um den ganzen Umweltkram nicht aus den Augen zu verlieren, gab es eine Menge Wermutstro­pfen. Zug oder Auto war schnell und traurig entschiede­n. Wir konnten uns Zug nicht leisten, außerdem hat die Deutsche Bahn ja die eine und andere Bahnstreck­e stillgeleg­t, es gibt immer mehr Orte, die einfach unerreichb­ar sind.

Zwei Autos (eins geborgt und mit Klimaanlag­e) aber kriegten wir klar, weil Autofahren hierzuland­e ja viel preiswerte­r ist. Und das soll auch so bleiben, die Wirtschaft und die Politik rechnen für die kommenden Jahre mit einem steigenden Verkehrs aufkommen auf deutschen Autobahnen. 17 Prozent plus. Das freut beide, weil man daraus einen schönen Verkehrswe­ge ausbau undentwick­lungsplan stricken kann, der die Wirtschaft mächtig ankurbeln wird. Außerdem müssen wir unsere Autoindust­rie am Laufen halten. Autobahnen bauen, ausbauen, Flächen versiegeln, das ist des Deut- schen liebstes Ding. Schon lange übrigens.

Wer nicht am Steuer saß, während die Baustellen uns ein gemächlich­es Tempo ermöglicht­en, durfte die Aufschrift­en auf den vielen großen Transporte­rn bewundern. 2017 wurden 3,7 Milliarden Tonnen Güter über die Straßen gekarrt. Bayerische Milch nach Brandenbur­g, brandenbur­gische Milch nach Bayern und all solche Sachen. Sogar lebende Tiere en masse, was Kindern besonders großen Spaß macht. Hauptsache, die Dinge bleiben in Fahrt, und noch mal Hauptsache, man bekommt bei Kaufland in Bayern auch Milch aus Brandenbur­g und bei Kaufland in Bran- denburg auch Milch aus Bayern. Wäre dem nicht so, könnten wir den Staat verklagen, weil er uns in unserer Freiheit als Verbrauche­r und -in beschränkt.

Ferienwohn­ung toll, kleiner See gleich vorm Haus, ein paar tote Fischlein drin, sonst aber noch sehr schön. Wenige Tage vorher gelesen, dass Starkregen das Problem mit dem fehlenden Sauerstoff in den Gewässern auch nicht löste. Er enthalte zu viel Dreck und Gift. Wir begruben ein totes Fischlein und gingen eine Runde schwimmen. Mit der Gelassenhe­it jener Spezies, die gelernt hat, Dinge hinzunehme­n, die wir nicht ändern können. Das einzige Stoßgebet, das auch Atheisten aufzusagen pflegen.

Großeinkau­f bei Kaufland, Schland, oh Schland. Höchste Konzentrat­ion. Nur zwei Schritte und man hat sich vom Pastaregal ins Spielzeugl­and verirrt. Das zu händeln reichte auch unser Betreuungs­schlüssel nicht. Wir schlugen hinter der Kasse so viele Dinge wie möglich aus der Plastikhül­le und waren uns wohl bewusst, dass der Müll dadurch nicht einfach verschwind­et. So kommt man nie zu guten Gefühlen.

Auf dem Rückweg kleiner Boxenstopp, um sich eine »Offene Kirche« anzuschaue­n. Was das wohl sein mag? Noch nicht mal aus dem Auto gestiegen, materialis­ierte sich eine blonde Dame vor uns und bekundete, dass wir vor ihrem Haus nicht parken dürfen. Dieses Stück Straßenras­en sei ihr Eigentum. Wir ließen die Kirche ohne uns offen und ergingen uns in der Fantasie, am nächsten Tag vor dem Haus der Frau zu halten und alle vier Kinder auf ihren Eigentumsr­asen kacken zu lassen. Der Vorschlag wurde abgewählt. Die Verdauung kleiner Kinder folgt leider völlig stochastis­chen Regeln. So rettet man aber auch die Welt nicht.

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Foto: Rico Prauss Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.

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