Familientreffen nach 60 Jahren
Süd- und Nordkorea weiten vertrauensbildende Maßnahmen aus
Nach mehr als sechs Jahrzehnten haben sich durch den Krieg getrennte Familienmitglieder aus Nord- und Südkorea erstmals wiedergesehen. Das dreitägige Treffen begann am Montag in der nordkoreanischen Tourismusregion am Berg Kumgang. Er- möglicht wurde die Familienzusammenführung durch das seit einiger Zeit anhaltende Tauwetter zwischen den beiden koreanischen Staaten. Das letzte derartige Treffen hatte es vor drei Jahren gegeben. Von südkoreanischer Seite nahmen an dem Treffen 89 Senioren teil. Festlich gekleidet bestiegen sie am Morgen 14 Busse im südkoreanischen Sokcho, die in Begleitung von Polizei und medizinischem Personal in Richtung Norden aufbrachen. Der Konvoi passierte später die entmilitarisierte Zone und die Grenze zu Nordkorea.
Die betagten Südkoreaner waren teils aufgeregt, teils wollten sie an das Gelingen ihrer Fahrt nicht so recht glauben. Die 92-jährige Lee Keum Seom sagte vor dem Treffen mit ihrem Sohn, sie habe nicht damit gerechnet, dass sie diesen Tag erleben werde. »Ich habe nicht einmal gewusst, ob er noch lebt oder nicht«, fügte die kleine, zerbrechlich wirkende Frau hinzu. Als sie und ihre Tochter – damals ein Baby – flohen, war ihr Sohn vier Jahre alt. Seither hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Heute ist er ein alter Mann von 71 Jahren. Durch den Koreakrieg (1950 bis 1953) waren Millionen Menschen getrennt worden. Viele engste Angehörige haben sich seither nicht mehr gesehen.
Nord- und Südkorea hatten zu Jahresbeginn einen Kurs der Annäherung gestartet. Beide Seiten vereinbarten unter anderem, wieder häufiger Familientreffen zu veranstalten. Seit dem Jahr 2000 hatten die Nachbarländer 20 derartige Treffen veranstaltet. Nun wird die Zeit für viele der Betroffenen allmählich knapp. Die meisten derjenigen, die noch immer auf ein Wiedersehen mit ihren Verwandten aus dem Norden hoffen, sind inzwischen mehr als 80 Jahre alt. Von den mehr als 130 000 Südkoreanern, die sich für ein Familientreffen registrieren ließen, sind die meisten mittlerweile gestorben. Der älteste Teilnehmer der diesjährigen Fahrt nach Nordkorea, Baik Sung Kyu, ist 101 Jahre alt. Für das Treffen mit seiner Schwiegertochter und seiner Enkeltochter hat er Kleidung, Unterwäsche, 30 Paar Schuhe, Zahnbürsten und Zahnpasta als Geschenke eingepackt. »Ich habe auch 20 rostfreie Löffel mitgebracht. Ich habe alles gekauft, denn das ist mein letztes Mal«, sagte er. Die Teilnehmer des dreitägigen Treffens werden nur etwa elf Stunden miteinander verbringen – meist unter den wachsamen Augen ihrer nordkoreanischen Betreuer. Für das private Zusammensein stehen sogar nur drei Stunden zur Verfügung.
Im April hatten der südkoreanische Präsident Moon Jae In und der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un ihr erstes Gipfeltreffen im Grenzort Panmunjom in der entmilitarisierten Zone abgehalten. Im Mai waren die beiden Staatsoberhäupter überraschend ein weiteres Mal in Panmunjom zusammengetroffen. Damit bahnten sie auch den Weg für den Gipfel zwischen Kim und US-Präsident Donald Trump im Juni in Singapur. Bei dieser Gelegenheit sagte Kim eine Denuklearisierung seines Landes zu. Die Umsetzung dieser Ankündigung ist aber offen. Trump kündigte an, an den strengen Sanktionen werde festgehalten, um Druck auszuüben.
Es sind herzerwärmende Bilder, die aus dem nordkoreanischen Kumgang in die Welt gesendet werden. Bilder, die von den Regierungen in Seoul und Pjöngjang inszeniert werden. Von den vorangegangenen zwanzig Familientreffen berichteten manche Teilnehmende aus dem Süden, sich nicht sicher gewesen zu sein, ob sie tatsächlich den eigenen Verwandten getroffen hätten. Auch wenn diesmal keiner der Anwesenden Zweifel am Gegenüber haben sollte, die Live-Berichterstattung der Medien und nur drei Stunden privater Treffen lassen kaum Raum für Intimität.
Für Nord- und Südkorea ist das Signal viel wichtiger, dass es ihnen ernst ist mit der Annäherung. Die Zusammenführungen sind nur eine in einer Reihe von Maßnahmen zur Vertrauensbildung. Es gibt sogar Gerüchte, Südkoreas Präsident könnte zum 70. Jahrestag der Volksrepublik Pjöngjang besuchen.
Anfang der 2000er gab es im Verlauf der Sonnenscheinpolitik bereits Annäherungen, die allerdings nicht nachhaltig waren. Diesmal, so scheint es, will die Politik in beiden Koreas, dass es nicht bei einzelnen Familientreffen bleibt – Frieden ist greifbar. Im Weg stehen die USA, die sich weigern, dem Wunsch Nordkoreas nachzukommen und den Koreakrieg offiziell zu beenden. Ob diese Haltung im Interesse Südkoreas ist?