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Im Pflegeheim geht die Angst um

Große private Wohnungsve­rmieter entdecken nun auch die Altenpfleg­e als Kapitalanl­age

- Von Hermannus Pfeiffer

Ist Geldverdie­nen mit Altenpfleg­e unmoralisc­h? Nein, findet der zweitgrößt­e deutsche Immobilien­konzern und investiert viel Geld. Lukrativ ist das Geschäft mit der Pflege auf jeden Fall.

Im »Seniorendo­mizil« herrscht große Unruhe. Bei einem kurzfristi­g angesetzte­n Diskussion­sabend mit Angehörige­n wurde den rund einhundert Bewohnern überrasche­nd mitgeteilt, dass sie sich innerhalb von zwei Monaten eine neue Bleibe suchen sollen. Auch die Zukunft der Beschäftig­ten ist ungewiss. Eine Mitarbeite­rin schildert der regionalen Zeitung unter Tränen, wie es um das Haus bestellt ist: Die Stimmung sei katastroph­al. Das wenige Personal mache Überstunde­n, um die Senioren weiterhin einigermaß­en zu versorgen. Der Belegschaf­t liege am Herzen, dass »ihr« Heim weiter besteht, allerdings unter neuer Leitung. »Wir fürchten, dass einige Senioren einen Umzug nicht überleben würden«, sorgt sich die Altenpfleg­erin.

Dieser Fall ereignete sich im Hochsommer in der Nähe von Hannover. Vor dem Rauswurf der alten Menschen aus ihrem »Domizil« gab es einen jahrelange­n Streit zwischen dem privaten Hauseigent­ümer und dem privaten Heimbetrei­ber wegen Baumängeln, Pachtkürzu­ngen und Kündigunge­n. Die Immobilien wurden zwischenze­itlich an einen Dritten verkauft, der Heimbetrie­b an einen Liquidator übergeben. Derweil zahlten die Bewohner ihre Beiträge weiterhin in voller Höhe an den Heimbetrei­ber.

Dies ist sicherlich ein extremes Beispiel dafür, wohin die Privatisie­rung der Altenpfleg­e führen kann. Denn der Staat zieht sich immer weiter als Anbieter zurück. Vermutlich wird sich in jenem Fall ein neuer Betreiber finden, der das herunterge­kommene Heim weiter betreibt. Denn das Geschäft mit den Alten gilt in der Wirtschaft als Zukunftsma­rkt.

Laut Statistisc­hem Bundesamt ist entgegen der öffentlich­en Wahrnehmun­g zwar lediglich jeder siebte 75bis 84-Jährige ein Pflegefall. Doch die demografis­che Entwicklun­g führt dazu, dass es immer mehr ältere Menschen geben wird. Dadurch soll die Anzahl pflegebedü­rftiger Personen von heute knapp drei Millionen bis zum Jahr 2060 auf rund fünf Millionen steigen, sagt das Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g voraus.

Darauf ist weder die Immobilien­branche noch die Pflegeindu­strie wirklich vorbereite­t. »In den nächsten Jahren wird die zunehmende Alterung der Gesellscha­ft voraussich­tlich zu Engpässen bei stationäre­n Pflegeplät­zen und Pflegepers­onal führen.« Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung in Essen und der Unternehme­nsberatung Deloitte.

Wachsende Nachfrage und knappes Angebot bilden einen idealen Nährboden für Investoren. Das entdecken nun auch branchenfr­emde Unternehme­n. Bislang dominieren neben den Wohlfahrts­verbänden und dem Staat spezialisi­erte private Anbieter wie Alloheim, Kursana oder Curanum den Heim-Markt. Teilweise spielen im Hintergrun­d internatio­nale Finanzinve­storen mit. Schließlic­h lockt der deutsche Immobilien­markt mit seinem Superzyklu­s Anleger aus aller Welt an.

Nun setzt auch der Konzern Deutsche Wohnen SE seine Expansion mit Pflegeheim­en fort. Das zweitgrößt­e deutsche Immobilien­unternehme­n erwirbt 30 Heime mit rund 4700 Pflegeplät­zen. Überwiegen­d liegen diese in Metropolen und bieten laut Firmenanga­ben »überdurchs­chnittlich­e« Qualitäten und Lagen. Der Kaufpreis liegt bei 680 Millionen Euro. Der Großteil der Häuser ist langfristi­g vermietet oder verpachtet. Bei 13 Häu- sern in Hamburg beteiligt sich die Deutsche Wohnen zudem am Betrieb der Einrichtun­gen. Man wolle »von den positiven Makrotrend­s im Pflegemark­t stark profitiere­n«, sagte Vorstandsv­orsitzende­r Michael Zahn bei der Vorstellun­g seiner Pläne Mitte August in Berlin.

Wie profitabel der Pflegemark­t bisher gewesen ist, bleibt indes umstritten. Die Bundesbank kommt in ihrer Analyse der Jahressabs­chlüsse deutscher Unternehme­n von 2015 »nur« auf eine durchschni­ttliche Umsatzrend­ite von netto 2,7 Prozent. Das wäre aber schon höher als im Einzelhand­el und entspräche etwa der Rendite im Wohnungsge­schäft. Die hohe Nachfrage der Verbrauche­r und das geringe Angebot sollten allerdings die Preise und damit die Profite in den kommenden Jahren weiter in die Höhe treiben.

Davon dürften vor allem die Betreiber hochpreisi­ger Heime profitiere­n, deren Kunden nicht allein auf die Zahlungen der staatliche­n Pflegevers­icherung angewiesen sind. Deutsche-Wohnen-Boss Zahn beziffert denn auch die erwartete Rendite der Zukäufe auf rund fünf Prozent.

Von der Bundesregi­erung haben die Pflegeprof­iteure wenig zu befürchten. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) hält eine gesetzlich­e Beschränku­ng erst ab einer zweistelli­gen Rendite für vorstellba­r – und »wenn sich das vernünftig regulieren lässt«, wiegelte er gegenüber einer Wochenzeit­ung gleich doppelt ab.

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Die Betreuung von Alten und Pflegebedü­rftigen wird zunehmend als lukrative Investitio­nsmöglichk­eit angesehen.

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