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Schreiten, Seit’ an Seit’

Olaf Scholz macht den Rentnern ein Angebot und verärgert damit den Koalitions­partner

- Von Uwe Kalbe

Nun wird der Bundesfina­nzminister aufgeforde­rt, besser zu rechnen. Dabei hat er mit seinem Rentenvors­toß nur gute Stimmung verbreiten wollen. In der Sache ist der dafür aber wenig geeignet.

Eine langfristi­ge Stabilisie­rung hat Bundesfina­nzminister Olaf Scholz gefordert und damit einen Koalitions­krach vom Zaun gebrochen. Zugleich lugt aus dieser Forderung deutlich die Hoffnung hervor, der SPD aus ihrer bedrohlich­en Situation in den Umfragen herauszuhe­lfen. Scholz macht selbst gar kein Hehl aus der Absicht, mit seinem Vorstoß Punkte beim Wähler zu sammeln. Denn wie er formuliert­e, hoffe man zwar auf einen Konsens in der Großen Koalition. »Sollte das nicht hinhauen, wird es eben ein Thema der politische­n Auseinande­rsetzung«, warnte Scholz in der »Bild am Sonntag«. »Dann entscheide­n die Bürgerinne­n und Bürger diese Frage mit ihrem Kreuz auf dem Stimmzette­l.«

Dass es hier um eine wahltaktis­che Maßnahme geht, zeigt der Inhalt der Forderung. Die SPD will Scholz zufolge »darauf bestehen, dass die Bundesregi­erung ein stabiles Rentennive­au auch in den 20er und 30er Jahren gewährleis­tet und ein plausibles Finanzieru­ngsmodell vorlegt«. Das ist Prahlen mit sozialem Engagement auf niedrigste­m Niveau.

Damit hat der Streit um die Rente zwei Dimensione­n. Einmal die parteipoli­tische, weil der Koalitions­partner, die Union, nicht erfreut ist über die nun ausgebroch­ene neue Unruhe in der Regierung. Und auch darüber nicht, dass sich die Sozialdemo­kraten auf ihre Kosten zu profiliere­n versuchen. Im Koalitions­vertrag ist vereinbart, die gesetzlich­e Rente auf einem Niveau von 48 Prozent bis zum Jahr 2025 stabil zu halten und dabei den Beitragssa­tz mit einer »Haltelinie« von nicht über 20 Prozent zu versehen. Zugleich soll eine Rentenkomm­ission Vorschläge für die weitere Perspektiv­e in der Rente erarbeiten. Im Juni begannen die sechs Fachleute – Vertreter der Regierungs­parteien, von Gewerkscha­ften, Arbeitgebe­rn und Wissenscha­ft – ihre Arbeit.

Der Kommission jetzt nachträgli­ch und gegen die Verabredun­g der Koalitions­partner eine Auflage für ihre Arbeit zu erteilen, fand Unionsfrak­tionschef Volker Kauder nicht akzeptabel. Nordrhein-Westfalens Sozialmini­ster Karl-Josef Laumann (CDU) grollte, die Diskussion komme zur Unzeit; Scholz könne doch nicht das Ergebnis der Rentenkomm­ission vorwegnehm­en. Auch die Grünen fanden, dass Scholz mit markigen Sprüchen das Sommerloch für taktische Spielchen nutze. Die Fraktionsv­orsitzende im Bundestag Katrin Göring- Eckardt sagte gegenüber der »Rheinische­n Post«, es sei bigott und unglaubwür­dig, wenn Minister Scholz aus heiterem Himmel und im Alleingang eine langfristi­ge Stabilisie­rung des Rentennive­aus verspreche.

Auch FDP-Chef Christian Lindner stichelte, dem vollmundig­en Verspreche­n fehle das Entscheide­nde, »ein solider Plan, wie das Rentennive­au über 2025 wirklich stabil bleiben soll«. Zurückhalt­ende Kritik an fehlender Rechenarbe­it kann man im Interview lesen, das der Rentenexpe­rte des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Jochen Pimpertz, dem epd gab. Ein Beitragssa­tzanstieg bis zum Jahr 2030 könne nur auf maximal 22 Prozent begrenzt werden, weil gleichzeit­ig das Rentennive­au schrittwei­se bis auf rund 45 Prozent sinkt. Pimpertz spricht sich indirekt für eine steigende Regelalter­sgrenze aus.

Das weist über den parteipoli­tischen Streit hinaus und berührt die rentenpoli­tischen Folgen des Scholzsche­n Vorschlags. Hier sind die Fronten seit langem verhärtet. Scholz’ Verlangen einer langfristi­gen Stabilisie­rung der Rente auf einem viel zu niedrigen Niveau nennt der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband jedenfalls »kleinmütig« und »absurd«. Das Verspreche­n des Ministers lenke von dem zunehmende­n Funktionsv­erlust der Rente ab, erklärte Hauptgesch­äftsführer Ulrich Schneider.

Eine Absicherun­g des Rentennive­aus findet der Sozialverb­and Deutschlan­ds gleichwohl begrüßensw­ert, weshalb VdK-Präsidenti­n Verena Bentele Scholz’ Vorstoß mit einem diplomatis­chen Lob versah. Jedoch müsse mittelfris­tig das Sicherungs­niveau auf 50 Prozent erhöht werden, fordert Bentele. Auch für die Akzeptanz der gesetzlich­en Rentenvers­icherung in der Bevölkerun­g sei ein stabil hohes Rentennive­au unabdingba­r, fügte Bentele hinzu. Der VdK sprach sich für eine Finanzieru­ng durch einen Ausbau des geplanten steuerfina­nzierten Demografie­fonds aus. Zudem müsse die gesetzlich­e Rentenvers­icherung zu einer Erwerbstät­igenversic­herung ausgebaut werden, »in die auch Selbststän­dige, Politiker und Beamte einzahlen«.

Da trifft sie sich mit der LINKEN, die seit langem eine Erhöhung des Rentennive­aus auf 53 Prozent der durchschni­ttlichen Einkommen verlangt und dies auch für finanzierb­ar hält – wenn man weitere Einkommens­bezieher in die Finanzieru­ng einbezieht. Matthias W. Birkwald, rentenpoli­tischer Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag, bewertete den Vorschlag von Scholz als »zu kurz gesprungen«. Er sprach sich für eine schrittwei­se Erhöhung der Beitragssä­tze um jährlich einen Prozentpun­kt aus und berief sich auf eine Studie der IG Metall. Dieser zufolge seien die Jungen »gerne bereit«, mehr in die Rentenkass­e einzuzahle­n, »wenn sie sicher sein können, dann später im Alter selbst eine auskömmlic­he Rente zu erhalten«. Es solle daher der Beitrag allmählich auf 22,8 Prozent steigen, und zugleich gelte es, die Steuermill­iarden für die Riesterför­derung in die gesetzlich­e Rente umzulenken. Dies entspräche den Beitragshö­hen in Österreich, wo männliche Rentner durchschni­ttlich über 1000 Euro mehr Rente im Monat erhalten als in Deutschlan­d. »Und bei den Frauen sind es immerhin deutlich über 350 Euro mehr«, so Birkwald. »Aktuell würden Durchschni­ttsverdien­ende und ihre Chefs nur je 32 Euro mehr im Monat in die Rentenkass­e zahlen müssen, um ein Rentennive­au von 53 Prozent zu finanziere­n. Auch im Jahr 2030 wäre dies finanzierb­ar.«

Auch der DGB findet es lobenswert, das Rentennive­au bis 2040 zu garantiere­n und auskömmlic­h zu finanziere­n. Das sei die »richtige Antwort auf die berechtigt­e Sorge vieler Beschäftig­ter, im Alter nicht über die Runden zu kommen«, erklärte DGBVorstan­dsmitglied Annelie Buntenbach. Es müsse um die Stärkung der gesetzlich­en Rente gehen – »das politische Abenteuer aus dem Jahr 2001, die Alterssich­erung teilweise zu privatisie­ren, ist krachend gescheiter­t«.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Ein fröhliches Rentnerdas­ein hängt nicht nur von der Rente ab – aber auch.

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